SZ-Serie: Landmarken im Landkreis München:Maß und Ziel

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Die Vermessungsstation auf dem Gelände der Universität der Bundeswehr in Neubiberg. (Foto: Angelika Bardehle)

Die Vermessungsstation auf dem Gelände der Bundeswehruniversität Neubiberg ist die Wiege der Satellitennavigation in Deutschland

Von Daniela Bode, Neubiberg

Sie liegt versteckt im nordöstlichen Eck des Geländes der Bundeswehruniversität in Neubiberg. Ein runder Flachbau in Metalloptik mit Glasfoyer, auf dem eine weiße Kuppel thront, die sich öffnen lässt. Als die geodätische Messstation 1992 eröffnet wurde, war sie eine der modernsten in Europa. Weil sich die Geodäsie, also die Wissenschaft zur Vermessung der Erde, aber so schnell weiterentwickelte, war sie schon bald überholt.

Das änderte aber nichts an ihrer Bedeutung. Denn am damaligen Institut für Astronomische und Physikalische Geodäsie hat Professor Günter Hein als einer der ersten in Deutschland die Satellitennavigation wissenschaftlich aufgebaut. Die Messstation ist ein schillerndes Beispiel dafür, welche Bedeutung Neubiberg als Wissenschaftsstandort zukommt.

Die Idee für den besonderen Bau kam schon Mitte der 1970er Jahre auf, berichtet Bernd Eissfeller, der 2008 das Institut von Hein übernahm. "Erik W. Grafarend leitete damals das Institut für Astronomische und Physikalische Geodäsie und wollte hier ein Labor aufbauen, in dem er astronomische Geodäsie betreiben konnte", erklärt der Professor. Also etwa mit Winkelmessgeräten die genauen Koordinaten der Sterne und des Standortes bestimmen.

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Professor Bernd Eissfeller arbeit seit 1984 an dem Institut für Astronomische und Physikalische Geodäsie.

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"Das Baumaterial wurde aus Italien geholt", erinnert sich Eissfeller.

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2,1 Millionen Mark hat die Messstation gekostet.

Schwingungen der Gebäude sollen die Messungen nicht stören

Als Grafarend 1980 den Ruf an die Universität Stuttgart erhielt, lagen die Pläne beim Finanzbauamt erst einmal auf Eis. Erst Günter Hein, der 1983 das Institut übernahm, gelang es nach geschickten Verhandlungen, dass die Messstation 1992 gebaut wurde. Die Universität selbst mit ihren heute 3000 Studenten war 1973 gegründet worden.

Das Projekt war nicht nur für das Institut, sondern auch für den jungen Architekten des Finanzbauamts spannend. "Er war Feuer und Flamme", erinnert sich Eissfeller, der seit 1984 am Institut arbeitet und die Bauphase miterlebt hat. "Er sagte, es sei endlich mal ein Behörden-Bauwerk, bei dem man ein bisschen gestalten kann." Der Architekt entwarf also einen runden Bau mit viel Glas, einem zentralen Beobachtungspfeiler in der Mitte, der vom Gebäude entkoppelt ist, damit Schwingungen des Gebäudes die Messungen nicht stören können. Daher wurde das Gebäude auch am Rande des Campus gegründet.

Rundherum finden sich Büros, eine Bibliothek, Computerräume. Der Architekt achtete auch auf Details. Eissfeller macht auf die Messingringe an den Betonpfeilern und die dunkelgrauen Bodenplatten im Inneren aufmerksam. "Das Baumaterial wurde aus Italien geholt. Das war am Limit des Machbaren", erzählt er. Am Ende kostete der Bau 2,1 Millionen Mark.

Der Wandel kam mit dem GPS-System

In der Messstation wurden fortan die Studenten des Vermessungswesens ausgebildet. Außerdem war und ist der Bau ein hochkarätiges Labor. Auf dem zentralen Pfeiler stellten die Wissenschaftler Gravimeter und Theodoliten auf, um bei geöffneter Kuppel Erdgezeiten und Schwerefelder zu messen. Rund zehn Mitarbeiter forschten damals am Institut. Schon vor der Eröffnung der Kuppel hatte sich aber laut Eissfeller ein Wandel in der Geodäsie abgezeichnet, als die Amerikaner beschlossen, ihr GPS-System, also ihr Satellitennavigationssystem in den Orbit zu bringen.

Als Anfang der 1980er Jahre auch begonnen wurde, GPS für Vermessung und Geodäsie zu verwenden "sprang Herr Hein auf diesen Zug auf", berichtet Eissfeller. Sie hätten ein neues Forschungsgebiet gesucht. "Wir haben dann in Deutschland als Pioniere die präzise Satellitenvermessung und Satellitennavigation aufgebaut", sagt der Professor. Sie versuchten am Institut nun also, per GPS Positionen zu bestimmen, die Daten zu speichern und am Computer auszuwerten, statt mit klassischen Methoden wie trigonometrische Punkte auf Bergen zu vermessen. "Das hat zu einem technologischen Wandel im Vermessungswesen weltweit geführt", erinnert sich Eissfeller.

Die Entwicklung hatte auch Konsequenzen für die Messkuppel: Ende der 1980er Jahre war laut dem Professor klar, dass man keine astronomische Geodäsie mehr braucht. Also stellten die Wissenschaftler außer den Gravimetern auch ihre Navigationsgeräte auf den zentralen Messpfeiler. Die Studenten wurden weiter auch in den klassischen Methoden unterrichtet.

Mitte der 1990er Jahre musste sich das Institut noch einmal neu ausrichten. Weil man Satellitennavigation immer mehr auch zivil nutzte - etwa in Mobiltelefonen und Navigationssystemen in Autos - kam die Europäische Weltraumorganisation (ESA) zum Schluss, dass Europa ein eigenes Satellitensystem braucht. Es fiel die Entscheidung, Galileo bauen zu wollen. "Wir waren die Know-How-Träger der ersten Stunde, wir haben die Industrie beraten", sagt Eissfeller.

Der Studiengang wurde 2012 geschlossen

Das Institut erlebte einen Aufschwung, rund 25 wissenschaftliche Mitarbeiter waren nun dort tätig. In der Messkuppel in Neubiberg wurde 2006 auch die Weiterentwicklung des grundlegenden Abkommens zwischen Frankreich, Großbritannien und Deutschland mit den USA diskutiert - über ein gemeinsames Signal, das man bei Galileo und GPS nutzt.

2008 übernahm Eissfeller die Leitung des Instituts, weil Günter Hein als "Head of Galileo" zur ESA wechselte. Das Institut heißt seitdem Institut für Raumfahrttechnik und Weltraumnutzung. Rund 100 Studenten belegen derzeit das Fach Luft- und Raumfahrttechnik, 16 wissenschaftliche Mitarbeiter forschen nun am Institut mit der Messkuppel. Eissfeller und seine Kollegen arbeiten heute etwa an dreidimensionaler Raumgeodäsie. Sie untersuchen dabei, wie man Forschungssonden im Weltraum positionieren kann, um Asteroiden genau anfliegen zu können.

Auf der Wiese neben dem Gebäude und in einem der heutigen Büros erinnern noch immer entkoppelte Säulen an die Zeit, als noch mit Gravimetern gemessen wurde. Der Studiengang Geodäsie wurde 2012 geschlossen. Die Messkuppel dient heute als Labor für Globale Satellitennavigationssysteme und Navigation in der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik.

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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