SZ-Serie "Landmarken":Mass aller Dinge im Bierdorf

SZ-Serie "Landmarken": Reizvoller Blick aufs Bierdorf. Oben auf dem alten Malzturm liegt einem Aying zu Füßen.

Reizvoller Blick aufs Bierdorf. Oben auf dem alten Malzturm liegt einem Aying zu Füßen.

(Foto: Claus Schunk)

Der alte Malzturm der Brauerei Aying kommt an den höchsten Punkt von St. Andreas nicht heran. Doch der Bau ist das herausragende Symbol für das seit dem Jahr 1878 gewachsene Bierdorf.

Von Michael Morosow, Aying

Wenn ein Ausflügler im Bierdorf Aying den Kopf in den Nacken legt, dann muss nicht zwangsläufig ein Lager Hell oder eine Urweiße durch seine Kehle rinnen. Der geneigte Besucher kann ebenso durch das Kirchengeläut dazu angeregt worden sein, seinen Blick hinauf zum 43 Meter hohen Turm von St. Andreas zu richten, dessen goldenes Kreuz den höchsten Punkt des Ortes markiert.

"Gottes Segen streue aus - Über Dorf und unser Haus" lautet die Inschrift einer der fünf Glocken, gestiftet anno 1958 vom alten Bräu Franz Inselkammer und seiner Ehefrau Kreszenz. Just im selben Jahr schoss, vielleicht hundert Meter weiter nördlich, mit 25 Metern ein weiterer Riese in die Höhe: der Malzturm der Brauerei Aying.

Der Steinbau reicht St. Andreas nicht bis zur Zwiebelhaube, und seine Bedeutung für das Christentum tendiert gegen null. Das aber kann man auch einer frisch eingeschenkten Mass nachsagen, und wer an Ausflugstagen auf halbem Weg zwischen St. Andreas und Malzturm verweilt, also im Biergarten unter den Kastanien sitzt, der kann Bier und Malzturm das Profane großzügig nachsehen.

SZ-Serie "Landmarken": Der Malzturm wird so wie das alte Sudhaus der Brauerei nicht mehr genutzt.

Der Malzturm wird so wie das alte Sudhaus der Brauerei nicht mehr genutzt.

(Foto: Claus Schunk)

Am 2. Februar 1878 ging alles los

Der Turm ist ein aus der Ferne sichtbares Symbol einer prosperierenden Brauerei, die am 2. Februar 1878 die erste Halbe an den Mann brachte. "Von uns das erste Bier ausgeschenkt, sehr gut und alles voll Leut. Michl und Müller von Höhenkirchen solche Räusch, dass sie beim Heimfahren zehnmal umgeworfen", schrieb der erste Bräu Johann Liebhard in sein Tagebuch.

Der steinerne Lulatsch hat schon lange kein Malz mehr gesehen. Er steht leer und verlassen da, teilt sein Schicksal mit dem 1957 gebauten Sudhaus, in dem das damals weltweit erste Hydroautomatik-Sudwerk installiert worden ist. Er wird nicht mehr gebraucht wie die Mälzerei, die seinerzeit in einem alten Stall errichtet worden war, wie auch die Gär- und Lagerkeller, die heute ihren Zweck nicht mehr erfüllen dürfen. Wie auch die alte Picherei, in der die hölzernen Bierfässer innen mit Pech ausgestrichen wurden. Wenn etwas davon ins Bier gelangte, dann hatte der Bierfreund eben Pech gehabt.

Das in mehr als hundert Jahren gewachsene alte Brauerei-Ensemble mitten im Ort hat verwirkt, liegt seit 1999 im Dämmerschlaf. In jenem Jahr wurde es von einer moderneren Brauereianlage in den Schatten gestellt, die Franz Inselkammer senior am Ortseingang hatte hinstellen lassen, um seine Vorstellung von einer innovativen Landbrauerei verwirklichen zu können. In die neue Zeit hinübergerettet haben sich nur der Tiefenbrunnen und eine "geheime Bier-Pipeline, über die der heutige Bräu, Franz Inselkammer junior, mit einem Schmunzeln berichtet. Das kostbare Gut in Mineralwasserqualität sprudelt seit 1999 heute noch aus 176 Metern Tiefe und fließt über eine mehr als einen Kilometer lange Leitung zur neuen Brauereianlage. Inzwischen schöpft Braumeister Iwan aus vier Brunnen.

Mit der Gemeinde sei vertraglich vereinbart, dass im Notfall die Brauerei die Gemeinde mit Wasser versorgt und umgekehrt, berichtet der alte Bräu. Und als 1972, quasi als Vorhut, dort eine neue Abfüllanlage errichtet wurde, kam die Zeit der Bier-Pipeline. 27 Jahre lang floss unterirdisch neben Mineralwasser auch das Ayinger Bier von der alten Brauerei zur neuen Abfüllanlage. Nein, Angst, dass findige wie durstige Ayinger die Leitung "anzapfen" würden, habe man nicht gehabt, "höchstens, dass jemand in einen der Revisionsschächte runtersteigt", sagt Franz Inselkammer III., der seinen Vater 2010 als Ayinger Bräu abgelöst hat.

Brotzeitstüberl für die Brauereimitarbeiter

Der 33-Jährige schaut öfters nach dem Rechten auf dem weitläufigen alten Brauereistandort. In den Hallen riecht es nicht mehr nach Hopfen und Malz, auch nicht im Gärkeller. Aber viele Gerätschaften und Behältnisse stehen noch an ihren angestammten Plätzen. In der Pichlerei warten Dutzende Fässer mit Fassungsvermögen von bis zu 1000 Litern vergebens auf eine Pechbehandlung, In den verschlossenen Hallen lagern alte vergilbte Hefewannen, Gärbottiche, von denen der Lack abgeblättert ist, von der Decke baumeln Flaschenzüge. In der Malzannahme findet sich ein hölzernes Schreibbrett. Ein Papier, auf dem über Jahrzehnte die Malzlieferungen in Kilogramm notiert wurden, hat das Brett schon lange nicht mehr gesehen. Auch den alten Schalander gibt es noch, das Brotzeitstüberl für die Brauereimitarbeiter.

SZ-Serie "Landmarken": Franz Inselkammer III. hat seinen Vater 2010 als Ayinger Bräu abgelöst.

Franz Inselkammer III. hat seinen Vater 2010 als Ayinger Bräu abgelöst.

(Foto: Claus Schunk)

Einige der Holzfässer, die in einem Raum ohne Tageslicht aufgereiht dastehen wie die Soldaten der Terrakotta-Armee des ersten chinesischen Kaisers, sind wohl schon von der Rampe gerollt worden, als noch die am "Biersee" geschlagenen Eisplatten in den Kühlkeller gekippt wurden, als es zur Erntezeit in der Bräugasse für zwei Wochen zuging wie am Stachus und die Getreidebauern aus der Umgebung mit ihren Fuhrwerken eine lange Schlange vor der Gerstenannahme bildeten, als noch Rösser zum Fuhrpark der Brauerei gehörten und nicht wie heute zum Brauchtumerhalt geschmückt werden, als der leicht süßliche, dennoch würzige Malzgeruch zum Dorf gehörte wie der Weihrauchduft in St. Andreas, und es keinen Menschen gab, der sich darüber echauffierte.

Keines der Gebäude auf dem ehemaligen Brauerei-Gelände steht unter Denkmalschutz. Es handelt sich um ein Filetgrundstück mitten im Ort, das die Herzen von Immobilienhändlern höher schlagen ließe, aber auch die Fantasien nicht nur der Braufamilie, sondern auch der Ayinger Bürgerschaft beflügelt. In jeder Dorfversammlung werde gefragt: "Was wird aus der alten Brauerei?", sagt Angela Inselkammer, die Frau des alten und Mutter des neuen Bräu.

Mal schauen, wie es weitergeht

Aber einfach alles abreißen und das Grundstück versilbern will niemand in der Familie. "Wir haben den Anspruch, dass alles bestehen bleibt, weil es ortsprägend ist", sagt Angela Inselkammer. Wie es weitergeht? "Das harrt noch guter Ideen", sagt der alte Bräu. Ortsverträglich und schön müsse das Neue sein, und sich obendrein rechnen, sagt Angela Inselkammer. Ein ganz neues Ensemble könnte entstehen, mit Handwerksbetrieben, die produzieren und verkaufen, mit Schuster, Schneider, Café und Konditor, Hotel mit Tagungsräumen - Hauptsache, es fügt sich ins Ortsbild und rechnet sich.

Der Malzturm hat auch bei den Zukunftsplänen eine herausragende Stellung. Sieben Stockwerke à 100 Quadratmeter, die obersten mit einem sensationellen Blick über Dorf und Umland. Und mit Gottes Segen ausgestattet. Da lohnt es sich, öfter mal den Kopf in den Nacken zu legen.

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