Die Gegend rund um den Bahnhof ist in kaum einem Ort ein Vorzeigeviertel – in Taufkirchen jedoch bietet sich ein besonders trostloses Bild. Auf der einen Seite der Gleise reihen sich triste Fabrikhallen und baufällige Bahnhofsgebäude aneinander. Auf der anderen Seite, im Ortsteil Am Wald, erstreckt sich eine heruntergekommene Eschenpassage, der sich im Westen eine weitgehend verwaiste und daher noch trostlosere Lindenpassage anschließt, während im Norden ein größtenteils in die Jahre gekommenes Gewerbegebiet liegt.
Doch all das soll sich ändern – durch ein städtebauliches Entwicklungsprojekt, das der von der CSU getragene parteifreie Bürgermeister Ullrich Sander als „Jahrhundertchance für Taufkirchen“ bezeichnet. Gemeint ist das „Quartier am Bahnhof“, ein 12,6 Hektar großes Gelände westlich der Gleise zwischen der Waldstraße im Norden und der Eschenstraße im Süden, das die Gemeinde in ein grünes und lebendiges Viertel verwandeln will. „Ein solches Projekt sucht im Landkreis seinesgleichen – von der Fläche, aber auch von der Eins-a-Lage her direkt am Bahnhof“, sagt Sander bei einem Pressegespräch. Anlass für den Termin ist der Beschluss des Gemeinderats, der vor der Sommerpause per einstimmigem Votum das Bebauungsplanverfahren für das „Quartier am Bahnhof“ gestartet hat. Dieses soll nach den Plänen des Bürgermeisters bis Ende 2025 abgeschlossen sein, „damit wir endgültig Baurecht geschaffen haben“.
Als Basis für die geplante Verwandlung, die laut Ullrich Sander „sechs, acht oder zehn Jahre dauern wird“, dient ein städtebaulicher Entwurf der Büros Steidle Architekten und Grabner Huber Lipp Landschaftsarchitekten. Ihre Pläne wurden in den vergangenen Monaten weiterentwickelt – in Abstimmung mit dem Gemeinderat, aber auch unter Einbeziehung der zwei großen Grundstückseigentümer in dem Gebiet. Zum einen ist das die Bäckerei- und Konditoreigenossenschaft Bäko, die ihr Betriebsgelände an der Kreuzung von Lindenring und Waldstraße aufgeben will. Zum anderen gehören der Grünwalder Firma Rock Capital zahlreiche Grundstücke, darunter auch die Linden- und Eschenpassage.
Mit diesen Eigentümern, die sich bereits an den Planungskosten beteiligen, wolle man in den nächsten Monaten städtebauliche Verträge abschließen, in denen es etwa um die Finanzierung von Kitas gehen werde, die es in dem neuen Quartier brauche, sagt Bauamtsleiter Stefan Beer. „Da steht das legitime Interesse der Investoren, Geld mit ihren Grundstücken zu verdienen, dem noch legitimieren Interesse der Gemeinde gegenüber, etwas Gutes für ihre Bürgerinnen und Bürger zu schaffen.“
Sukzessive soll die Bevölkerungszahl steigen, bei 810 neuen Wohnungen rechnet man mit 1500 bis 2000 neuen Bürgern
Entscheidend für den gesellschaftlichen Mehrwert des neuen Quartiers – und mindestens ebenso für die Gewinnmargen der Grundstückseigner – ist dabei der anvisierte Nutzungsmix. Aktuell sehen die Pläne fast 200 000 Quadratmeter Geschossfläche vor, von denen zwölf Prozent für Büros vorgesehen sind sowie jeweils knapp zehn Prozent für Einzelhandel, Gesundheitseinrichtungen, Hotels und Boardinghäuser sowie besondere Wohnformen etwa für Studierende oder Senioren. Der größte Part, nämlich fast die Hälfte aller Flächen, sind indes fürs Wohnen gedacht. Insgesamt rechne man mit circa 810 Wohnungen für 1500 bis 2000 Menschen, sagt Christian Hörmann von der Beratungsfirma Cima, die bei der Planung als Projektsteuerer auftritt. Dieser Zuzug werde jedoch sukzessive erfolgen, betont er. In den Plänen ist von sieben Jahren ab 2029 die Rede.
Wohl auch mit Blick auf die Kritik, die sich in Teilen der Bevölkerung an einem derartigen Wachstum regt, betont der Bürgermeister: „Es wird keine Bevölkerungsexplosion geben.“ Vielmehr brauche Taufkirchen einen solchen Zuzug, auch um einer drohenden Überalterung entgegenzuwirken, sagt Heike Pethe. Ihr Büro für Räumliche Entwicklung hat im Auftrag der Gemeinde ein Gutachten zur Einwohnerstruktur erstellt. Demnach sei Taufkirchen in den vergangenen zehn Jahren nur „relativ zaghaft“ gewachsen, insbesondere im Vergleich zu anderen Umlandgemeinden, so Pethe. „Dieses Neubaugebiet ist für Taufkirchen eine große Chance, um wieder auf den regionalen Wachstumspfad im Raum München zu kommen.“
Konkret sind in dem neuen Viertel ein repräsentativer Bahnhofsvorplatz sowie ein weiterer Quartiersplatz vorgesehen. Die Gebäude sollen zwischen fünf und elf Stockwerke hoch und gerne mit einer Begrünung oder gemeinschaftlichen Nutzung der Dächer ausgestattet werden, erläutert Architekt Johannes Ernst vom Büro Steidle. Laut Sander wird das Quartier den Ortsteil am Wald auch für Menschen aus Alt-Taufkirchen attraktiv machen und somit ein „Brückenschlag“ sein. Dies ist durchaus im Wortsinn gemeint – schließlich soll im Zuge der Entwicklung auch eine neue Brücke über die Bahngleise für Fußgänger und Radfahrerinnen gebaut werden.
Am 15. Oktober findet eine Bürgerinformationsveranstaltung zum „Quartier am Bahnhof“ statt. Beginn ist um 19 Uhr im Kultur- und Kongresszentrum.