Serie "Oh, mein Gott":Weil Wissen allein zu wenig ist

Lesezeit: 3 min

Am Anfang möchte sich Patricia Hermann erst einmal alles anschauen und wahrnehmen. (Foto: Robert Haas)

Patricia Hermann ist Pfarrerin. In Unterschleißheim tritt die 30-Jährige nun ihre erste Stelle an - in einer der mitgliederstärksten evangelischen Gemeinden im Raum München.

Von Alexandra Vettori, Unterschleißheim

Die dunklen Locken hüpfen, wenn Patricia Hermann von ihrer Profession erzählt. Einer Profession aus Leidenschaft, eine, die vieles vereint, was der 30-Jährigen wichtig ist und Freude macht. Den Kontakt mit Menschen zum Beispiel, ihren Geschichten, die Vielseitigkeit und die Spiritualität der Gottesdienste und Kasualien.

Patricia Hermann ist Pfarrerin, genau genommen erst seit gut zwei Wochen, obwohl sie schon Anfang März ihre erste eigene Kirchengemeinde übernommen hat. Die Ordination erhielt sie allerdings erst kurz danach, in Olching, zusammen mit fünf weiteren angehenden Pfarrern. Glaube, sagt sie, ist für sie aber nicht nur Kirche, "wenn ich den Menschen ernst nehme, da, wo er steht, dann ist das auch Christentum."

Unterschleißheim zählt zu den größten evangelischen Gemeinden im Umland

Dass Hermann gleich mit Unterschleißheim in ihr Berufsleben eingestiegen ist, einer Kirchengemeinde, die mit 4600 Mitgliedern zu den größten evangelischen Gemeinden im Münchner Umland gehört, sieht die junge Pfarrerin als eine Herausforderung. Es war ihre Wunschgemeinde, unter 21, die auf der Auswahlliste standen. Daran ändert auch nichts, dass erst im Juni die zweite Pfarrerstelle besetzt wird.

Bange ist ihr nicht, sie freut sich über die vielfältigen Aufgaben von Seelsorge über Religionsunterricht in den Schulen bis zur Verwaltung zweier Kinderhäuser und des Gemeindezentrums Maria-Magdalena-Haus. Außerdem, fügt sie mit einem schelmischen Lächeln hinzu, nach monatelanger Pfarrer-Absenz in Unterschleißheim sei klar: "Ich habe hier gute Leute an meiner Seite." Sie will es ruhig angehen lassen. "Ein Jahr braucht man, bis man die Gemeinde kennt. In der Zeit werde ich viel zuschauen und wahrnehmen."

Sich an theologischen und philosophischen Fragen zu reiben, reizt Hermann

Auf die Frage, wie es sich anfühlt, in einer Zeit das Pfarramt anzutreten, da die Gläubigen weniger werden, antwortet Patricia Hermann mit einer Geschichte aus dem Religionsunterricht bei einer zehnten Klasse. Sie hielt die Stunde im Rahmen ihres Vikariats. "Die Jugendlichen waren der Ansicht, dass es schon in Ordnung ist, wenn niemand mehr in die Kirche geht", erzählt sie.

Da habe sie zu bedenken gegeben, dass es dann auch irgendwann niemanden mehr wie sie selbst geben würde, jemanden der mit den Jugendlichen über ihre Sorgen, den gesellschaftlichen Druck oder den Sinn des Lebens diskutiert. "Da war dann das Erschrecken groß. Nein, du musst bleiben, haben sie gesagt", berichtet Hermann mit einem Lächeln.

Die Idee, dass sie Pfarrerin werden sollte, sei übrigens auch im Religionsunterricht der Kollegstufe entstanden, dank ihres Lehrers, wie sie erzählt. "Es hat mir schon damals gefallen, mich an theologischen, geschichtlichen und philosophischen Fragen zu reiben."

Trotzdem war sie nach dem Abitur alles andere als sicher, was ihre Berufswahl anbelangte. Sie stammt zwar aus einer gläubigen Familie, Kirche gehörte zum Leben. Doch in ihrer Freizeit waren es Sport und Musik, denen sie sich widmete. Patricia Hermann spielt Blockflöte, Alt- und Querflöte und tanzt gemeinsam mit ihrem Mann Standard und Latein. So absolvierte sie nach der Schule zuerst ein einjähriges Praktikum, was ohnehin eine Voraussetzung für einen evangelischen Pfarrer ist. Ein halbes Jahr davon war sie in einer Kirchengemeinde. "Das hat wahnsinnig viel Spaß gemacht, mit Menschen zu arbeiten", erzählt sie.

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Dennoch hat sie dann mit einem Lehramtsstudium begonnen, Mathematik und Theologie. Vor einem reinen Theologiestudium schreckte sie noch zurück, vor allem wegen der drei Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch, die Voraussetzungen sind. "Aber schon nach einem Semester Lehramtsstudium war mir klar: Das kann es nicht gewesen sein", erzählt sie. Das reine Vermitteln von Wissen genügte ihr nicht, die Tiefe fehlte.

Das Vertrauen der Menschen berührte die angehende Pfarrerin

Also entschied sie sich doch, sich durch die drei exotischen Sprachen zu ackern, sie begann mit Hebräisch. Und was sie so gefürchtet hatte, gelang erstaunlich leicht: In drei Semestern hatte sie die Sprachen dann abgehakt. "Das war vorher unvorstellbar für mich."

Nach drei Semestern in Heidelberg zog die gebürtige Regensburgerin, die in Memmingen aufgewachsen ist, nach München. Dort studierte auch ihr Mann Lehramt, mit ihm ist sie zusammen, seit sie 15 Jahre alt ist. Das Timing der beiden war perfekt, beide schlossen 2012 ihre Studien ab. Sie erfüllten sich noch einen besonderen Wunsch und reisten erst einmal viereinhalb Monate durch Südamerika, Patagonien, die Westküste entlang. Im Juli 2013 kamen sie zurück und Patricia Herrmann trat ihr Vikariat in Grafing an. "Das war die letzte Bestätigung, um zu wissen, dass ich die richtige Wahl getroffen habe", erzählt sie in ihrer frischen, positiven Art. Besonders berührt habe sie das Vertrauen der Menschen. "Ich sehe es als einen Schatz an, diese ganzen Lebensgeschichten hüten zu dürfen", sagt sie.

Auch die Arbeit in den Kindergärten und Schulen lernte sie schätzen, darin sieht sie eine ganz besondere Bedeutung ihrer Arbeit. "Die kirchliche Sozialisation kommt in der heutigen Gesellschaft abhanden, viele Kinder haben keine Chance mehr, Glauben als real zu erleben", hat sie beobachtet. Kindergärten seien da eine gute Chance, dem Glauben ganz niederschwellig zu begegnen. "Später dann ist der Glaube wie ein loser Faden, den man als Jugendlicher wieder aufgreifen kann", ist sie überzeugt.

© SZ vom 05.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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