SZ-Serie: Wer wohnt denn da?:Besuch beim bayerischen Geppetto

Auf einem Dach an der Aufkirchner Straße in Hohenschäftlarn tummeln sich Propheten und Pfarrer, Barbusige, Beelzebuben, Clowns und Wolpertinger. Der Rentner Klaus Bartsch fertigt die Holzfiguren aus purer Gaudi und schmückt damit sein Haus

Von Veronica Bezold, Schäftlarn

"Man kann im Leben alles lernen, nur Fantasie nicht. Die hat man", sagt Klaus Bartsch, während er, die Hände in die Hüften gestemmt, auf die vielen Holzfiguren auf seinem Garagendach blickt. Dicht an dicht tummeln sich dort liebevoll gestaltete Vertreter der Weltreligionen, ein Mann, der von einem Krokodil verschlungen wird, und viele mehr.

Wer wohnt denn da

Ein Blickfang: Das Haus von Klaus Bartsch.

(Foto: Manfred Neubauer)

Hingebungsvoll hat der 81-Jährige alle Figuren selbst in seiner Garage geschnitzt und anschließend bemalt. "Für mich ist das reine Gaudi", meint er. Ursprünglich hat der pensionierte Diplom-Ingenieur Elektrotechnik studiert. Mit Holzarbeit habe er also "eigentlich gar nichts am Hut", wie er sagt. 61 Jahre alt sei er gewesen, als er seine erste Figur, einen hölzernen Jesus, aus einem Eichenast fertigte, erinnert sich Bartsch. "Meine Frau und unsere Freunde haben gesagt: Jetzt fängt er an zu spinnen." Als sie das erstaunliche Ergebnis sahen, hätten sie gemeint, er habe wohl diesmal einfach Glück gehabt. Als die Jesusfigur dann so einsam und allein an seiner Wohnzimmerwand hing, sei ihm schnell klar geworden, dass sie Gesellschaft brauche. Mit einer gut gemeinten Portion Spott und einer ordentlichen Prise Humor ergänzte Bartsch sie unter anderem um einen hölzernen Anti-Christen und den Propheten Mohammed, der über eine Reihe betender Muslime hinwegreitet. Geschmacklos findet Bartsch, der wie Geppetto, der Schöpfer des berühmten Pinocchio, Figuren kreiert, das nicht: "Ich mache mich ja über alle lustig." Jemanden zu provozieren, das liege ihm fern.

Und so wurden die damals noch unbemalten Holzfiguren auf einmal immer mehr - egal ob im Haus, im Garten oder auf dem Dach von Klaus Bartsch und seiner Frau Evi. Kurz zuvor hatte der Ingenieur seinen führenden Posten bei Siemens und damit eine erlebnisreiche Karriere aufgegeben. "Ich habe das nie bereut", sagt Bartsch heute. Während seiner Berufstätigkeit sei er ständig gereist: quer durch Syrien, China, Korea und die USA. "Ich war auf der ganzen Welt." Mit nur 31 Jahren war er Entwicklungschef, mit 36 Jahren im koreanischen Vorstand des Unternehmens. "Ich hatte im Leben Glück", resümiert Bartsch. Nie hätte er damit gerechnet, im Ruhestand so eindrucksvolle Figuren herzustellen. "Manchmal bestaune ich mich selber und kann es gar nicht glauben." Mittlerweile habe er schon 50 bis 100 Stück geschnitzt, schätzt er.

Wer wohnt denn da

Klaus Bartsch in der Werkstatt mit seinen Stechbeiteln.

(Foto: Manfred Neubauer)

Im Jahr 1975 kaufte der in Breslau geborene Bartsch, noch während er in Korea war, das Grundstück in der Aufkirchner Straße Nummer 44. Sechs Jahre später begann er mit dem Bau des Hauses. "Ich hatte also fünf Jahre Zeit, das Haus selbst zu zeichnen", erinnert sich Bartsch. Sein damaliger Architekt sei voll und ganz auf seine Wünsche eingegangen: eine offene Galerie, wenige Türen. "Hier ist fast alles ein Raum", sagt der Ingenieur über sein gemütliches Haus, das voll von kleinen Erinnerungsstücken an seine vielen Reisen steckt. Wenn er sich zwischen all den Ländern und Orten, die er im Laufe seines Lebens schon bereist hat, entscheiden müsste, würde er wohl diesen hier wählen: "Am schönsten ist es in Hohenschäftlarn." Die bayerische Lebensart imponiere ihm.

Schon als Kind habe er kleine Segelboote gebaut und angestrichen, erzählt Bartsch. Häufig habe er damals einfach in der Wiese gelegen, um in den Wolken Figuren zu entdecken. "Das mache ich heute noch." In seinem Haus hat Bartsch keinen Internetanschluss. "Das Internet killt jede Kreativität", ist er überzeugt. Früher, als er noch berufstätig war, habe er jeden Tag an die 150 E-Mails bekommen. "Das habe ich abgeschafft." Ideen für neue Figuren kämen ihm deshalb genug.

Serie Wer Wohnt denn da?

Für ihre Herstellung braucht der Hobby-Künstler nicht viel: eine Kreissäge, eine Schleifmaschine, eine Absaugvorrichtung, einen drehbaren Schraubstock und "ein Kilo verschiedener Stemmeisen" - außerdem natürlich Raspeln, Schleifpapier und Holz. Letzteres besorgt er sich beim lokalen Schreiner oder beim Sägewerk. Obwohl sein Vater selbständiger Steinmetz war, hat Bartsch keine Lust darauf, mit anderen Materialen als Holz zu arbeiten.

Früher hat er die bunten, meist aus Eichenholz gefertigten Figuren noch selbst fest mit Bolzen an den Schneefangbalken auf dem Dach befestigt. "Eher fliegt das ganze Dach weg als eine der Figuren." Heute verbiete ihm das seine Ehefrau Evi, mit der er seit 55 Jahren verheiratet ist. Sie sage immer: "Du gehst nicht mehr auf's Dach." Die letzte Figur, die Bartsch selbst befestigt hat, war ein ulkiger Kopf mit einem Geweih aus Apfelbaumzweigen. Zwar verwendet er für die hölzernen Figuren Spezialfarbe, dennoch müsse man das Holz aufgrund der Witterung immer wieder streichen.

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Rund um das Haus von Klaus Bartsch turnen die seltbstgemachten Holzpuppen.

(Foto: Manfred Neubauer)

Seine wohl liebsten Kunstwerke heißen "Der reiche Arme" und "Die arme Reiche". Bartsch erklärt, was hinter den Titeln steckt: "Er hat lauter Geld, aber keine Kinder - sie hat lauter Kinder, aber kein Geld." Die Frage sei schließlich, wer von beiden letztendlich nun reicher sei. Das ungleiche Duo habe er dem Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann verkaufen wollen, erzählt Bartsch. "Ich bin bis zur Sekretärin durchgedrungen." Ansonsten habe er ein paar wenige Figuren verschenkt, aber nie eine verkauft. Daran habe er auch überhaupt kein Interesse, die Figuren mache er nur für sich selbst. "Es kann sein, dass ich all das eines Tages im Kamin verbrenne", sagt er und deutet mit einem Nicken auf die Figuren in seinem Wohnzimmer, während er an seiner Pfeife zieht. Er selbst würde seine Werke nicht einmal als Kunst bezeichnen, sondern eher als "Bastelei".

Die Reaktionen auf sein dicht bevölkertes Dach seien ganz unterschiedlich, sagt Bartsch. "Kunst ist ja eh so eine Sache." Frauen würden öfter das Gespräch mit ihm suchen als männliche Passanten. "Die Kinder sind besonders freundlich zu mir", erzählt der 81-Jährige lächelnd. Selbst in der Freinacht sei, obwohl er die Figuren auch da nicht abnehme, noch nie etwas passiert. Bartsch hat den Eindruck, dass seine "Basteleien" am Ort geachtet werden. "Manche meinen aber bestimmt, dass ich spinne."

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Auf dem Dach des Hauses in der Aufkirchner Straße in Schäftlarn geht es bunt zu.

(Foto: Manfred Neubauer)

Gerne würde Bartsch noch eine große Holzschlange auf sein Dach setzen, auf der ein paar Figuren reiten könnten. Aber: "So große Sachen mache ich nicht mehr." Stattdessen will er jetzt 30 kleine Figuren für sein Projekt "Der Aufstieg" herstellen. Die Figürchen sollen auf einer kleinen, schwarzen, von Gold überlaufenen Treppe nach oben kraxeln. "Die wollen alle zu mehr Erfolg, aber dabei behindern sie sich gegenseitig und schmeißen sich runter - unten eine ganze Masse, oben immer weniger", erklärt der ehemalige Unternehmensvorstand das geplante Projekt.

Zu seiner Arbeitsweise erklärt Bartsch: Er mache keine Zeichnungen, sondern sehe die Figuren im Holz, wenn er es länger betrachtet. Aus Plänen entstehe nur ein Zwang, ihnen zu folgen, ist er überzeugt. "Man darf da nicht denken." Vielleicht ist Klaus Bartsch deshalb auch bisschen wie der Jongleur, der auf seinem Dach sitzt. Die gesichtslose Holzfigur wirbelt sechs vergoldete Kugeln durch die Luft. Der schwarze Zylinder wird zur grinsenden Fratze. "Sobald der Jongleur darüber nachdenkt, was er tut", erklärt Bartsch, "fallen seine Kugeln runter."

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