Tanz:Emanzipation auf flacher Sohle

Multimove Tanztheater September 2017 im Gasteig München und 7. Oktober im Bürgerhaus Pullach 
von Ada Ramzews und Natalie Bury

Die Choreografinnen Ada Ramzews (vorne links) und Natalie Bury müssen als Elternpaar tun, was ihre Tochter (Céline Felsen) will: Sie hat die Fernbedienung und damit die Eltern in der Hand.

(Foto: Peter Werner/oh)

In ihrer faszinierenden Miniaturensammlung "Multimove" beweisen die Choreografinnen Ada Ramzews und Natalie Bury mit Mitgliedern der B&M Dance Company, wie vielseitig und ausdrucksstark moderne Tanzinszenierungen sein können

Von Franziska Gerlach

Der gemeine Kulturgänger denkt beim Stichwort Ballett - zumal, wenn es allmählich auf Weihnachten zugeht - ja in aller Regel an Schwanensee, Nussknacker, vielleicht noch Dornröschen. Und das ist auch völlig in Ordnung so, denn Petr Iljitsch Tschaikowsky hat der Nachwelt damit ganz ohne Zweifel wunderbare Stücke hinterlassen. Dass allerdings ausschließlich der klassische Spitzentanz im pastellfarbenen Tutu Anmut auf die Bühne zu bringen vermag, diese Annahme hält sich zwar hartnäckig, ist aber nun einmal falsch. Und wer's nicht glauben mag, der kann sich am 7. Oktober im Bürgerhaus Pullach von der Vielseitigkeit und Ausdruckskraft moderner Tanzinszenierungen überzeugen lassen, dahinter stehen in diesem Fall sogar Münchner.

Mit dem Titel "Multimove" sind die insgesamt sechs Tanzminiaturen überschrieben, die an diesem Abend zur Aufführung kommen werden, als Solo oder Duett getanzt, ein Schmankerl für Freunde besonderer Lichteffekte dürfte die Performance mit einer Laserharfe sein. Die Choreografie der einzelnen Stücke stammt von zwei ausgebildeten Tänzerinnen: Vier Inszenierungen des Abends stammen von Ada Ramzews, die 2016 auch die Tanzoper Orpheus & Eurydike in Starnberg inszenierte, für zwei der Miniaturen zeichnet sich Natalie Bury verantwortlich.

Und, so viel sei vorweggenommen: Jedes Stück erzählt dem Zuschauer eine Geschichte, die sich in der Summe zu einer ordentlichen Schelte an einer Gesellschaft verdichten, und an Menschen, die bei ihrer Suche nach Anerkennung auf allen möglichen Kanälen des Internets längst jedes Maß verloren habe - ein in diesen Tagen beliebtes Motiv in der Kunst. Auf tragischkomische Weise schlägt diese Kritik an der Gesellschaft in der Episode "RCP" (Remote Controlled Parents) durch: Ein Mädchen (Céline Felsen) emanzipiert sich darin von seinen Helikopter-Eltern und lässt Mama und Papa via Fernbedienung im Wortsinne nach seiner Pfeife tanzen, dass die Körper nur so ruckeln und zuckeln. Aufeinander zu und voneinander weg, dem Willen des Kindes völlig ausgeliefert. Zur Abwechslung kommt die moderne Tyrannei hier mal auf flacher Sohle daher, angereichert um flüchtige Elemente aus Standardtänzen wie dem Walzer, was man wohl guten Gewissens als Seitenhieb auf die spießbürgerliche Kleinfamilie interpretieren darf.

Wie bei kleinen Produktionen üblich, stehen im Übrigen auch die beiden Choreografinnen Ramzews und Bury auf der Bühne, etwa in der Rolle der ferngesteuerten Eltern, außerdem tanzen Mitglieder der B&M Dance Company mit, ein projektgebundenes Münchner Ensemble, das aus Studenten und Absolventen der Ballettakademie Benedict-Manniegel sowie professionellen Tänzern besteht. Madoka Sato und Benjamin Birker zum Beispiel machen in "Pygmalion and on and on" die Liebe zu einer menschlichen Maschine zum Thema, oder handelt es sich bei dem ätherischen Wesen, das sich auf Knopfdruck in Bewegung setzt, eher um einen Menschen, der wie eine Maschine funktioniert? Solche Gedanken kommen einem jedenfalls unwillkürlich, wenn sich die beiden jungen Tänzer zu den Goldberg Variationen von Johann Sebastian Bach im Pas de Deux zusammen tun - in einer modernen Variante des tänzerischen Duetts, versteht sich, bei der die Füße nicht in möglichst großer Spannung gehalten werden, sondern Zehen auch mal ganz selbstbewusst in Richtung Decke zeigen.

Das mag zwar nur ein Detail sein. Aber eben eines, das belegt, wie erfrischend die Abkehr von der Strenge des klassischen Balletts sein kann. Man sollte sich von dieser unaufgeregten Lässigkeit allerdings nicht täuschen lassen: Sie baut auf großer Tanzkunst auf, auch wenn die Körper zuweilen wie vom Zufall gelenkt erscheinen, so sind die Bewegungen doch einstudiert. Das Stück namens "Frau Müller und die Suche nach der Wirklichkeit" flirtet der Tanz sogar aufs Heftigste mit anderen Disziplinen. Man merkt, dass Natalie Bury sich nicht nur mit Musik und Tanz beschäftigt, sondern auch Filmprojekte realisiert. Denn wie die an der bekannten Iwanson International School ausgebildete Tänzerin (mit einer klobigen Schwimmbrille auf der Nase!) eine von der Monotonie des Alltags Gebeutelte gibt, das ist schon ganz großes Kino.

Am Samstag, 7. Oktober, 19.30 Uhr, gastiert "Multimove" im Bürgerhaus Pullach. Karten gibt es im Bürgerhaus zu erwerben, unter Telefon 089/744 75 20 oder online bei www.reservix.de.

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