Tabula Rasa:Dona Quijote des Glockenbachs

Das "Tabula rasa" am Holzplatz trotzt der Yuppisierung des Glockenbachviertels: Jeden Tag zaubert Magarete Vila neue geschmackliche Sensationen - zu moderaten Preisen.

Annette Wild

Das Tabula rasa am Holzplatz trotzt der Yuppisierung des Glockenbachviertels. Schließlich bekommt man in dem kleinen, charmanten, etwas improvisiert wirkenden Café-Bistro noch einen Cappuccino für 2,40 Euro. Ein paar Häuser weiter muss man schon an die vier Euro für das Heißgetränk bezahlen. Ist das schon alles? Nein! Obendrein gibt's hier noch köstliches Essen zu moderaten Preisen.

Cafe in München, 2007

Die Inhaberin des "Tabula Rasa", Margarete Vila, lässt sich sieben Tage in der Woche neue Gerichte für ihre Gäste einfallen.

(Foto: Robert Haas)

Manchmal entsteht aus etwas Traurigem auch etwas Schönes. Wäre die Ehe der Fotografin Magarete Vila nicht gescheitert, hätte sie nicht für sich und ihre vier Kinder ein regelmäßiges Einkommen benötigt, wer weiß - vielleicht würde sie heute nicht den Kochlöffel schwingen, hätte in ihrem Leben nicht (das) Tabula rasa gemacht.

Das wäre schlimm, denn dann wäre man nie in den Genuss eines ihrer kreativen, delikaten Gerichte gekommen. Obwohl Vila nur über einen kleinen Induktionsherd mit zwei Kochfeldern verfügt, zaubert sie in ihrem Bistro geschmackliche Sensationen. Täglich gibt es eine neue Karte. Als Klassiker finden sich darauf zwei exzellente Lasagnen (mit kleinem Salat 8,90 Euro), die eine mit Fleisch, die andere vegetarisch.

"Ich hab in Brüssel mal eine sehr feine Lasagne gegessen und mache sie jetzt auch so. Statt Béchamelsoße verwende ich Mascarpone. Und bei der vegetarischen Lasagne kommt es sehr auf die Kombination der Gemüse an", weiß Vila. Dann gibt es fast täglich ein Risotto, etwa mit Shii Take und Zucchini (mit kleinem Salat 8,90 Euro).

"Ich habe einen Stammgast. Er kommt seit vier Jahren jeden Mittag zu mir zum Essen. Fast immer nimmt er ein Risotto. Er meint, es schmecke jedes Mal anders. Manchmal sagt er dann: 'Das war heute das zweitbeste Risotto, das ich je bei dir gegessen habe''", erzählt die 54-Jährige lächelnd.

Feinschmecker-Garküche

Doch auch die gefüllten Nudeln sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen. Vila bezieht die frischen Teigwaren direkt aus Italien. Da wären zum Beispiel Tortellone mit Orange und Ente, Bauletti mit Rohschinken und Basilikum oder mit Ziegenkäse, Panzerotti mit Gorgonzola und Nuss, Honig und Trüffel oder mit Birne und Pecorino (mit kleinem Salat je 8,90 Euro).

"Die Füllungen variieren je nach saisonalem Angebot", weiß Vila. Nicht nur der Inhalt ändert sich, auch die Beilage und Zubereitungsart. Hier kommen nämlich nicht nur die Nudeln mit etwas Parmesan auf den Teller. Vila dünstet die kleinen Kissen zusammen mit verschiedenen Gemüsen, frischen Kräutern, Cranberries oder auch mal Walnüssen und löscht das Ganze mit etwas Sahne und im Winter auch mal aromatischem Chai-Tee ab - lecker.

Da die patente Münchnerin keinerlei Lagerungsmöglichkeiten im Tabula rasa hat, geht sie jeden Morgen im Viertel einkaufen. Dabei achtet sie auf regionale Zutaten sowie auf Bioqualität. "Eigentlich bin ganz froh, dass ich mir den Platz für die Lagerung spare", sagt Vila. Die Miete sei ohnehin schon hoch genug. Wobei wir neben gutem Essen beim zweiten Lieblingsthema von Margarete Vila wären: Die Entwicklung des Glockenbachviertels.

Vila lebt seit über 30 Jahren hier und beobachtet das Geschehen mit wachsendem Verdruss. "Die Müllerstraße verkommt. Investoren kaufen die Häuser, vermieten sie zu Megapreisen. Welcher kleine Gastronom kann sich denn das noch leisten?", fragt sich die Bistro-Betreiberin und fährt fort: "Aber Cafés, in denen Normalbürger sich wohlfühlen, in denen ein Cappuccino noch keine vier Euro kostet, sind doch wichtige soziale Orte. Sie prägen das Gesicht eines Viertels, dienen der Regeneration. Hier findet ein Teil der Kultur statt."

Kampf gegen Windmühlen

Vila würde gerne expandieren, denn das Tabula rasa alleine lohnt sich finanziell kaum. Sieben Tage die Woche schuftet sie hier von morgens bis abends. Manchmal fragt sie sich, wie lange sie das wohl noch durchhält. Vila ist nun auf der Suche nach einer Dependance - gerne im Glockenbachviertel. "Aber 30 Euro pro Quadratmeter kann ich mir einfach nicht leisten", sagt die Gastronomin.

Zudem mache ihr das Kreisverwaltungsreferat (KVR) mit seinen Auflagen das Leben nicht gerade leicht. "Ich hab ein paar Bänke an die Hauswand gestellt. Dann kam das KVR und meinte, dass Bänke nicht erlaubt seien. Ein Mitarbeiter des KVR gab mir den Tipp, sie zu durchlöchern, denn dann seien sie per Definition keine Bänke mehr und somit gestattet." Also ließ Vila ihren Schreiner Löcher in die Sitzgelegenheiten sägen.

"Kurz darauf revidierte der KVR-Mitarbeiter seine Aussage", Vila schüttelt verständnislos den Kopf. Zudem habe das Denkmalamt auch noch das 1900 erbaute, unter Denkmalschutz stehende Pissoir am Holzplatz für vier Jahre fest vermietet. "Der Mieter ist oft stark alkoholisiert, uriniert auf die Straße und pöbelt Passanten an. Das Häuschen sollte laut Denkmalamt eigentlich als Ausstellungsraum an Kulturschaffende vermietet werden.

Ich sehe bei dem Mann aber keinerlei künstlerische Ambitionen. Für meine Gäste, die im Sommer draußen sitzen, ist der "Künstler" sogar ein wahrer Störenfried. Das ist ein Skandal!", so die Münchnerin, die als Fotografin lange Jahre selbst künstlerisch tätig war. An der Wand hängen Fotos von ihr, Bilder einer Edition, die alte Kinogebäude in Ostdeutschland zeigt.

Gerne würde Vila irgendwann wieder fotografieren. Für die Bistro-Besitzerin ist das vielleicht ein erstrebenswertes Ziel, für ihre Gäste wär's ein herber Verlust. Wo könnte man dann noch so behaglich einen der leckersten Schokokuchen der Stadt (2,70 Euro) verputzen? Schließlich versüßt ein ordentliches Stück Gebäck bisweilen doch gewaltig das Leben und lässt einen für kurz auch allen Glockenbach-Gentrifizierungswahnsinn vergessen.

Tabula rasa, Holzstraße 18, 80469 München. Tel.: 23 23 18 71. Öffnungszeiten: Mo bis Fr 9 bis 22 Uhr. Sa und So und an Feiertagen 9 bis 20 Uhr.

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