Oguzhan Öktem öffnet die Tür der Ditib-Moschee an der Taufkirchner Bahnhofstraße. "Schuhe bitte ausziehen", sagt der 50-Jährige mit dem schwarzen Pferdeschwanz und deutet lächelnd auf ein Regal mit bunten Hausschlappen. Seit dem Jahr 2012 gibt es die Gebetsstätte an der Bahnhofsstraße, sie finanziert sich durch ehrenamtliche Helfer, Mitgliedsbeiträge und Spenden. Öktem geht in die kleine Küche, setzt Wasser für den türkischen Tee auf und legt mit Schafskäse gefülltes Hefeteig-Gebäck auf einen Teller. Als deutschsprachiger Islam-Lehrer ist er in Taufkirchen für viele ein wichtiger Ansprechpartner.
5000 Bewohner der Gemeinde leben derzeit in sozial geförderten Gewofag Wohnungen, die in den Siebzigerjahren in dem Gemeindeteil "Taufkirchen am Wald" errichtet wurden. Mit dem ehemaligen Integrationsprogramm des Kreisjugendrings war die Gemeinde unzufrieden, darum stellten sie vor sechs Jahren ihr ganz eigenes Konzept auf die Beine. Dass zur gleichen Zeit auch die Moschee eröffnet wurde, ist kein Zufall. Ein großer Teil der Einwohner Taufkirchens sind Muslime, die Gebetsstätte ist für sie ein zweites Zuhause geworden.
Auch Öktem verbringt dort viel Zeit, möchte da sein, vor allem für die Jugendlichen. Er selbst ist in München geboren, verbrachte seine Kindheit in Berg am Laim. Als seine Familie in die Türkei zurückkehrte, stand für ihn nach einigen Jahren fest: Er möchte zurück nach Deutschland. Vor 16 Jahren begann er als Islam-Lehrer im Landkreis München zu arbeiten. Öktem half damals bei der Entwicklung eines neuen, deutschsprachigen Lehrplans. Sein Ziel hat sich bis heute nicht geändert: den Schülern in Taufkirchen auf moderne Art und Weise die Werte des Islams vermitteln. "Der Fokus darf nicht darauf liegen, möglichst viele Suren perfekt auswendig zu lernen. Sondern darauf, was Gott mir sagen möchte."
Darf ich an Weihnachten auch Papier-Engel basteln? Müssen wir Jesus lieben oder ist er nur für die Christen? Markus isst Schweinefleisch, ist er dreckig? Wieso haben Sie als Mann lange Haare? Öktem beantwortet jede gestellt Frage, es freut ihn, wenn die Kinder über ihre eigene Religion nachdenken. "Der Islamunterricht ist keine Koranschule, die Kinder sollen sich hier entfalten", sagt er, mehr Unterstützung wünsche er sich von den Eltern.
Eines der Hauptprobleme bei muslimischen Familien sieht der Lehrer in der extremen Verantwortungsverlagerung auf die Töchter. Vor allem bei Projektwochen sehe er immer wieder die unterschiedlichen Fortschritte zwischen den Geschlechtern: Wenn ein Schüler in seinem Unterricht sage, er putze die Tafel nicht, weil er ein Junge sei, greife er ein: "Die Eltern müssen endlich verstehen, dass Jungen und Mädchen in unserer europäischen Welt dieselben Dinge machen müssen."
Öktems Stammschule ist die Grundschule am Wald. Er ist einer von 45 Lehrern, Sozialpädagogen, Mediatoren und Förderlehrern, die sich seit Jahren um die jungen Taufkirchener Schüler bemühen, von denen viele in den sozial geförderten Gewofag-Wohnungen leben. Mit Erfolg. Inzwischen gilt die Schule als ein Leuchtturmprojekt für andere Gemeinden. "Wir kommen auf um die 24 verschiedene Nationalitäten unter den Schülern", erzählt Rektorin Hildegard Höhn stolz. Sie hat im Sommer 2017 die Leitung der Grundschule übernommen und freut sich über ihre bunte Gemeinschaft: "Unter Kindern gibt es keinen Rassismus, das interessiert sie kein bisschen. Es herrscht eine unglaubliche Offenheit bei uns."
Durchaus als Problem sieht sie aber die Sprachbarriere, die so viele ausländische Kinder zu bewältigen haben. Wie viele der Schüler derzeit Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben? Claudia Besson, Lehrerin und Konrektorin, überlegt eine Weile: "Ich denke um die 70 Prozent. Die Kinder lernen einfach viel zu wenig Deutsch von ihren Eltern und lesen daheim auch nur in ihrer Heimatsprache."
In zwei grundverschiedenen Kulturen zu leben, darin sieht Höhn eine zu große Herausforderung für die Kinder: "Es gibt Familien, da geht das Kind heim in eine andere Welt. Bei anderen Eltern kriegt man die Mutter nie zu Gesicht. Die Kleinen leisten oft viel." Wie Öktem in seinem Islamunterricht fallen auch anderen Lehrern der Schule unterschiedliche Verhaltensweisen muslimischer Schüler auf. "Bei vielen dieser Familien steht die Religion in der Erziehung an erster Stelle. Die Mädchen kommen gut vorbereitet in die Schule, die Buben hingegen scheitern an dem Lernumfang. Sie stehen hier nicht mehr im Mittelpunkt, fangen an Blödsinn zu machen", erzählt die Rektorin.
Die Grundschule am Wald packt solche Probleme gezielt an, sie geht ihren bunten Weg. Jahr für Jahr gibt es neue Projekte. Bei den ersten Spiele- und Themen-Nachmittagen für Kinder und Eltern rechneten Höhn und ihre Kollegen mit 40 Teilnehmern, 200 sind gekommen. Bei Konzerten, der Aufführung des Peter-Pan-Musicals, der Weihnachtsfeier oder dem Osterfrühstück holen Schüler die Eltern in ihre Grundschule. "Auch die muslimische Mutter, die kein Deutsch kann, kommt dann. So kriegen wir sie", sagt Besson und lacht. Die Grundschule arbeitet viel mit Fachstellen der Gemeinde zusammen. "Alle stehen hinter uns", sagt Höhn und erzählt von dem Frühstück, das die Jugendsozialarbeit täglich im Schulgebäude ausrichtet: "Jeden Morgen kommen um die 20 Schüler zu den Mediatoren, es geht um Nähe und darum zu reden. Manche kommen ohne Frühstück."
Anlaufstellen zu haben und zu reden, das sieht auch Öktem als besonders wichtig an. Nicht nur für die Kinder der Grundschule am Wald, sondern im Fall der Moschee für alle Muslime in Taufkirchen. Sie ist ein kultureller Mittelpunkt, für den Islam-Lehrer stehen die Gotteshäuser vor allem für eines: Transparenz. Und genau die soll auch auf dem zweitägigen türkischen Kulturfest vermittelt werden, zu dem Öktem an diesem Wochenende im Taufkirchner Sportpark 3000 Gäste erwartet. "Wir wollen die Leute aus allen Religionen und Kulturen zusammenbringen und Spaß haben", sagt Öktem. "Muslimische Kultur ist für alle da. Das möchten wir immer wieder zeigen, unser Fest ist jedes Jahr uferlos schön."