Taufkirchen:Der Start-up-Politiker

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Sam Batat kommt aus Taufkirchen. Mittlerweile mischt er auf vielen Ebenen in der Politik mit und macht mit ungewöhnlichen Ideen von sich reden. (Foto: Claus Schunk)

Der 21 Jahre alte Sam Batat macht in der FDP Furore und verfolgt große Ziele. Für einen Liberalen eher ungewöhnlich stammt er aus einfachen Verhältnissen und vertritt mitunter linke Thesen. Vor allem aber glaubt er fest daran, dass man die Welt von den Chancen her denken muss

Von Christina Hertel, Taufkirchen

Zum 18. Geburtstag hat sich Sam Batat selbst beschenkt: mit seinem eigenen Start-up für Internetwerbung. Inzwischen ist Batat 21, das Start-up gibt es nicht mehr, dafür hat er zwei Smartphones - eins fürs Dienstliche und eins fürs Private, die beide, als er nach einer Stunde Interview drauf schaut, hektisch blinken. Sam Batat arbeitet als Büroleiter für die FDP-Landtagsabgeordnete Julika Sandt, ist neuer Kreisvorsitzender der Jungen Liberalen. Außerdem könnte er bald auch noch im Kreistag sitzen: Bei der Wahl im Frühling steht er auf der FDP-Liste auf Platz fünf und hat damit gute Chancen.

Kürzlich machte er überregional von sich reden, als der Bayerische Landtag einem von ihm auf dem Parteitag initiierten und von der FDP eingebrachten Dringlichkeitsantrag zustimmte, die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Vereinen aus ideologischen Gründen zu verurteilten - ein Seitenhieb gegen den umstrittenen Vorstoß von SPD-Bundesfinanzminister Olaf Scholz, reinen Männer- oder Frauenvereinen die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. "Wenn unsere Vereine in Bayern unter die Räder beim machtpolitischen Tauziehen innerhalb von Parteien kommen, ist die FDP die starke Stimme, die sich schützend vor die Vereine stellt", sagte Batat damals. Angst vor dem großen Auftritt ist dem 21-Jährigen fremd.

Das eigene Start-up, der Büroleiter-Job, das graue faltenfreie Hemd, die schwarzen Lederschuhe, der weiße BMW - auf den ersten Blick wirkt alles an ihm, als hätte sich FDP-Vorsitzende Christian Lindner das perfekte Nachwuchsmitglied gezaubert. Aber Sam Batat ist auch: der Junge, der in der Hochhaussiedlung in Taufkirchen am Wald aufgewachsen ist, wo die Arbeitslosigkeit höher ist als anderswo rund um München; er ist der Sohn palästinensischer Einwanderer und der Schüler, der in der zehnten Klasse an Latein scheiterte. Er hat kein Abitur, nie studiert oder eine Ausbildung gemacht. Doch sein Traum sei, sagt er, dass er seine Eltern eines Tages durch den Bundestag führen kann - und zwar als Abgeordneter.

Ein Mittwochvormittag in einem Café in Taufkirchen, Batat trinkt Cappuccino und macht ein Selfie von sich und der Reporterin - denn: "Hat man es nicht auf Instagram gepostet, ist es nicht passiert." Doch der Empfang, das Foto auf das Netzwerk hochzuladen, ist zu schlecht. Steilvorlage für einen, der sich in einer Partei engagiert, in deren Bundestagswahlprogramm nach eigenen Angaben 116 Mal das Wort "digital" vorkam. "Ein Freund reiste vor kurzem durch den Dschungel und hatte Netz, aber hier an einem Hochtechnologiestandort bräuchte man manchmal eine drei Meter lange Antenne", sagt Batat. Er klingt selten wie ein 21-Jähriger, was vielleicht daran liegt, dass Menschen seines Alters normalerweise überlegen, ob sie die nächste Vorlesung schwänzen, und er den Terminkalender einer Landtagsabgeordneten koordinieren muss.

Mit 14 trat Batat bei den Jungen Liberalen ein - in einer Zeit, in der er es wohl für die meisten nichts Abwegigeres gegeben hätte: Kurz zuvor war die FDP aus dem Bundestag und aus dem Landtag geflogen. Auch Batat wollte damals lieber auf der Seite der Gewinner stehen und dachte darüber nach, sich bei der Jungen Union zu engagieren - aus "jugendlichem Leichtsinn", wie er heute sagt. Damals schrieb Batat für ein junges Online-Magazin und interviewte Tobias Thalhammer. Der war damals als FDP-Abgeordneter aus dem Landtag geflogen und im Landesvorstand aktiv. "Er sagte zu mir: Du bist ein Querkopf - so wie ich. Bei der CSU bist du falsch", erzählt Batat. Thalhammer hat seine Querköpfigkeit inzwischen offensichtlich abgelegt - 2018 wechselte er zur CSU, doch Batat nahm sich seine Worte zu Herzen. Und obwohl er selbst sagt, dass er mit seiner Partei inhaltlich meist bloß etwas mehr als 50 Prozent übereinstimme, ist er - ideologisch gesehen - wohl durch und durch Liberaler. Batat lässt Sätze fallen wie: "Man muss das Leben von einer Chance her denken." Oder: "Jeder Mensch weiß selbst am besten, was gut für ihn ist." Dass jeder seines Glückes Schmied sei, sagt er auch - obwohl er gesehen haben muss, dass Chancen in dieser Welt oft recht ungleich verteilt sind.

"Es ist richtig, dass die Voraussetzungen in Deutschland nicht für jeden gleich sind", sagt Batat. Kinder, deren Eltern sich eine Privatschule leisten könnten, hätten es leichter. Deshalb trete er für bessere Bildung ein und dafür, dass Unterricht praktischer ausgelegt werde. Mit seiner ersten Steuererklärung sei er zum Beispiel komplett überfordert gewesen.

Batat verließ das Gymnasium nach der zehnten Klasse. "Ich war einfach zu doof für Latein", sagt er. Nach der Mittleren Reife wollte er sein Fachabitur machen, doch er brach das ab, weil sich damals mehr für sein Start-up und das Geldverdienen interessiert habe. Dass er das Gymnasium nicht geschafft hat, stört ihn bis heute. "Ich mag es, Dinge zu Ende zu machen. Das Abitur ist das einzige, was nicht funktioniert hat." Er wolle es nachmachen - am liebsten online und womöglich BWL studieren, denn: "Politik ist vergänglich." Überhaupt sei der Traum, Bundestagsabgeordneter zu werden, ein langfristiger: "Ich bin noch zu grün hinter den Ohren. Vorher möchte ich noch mehr erfahren und noch mehr lernen." Bisher lernte Batat vor allem von anderen FDPlern: Dass Geduld eine der wichtigsten Tugenden ist - von dem kürzlich verstorbenen Bundestagsabgeordneten Jimmy Schulz.

Ein Ziel von Batat ist, dass die Partei diverser wird. Um Hürden abzubauen, gründete er vor kurzem einen Ortsverband der Jungen Liberalen in Taufkirchen, es ist der erste im Landkreis, weitere sollen folgen. Doch nicht nur mehr junge Leute möchte er erreichen, sondern auch Menschen, die nicht dem typischen FDP-Milieu aus Zahnärzten und Steuerberatern angehören. Es sei ein Problem, dass sich bis heute vor allem diejenigen, politisch engagierten, die es sich leisten könnten - zeitlich und finanziell, sagt Batat: "Wenn man an einem Parteitag teilnehmen will, kostet das 200 bis 300 Euro." Für Hotel, Abendessen, Anreise. Sein Vater, der in einem Hotel arbeitet, dessen soziale Schicht Batat als "unteren Mittelstand" bezeichnet, habe ihm das häufig bezahlt. "Er sah das als Investition." Als Vorsitzender sorge er nun dafür, dass der Verband solche Kosten für alle, die es sich nicht leisten könnten, übernehme. Es ist nicht Batats einzige Idee, die so wohl auch im Programm einer linken Partei stehen könnte. Für den Landkreis wünscht er sich Kitas, die 24 Stunden geöffnet haben, damit es Eltern, die etwa im Schichtbetrieb arbeiten, leichter haben. Er könnte sich auch ein großes Mehrgenerationenhaus vorstellen - mit Altenheim, Kindergarten, Hort und Krippe. Und er fordert eine Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs. "Dass jeder sein eigenes Auto hat, ist in Zukunft nicht mehr zeitgemäß."

Der 21-Jährige weiß, dass sein Leben anders ist als das seiner Freunde - einfach weil er weniger Zeit hat. Spontane Verabredungen seien ihm selten möglich. Und wenn nach einem Abendessen alle vor dem Restaurant stehen und hin- und herdiskutieren, wie die Nacht weitergehen könnte, wird er immer ein wenig nervös. "Bei mir muss immer etwas passieren", sagt er. Manchmal flüchte er sich aber auch aus seinem "hochoffiziellen Alltag in die Banalität". Dann geht er auf Konzerte, bei denen allerdings das Publikum um ihn herum auch eher der Generation seiner Eltern angehören dürfte: Bei David Hasselhoff war er schon, bei Hansi Hinterseer und Jürgen Drews. Dieter Bohlen würde er gerne einmal sehen. "Das ist wie Katastrophen-Tourismus", sagt er. Vor allem ist es aber wohl eine Möglichkeit, den Kopf auszuschalten.

© SZ vom 09.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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