Energiewende:So halten es Städte und Gemeinden mit dem Klimaschutz

Energiewende: Landrat Christoph Göbel (CSU) findet als Gastgeber der ersten Klimakonferenz dieser Art, dass die Kommunen mit vielen Aktionen die "richtigen Signale" gesendet haben.

Landrat Christoph Göbel (CSU) findet als Gastgeber der ersten Klimakonferenz dieser Art, dass die Kommunen mit vielen Aktionen die "richtigen Signale" gesendet haben.

(Foto: Claus Schunk)

Auf der Landkreis-Konferenz in Taufkirchen sollen die Rathäuser Stellung beziehen, wie weit sie mit ihren Bemühungen sind. Während manche Kommunen schon 2030 CO₂-frei sein wollen, nehmen sich andere wie Ottobrunn und Haar raus.

Von Bernhard Lohr, Taufkirchen

Die Klimaschutzkonferenz in Taufkirchen ist am Donnerstagnachmittag schon weit fortgeschritten, diverse Vorträge wurden gehalten, etwa über die Photovoltaik-Bündelaktion in Grünwald und das Windkraftprojekt im Hofoldinger Forst, als Annika Gehrmann das Wort ergreift und es plötzlich totenstill wird im Saal. "Wenn ich mir unsere Zukunft vorstelle", sagt die zweifache Mutter, "dann wird mir schlecht". Überschwemmungen, Hitzerekorde und Flüchtlingsströme - was fühle man da, wirft die Juristin, die sich in der Neubiberger Initiative "Klimaneutral 2035" engagiert, als rhetorische Frage in den Saal. "Wut auf die viel zu zögerliche Klimapolitik hierzulande?" So weit geht sie dann doch nicht. Aber Gehrmann sagt: "Die Verantwortung liegt bei den Bürgermeistern, den Fraktionen und den Verwaltungen."

Genau an diese richtet sich die erste Klimaschutzkonferenz des Landkreises München im Taufkirchner Kultur- und Kongresszentrum. Der Landkreis hat vergangenes Jahr den Rathäusern Datensätze geschickt und die Software dazu, um Klimaschutzziele zu erarbeiten und diese mit Aktionen wie zum Beispiel einem Windkraftprojekt zu hinterlegen. In Taufkirchen kommt es jetzt zum Schwur: 22 von 29 Kommunen benennen, wie hoch ihr CO₂-Ausst0ß 2030 pro Bürger noch sein soll, wann sie bei Wärme und Strom und wann insgesamt klimaneutral sein wollen. Es fehlen: Baierbrunn, Ismaning, Kirchheim, Unterschleißheim, Planegg. Ottobrunn und Haar sind auch nicht mit einem Stand im Foyer präsent. Die etwa 400 Besucher, die sich dort zwischen den Vorträgen im Saal informieren und rege austauschen, sehen unter den Namen beider Kommunen leere Pinnwände.

Energiewende: Auf der Bühne kommt es zum Schwur: Die Bürgermeister der teilnehmenden Gemeinden zeigen auf Tafeln an, welche Ziele zur CO₂-Vermeidung sie sich gesetzt haben.

Auf der Bühne kommt es zum Schwur: Die Bürgermeister der teilnehmenden Gemeinden zeigen auf Tafeln an, welche Ziele zur CO₂-Vermeidung sie sich gesetzt haben.

(Foto: Landratsamt München)

Viele Bürgermeister sind da. So etwa Harald Zipfel (SPD) aus Neuried, der vor der Infotafel steht, auf der die Klimaschutz-Aktivitäten seiner Gemeinde vorgestellt werden, und Feuer und Flamme ist, als es darum geht, ob das Rathaus oder der Einzelne etwas bewegen kann. "Entweder ich fang' an", sagt Zipfel, "oder ich lass es". Er selbst hat angefangen. Zipfel ist passionierter Radfahrer, ohne Hilfsmotor. Er ist von Neuried nach Taufkirchen geradelt. Und er erzählt, dass er tags zuvor nach Unterföhring zum Termin geradelt sei und am Freitag dasselbe nach Unterschleißheim machen werde. Kollegen schauten ihn oft verwundert an, sagt Zipfel. Aber er brauche kaum länger als andere mit dem Auto. Und er sei draußen und bewege sich.

Einen Ausstoß von 1,2 Tonnen Kohlendioxid pro Bürger will Neuried 2030 erreichen - und 2035 komplett klimaneutral sein. Damit zählt man zu den ehrgeizigen Gemeinden. Der Landkreis hat sich als Quersumme der Ziele der Kommunen auf 2,8 Tonnen pro Bürger 2030, energetische Klimaneutralität bis 2040 und absolute bis 2045 festgelegt. Mit radelnden Bürgermeistern alleine gelingt das nicht. Das weiß auch Zipfel, der sagt, Neuried treibe die Pläne für einen Windpark im Forstenrieder Park voran. "Man kann viel machen", sagt Zipfel. Neuried liege zwischen großen Geothermie-Projekten in Pullach und Gräfelfing. Dort könnte man sich anbinden. Potenzial sieht Zipfel in der Nutzung von Abwärme des Rechenzentrums am Max-Plank-Institut in Martinsried.

Energiewende: Putzbrunns Bürgermeister Edwin Klostermeier (links) diskutiert mit seinem Amtskollegen Wolfgang Panzer aus Unterhaching (beide SPD).

Putzbrunns Bürgermeister Edwin Klostermeier (links) diskutiert mit seinem Amtskollegen Wolfgang Panzer aus Unterhaching (beide SPD).

(Foto: Claus Schunk)

Ähnliche Projekte werden an vielen Ständen besprochen. Putzbrunns Bürgermeister Edwin Klostermeier (SPD) erzählt vom Fernwärmeausbau in der Waldsiedlung, wo man vom Geothermie-Kraftwerk der Stadtwerke München in Kirchstockach Wärme beziehe. Der Ausbau schreite voran, das neue Gymnasium werde angeschlossen. Ein Standort für Windkraft sei relativ sicher. Klostermeier setzt auf 3,2 Tonnen Co₂ pro Putzbrunner im Jahr 2030, was auch mit der Autobahn zu tun habe, deren Immissionen mit zu Buche schlagen, wie er sagt. In Neuried trübt Zipfel zufolge die nahe Autobahn nicht die Bilanz. Sie sei der Gemeinde nicht zugerechnet.

Immer wieder geht es darum, wie sinnvoll es ist, sich solche auch angreifbaren Ziele zu setzen. Oberhachings Kennzahlen lauten 1,9 Tonnen für 2030, eingeschränkte Klimaneutralität 2035 und volle im Jahr 2040. Bürgermeister Stefan Schelle (CSU) zeigt an der Schautafel am Oberhaching-Stand auf das dort genannte Vorhaben, 58 Prozent der sonnenbeschienenen Dachflächen bis 2040 mit Photovoltaik-Modulen zu bestücken, und fragt, ob das realistisch sei. Er scheint sich selbst nicht sicher zu sein. Der Energiebedarf habe sich auch enorm erhöht. Frühere Generationen hätten mit einem kleinen Ölofen ein Zimmer beheizt, das sei kein Problem gewesen. Mit Blick nach vorne sagt Schelle: "Jeder muss sich hier einbringen." Nicht mit Druck, aber ein Bewusstseinswandel müsse her.

Energiewende: Der Saal ist voll bei der Präsentation der Klimaziele. Viele Bürgermeister sind da.

Der Saal ist voll bei der Präsentation der Klimaziele. Viele Bürgermeister sind da.

(Foto: Claus Schunk)

Die Klimastreber sitzen jedenfalls jetzt offiziell im Unterhachinger Rathaus. Wolfgang Panzer (SPD) strengt sich ausweislich der Tafel, die er auf der Konferenz hoch hält, an, mit seiner Gemeinde schon in sieben Jahren komplett klimaneutral zu sein. Photovoltaik, Windräder im Perlacher Forst und Geothermie sollen das ermöglichen. Aber ist das realistisch? Viele warnen vor Augenwischerei. Planegg hat noch keine Ziele genannt, ist aber mit einem Stand in Taufkirchen vertreten, und Klimamanager Jörg Degen sagt, man wolle keine Jahreszahlen ins Blaue hinein benennen. Ende 2023 werde ein Konzept vorgelegt. Planeggs Zweite Bürgermeisterin Judith Grimme (Grüne) sagt: "Wir befinden uns auf dem Weg." Sie spricht von Windkraft und Agri-Photovoltaik. Die Konferenz bezeichnet sie als "tolles Format, ein großartiges Zusammenkommen der Landkreis-Kommunen".

Energiewende: Großes Interesse herrscht an der Klimakonferenz im Kultur- und Kongresszentrum in Taufkirchen, wo sich Städte und Gemeinden mit ihren Projekten in der Vorhalle präsentieren.

Großes Interesse herrscht an der Klimakonferenz im Kultur- und Kongresszentrum in Taufkirchen, wo sich Städte und Gemeinden mit ihren Projekten in der Vorhalle präsentieren.

(Foto: Claus Schunk)

Wobei einige durch Abwesenheit glänzen. Die Kommunen sind keineswegs zur Teilnahme an der Landkreis-Initiative verpflichtet. Sie können das ignorieren, so wie Ottobrunn, wo Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) im Vorfeld mehrfach erklärt hat, wenig von Zielsetzungen zu halten und dafür umso mehr von konkreten Projekten in seiner Kommune. Und was die betreffe, sei man vorne dran. Auch Haar schreibt sich Klimaschutz auf die Fahnen. Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) hat mit einer schwarz-grünen Agenda den Einzug ins Rathaus geschafft und arbeitet relativ eng mit den Grünen zusammen, die mit Ulrich Leiner den Zweiten Bürgermeister stellen. Haar wolle Circular-City werden, betont Bukowski, also Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft bis zu Ende durchdeklinieren.

"Die Berechnung der Klimaziele greift zu kurz"

Doch warum wird die Klimakonferenz ausgeblendet? Mit Henry Bock ist ein Grünen-Gemeinderat anwesend, der sagt: "Schade, dass wir uns nicht beteiligen." Über die Gründe rätselt er selbst. Der Leiter des Sachgebiets Umwelt im Rathaus, Lukas Röder, will sich auf der Konferenz nicht äußern und verweist auf eine Presseerklärung am nächsten Tag. In der heißt es dann: "Die Berechnung der Klimaziele nach den Vorgaben der Klimakonferenz greift nach unserer Ansicht zu kurz." Klimafreundliche Energieversorgung sei ein wichtiger Hebel von mehreren. Die Gemeinde wolle im Übergang zu einer Circular-Economy alle Hebel nutzen und einen Schritt weitergehen. Im Herbst werde ein "detaillierter und konkreter Meilensteinplan zum Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Klimaschutz präsentiert".

Energiewende: Die Gemeinde Haar glänzt auf der Klimakonferenz durch Abwesenheit.

Die Gemeinde Haar glänzt auf der Klimakonferenz durch Abwesenheit.

(Foto: Claus Schunk)

Mit der Klimakonferenz wird jedenfalls sichtbar, wer was macht und warum - oder auch nicht. Garchings Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD) sagt rundheraus: "Wir wollen alle. Es ist schade, wenn man uns nicht lässt." Und beklagt sich im Gespräch einmal mehr über die Bremser bei der Deutschen Flugsicherung (DFS), die wegen Auflagen konkret am Flugplatz Oberschleißheim den Bau von drei Windkraftanlagen in Garching verhinderten. Gruchmann erzählt, dass die Technische Universität eine 25 000 Quadratmeter große Photovoltaikanlage auf Dächern plane. Zudem könnte die Stadt bei der neuen Ausschreibung der TU für die Wärmeversorgung mit Geothermie zum Zuge kommen.

Gruchmann sieht sich, so wie die anderen sieben Bürgermeister der Nordallianz-Kommunen, als Antreiber etwa bei der Windkraft. Unterschleißheims Bürgermeister Christoph Böck (SPD), dessen Stadt in Taufkirchen einen Stand hat, aber keine Klimaziele benennt, kündigt ein Konzept im Laufe des Jahres an. "Wir machen das gründlich." Der 23-jährige Bernhard Schüßler findet das enttäuschend. Der Grünen-Stadtrat in Unterschleißheim und "Fridays for Future"-Aktivist hätte nach eigenen Worten erwartet, dass man als größte Stadt im Landkreis Vorreiter ist. Die Ressourcen dafür habe man im Rathaus mehr als andere. Es sei höchste Zeit, die Klimakrise aktiv zu bekämpfen.

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SZ PlusUnternehmer Jochen Schweizer
:"Das Leben besteht aus Erlebnissen"

Abenteuer und Nervenkitzel sind das Geschäft des ehemaligen Stuntman Jochen Schweizer. Corona zwang ihn und sein Unternehmen zur Ruhe. Ein Gespräch über Vergnügung in Krisenzeiten und die Vereinbarkeit von Funsport und Nachhaltigkeit.

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