SZ-Serie: "Landmarken" im Landkreis München:Gipfelstürmer im Niemandsland

SZ-Serie: "Landmarken" im Landkreis München: Der Perlacher Mugl ist Rastplatz, Infostand und Aussichtsplattform.

Der Perlacher Mugl ist Rastplatz, Infostand und Aussichtsplattform.

(Foto: Claus Schunk)

Der Mugl im Perlacher Forst gehört den Bayerischen Staatsforsten, doch die Unterhachinger haben den Hügel längst adoptiert. Bedauerlich finden manche nur, dass er so zuwächst.

Von Michael Morosow, Unterhaching

Ein wenig schnaufen muss man schon, bis der höchste Punkt erreicht ist. Es ist angenehm still hier. Kein Lüftchen weht, und die Kreuzschnäbel, Schwarzspechte und Tannenhäher, die hier oben sonst gerne die Baumwipfel als Konzertbühne nutzen, halten wohl Mittagsschlaf. In der Ferne spitzen graublau die markanten Gipfel der Alpen hinter den Wäldern hervor, die sich wie ein dunkelgrüner Teppich vom Perlacher Forst bis zu Karwendel und Zugspitze auszubreiten scheinen.

Gerade einmal 26 Meter über den Waldboden hinaus ragt der Mugl

Hier oben findet sich kein Gipfelkreuz, das wäre aber auch wirklich maßlos übertrieben. Hier oben steht man nicht auf einem Berg, nicht einmal auf einem Bergerl, allerhöchstens auf einem Mugl, wie man im österreichisch-bayerischen Sprachraum zu einem kleinen Hügel sagt. Hier oben, das sind 587 Meter über dem Meeresspiegel, gerade einmal 26 Meter über dem Waldboden des Perlacher Forstes. Ein kleiner Fliegenschiss nur im Vergleich zu den Bergmassiven im Süden, aber erhaben genug, um den höchsten Punkt des Perlacher Forstes zu markieren.

Wie auch immer: Für die Unterhachinger ist der Perlacher Mugl ohnehin das Höchste. Nicht nur an Silvester, wenn die Leute hinauf laufen, um einen Premium-Rundblick auf das Feuerwerk in der Umgebung zu genießen. Ruheoase, Abenteuerspielplatz, Schlittenbergerl, ein kleines Naturparadies ist der Hügel außerdem. Und in seinem Bauch schlummert jüngere Geschichte, wenn auch keine angenehme.

Er hat noch nicht viele Jahre auf dem Buckel, der Mugl. Wenn jemand vor 50 Jahren an dieser Stelle 26 Meter über dem Waldboden das Feuerwerk gesehen hat, dann konnte das nur ein Vogel gewesen sein, der Mugl steht hier erst seit Anfang der 70er-Jahre. An der Stelle, wo er sich heute erhebt, breitete sich einstmals eine bei Jägern bekannte Hirschbrunftwiese in der Nähe des Roten Hauses aus, eines Wittelsbacher Jagdschlosses aus dem 18. Jahrhundert. Im Süden der Hirschwiese kann man die alte Suhllacke noch als Bodenmulde erkennen. Bis ins Jahr 1944 hinein stand hier auch das Haus des ehemaligen königlichen Wildwärters.

Unter dem Hügel ließ man auch Kriegsgeschichte verschwinden

Die Geburtsstunde des Mugl schlug im Jahr 1970, als die A 995 mit dem Mittleren Ring verbunden und das Aushubmaterial des McGraw-Grabens und diverser U-Bahn-Baustellen auf einer Wiese neben dem Forstweg "Isar Geräumt" gekippt wurde. Dabei entstanden genaugenommen zwei Hügel, der große Mugl (26 Meter) und der kleine Mugl, der nur elf Meter hoch ist und als eigenständige Erhebung gar nicht wahrgenommen wird.

Mit dem Giesinger Schutt konnte man in einem Aufwasch auch ungeliebte Fremdkörper von der Bildfläche verschwinden lassen: eine im Zweiten Weltkrieg im Perlacher Forst errichtete Bunkeranlage mit Flugabwehrgeschützen - meterdicke, stahlbewehrte Betonwände, bis zu 25 Meter hoch. Von ihrem ursprünglichen Vorhaben, die frei stehende Bunkeranlagen einzureißen, hatte die Nachkriegsregierung angesichts deren massiver Bauweise schnell wieder abgelassen.

Die gute Idee, die NS-Hinterlassenschaft unter Münchner Schutt dem Vergessen anheim zu geben, hatten laut Renate Kreuzer, der Revierleiterin des Perlacher Forstes, Studenten der Technischen Universität München, Fachrichtung Landschaftspflege, und ihr Professor Ralph Ammer. Dabei seien mehrere Pläne entworfen worden, auch welche mit vielfältigeren Maßnahmen wie etwa die Schaffung einer Spielzone, sagt Kreuzer und erklärt auch gleich, warum es am Ende doch auf Variante "Mugl pur" hinausgelaufen war: Das alles sei sehr pflegeintensiv und man habe sich damals die Frage gestellt: "Wer macht das dann?" Niemand, lautete wohl die Antwort.

Dabei spielte wohl die Tatsache eine Rolle, dass der Perlacher Forst politisch ein Niemandsland ist, eine Enklave also, umschlossen von Münchner Stadtvierteln und den Gemeindegebieten im Hachinger Tal und im Isartal. Der Wald steht im Besitz der Bayerischen Staatsforsten, die es aus verständlichen Gründen nicht als ihre vorrangige Aufgabe sehen, aus eigener Tasche nicht nur eine Freizeitanlage zu finanzieren, sondern auch noch die laufenden Unterhaltskosten dafür zu übernehmen.

Die Unterhachinger adoptierten den heimatlosen Mugl

Der kleine und der große Mugl sind also faktisch heimatlos, im ideellen Sinne sind sie freilich schon längst von den Unterhachingern adoptiert worden. So etwa von Thomas Portenlänger, heute Hauptamtsleiter im Unterhachinger Rathaus, als Bub quasi mit dem Mugl groß geworden. Er erinnert sich noch gut an die Zeit, da über Jahre hinweg Kipplaster Bauschutt, Kies und Erde um die Betonbunker abluden, bis diese schließlich zur Gänze zugeschüttet waren und ein Schlittenbergerl entstand, das seinesgleichen suchte im weiten Umkreis, allenfalls übertroffen durch den Olympiahügel, der gleichzeitig entstanden ist. In Karawanen seien in verschneiten Wintern er und viele andere Unterhachinger Buben und Mädchen in Richtung Mugl gezogen, ihre Schlitten hinter sich herziehend, erinnert sich Portenlänger. 26 Meter Höhe garantierten eine fetzige Schussfahrt - und an Silvester einen Panoramablick par excellence. Als Buben seien sie früher mit den Eltern regelmäßig zum Feuerwerk schauen raufgegangen, berichtet Portenlänger.

Heute sind rasante Schlittenfahrten nicht mehr möglich, der Mugl ist von unten bis oben zugewachsen. Feldahorn, Buchen und Kirschbäume, Brombeer- und Holundersträuche, Brennesseln und andere Gewächse haben, sicher zur Freude von hier lebenden Schlingnattern, Wurzeln geschlagen und wuchern ungebremst. Diese Sukzession war freilich von Professor Ammer und seinen Studenten gewollt, ausschließlich begrüßt wird sie nicht. "Den Wendelstein sieht man fast gar nicht mehr", sagt Erich Schnell, Hobby-Ornithologe aus Harlaching, der von hier oben regelmäßig die Vogelperspektive genießt und es beklagenswert findet, dass die Brombeerstauden zum Teil den Blick auf den Alpenhauptkamm versperren. "Das wird von Jahr zu Jahr schlimmer" sagt der Vogelfreund.

Als Abenteuerspielplatz taugt der Perlacher Mugl heute noch

Drei junge Mountainbiker aus Harlaching kommen jetzt schwitzend oben an und setzen sich unter das Schatten spendenden Dach des sechseckigen Pavillons. Er präsentiert an seinen Wänden sechs anschauliche Informationstafeln, die den Besucher über die regionale Wald- und Forstgeschichte von der Eiszeit bis heute informieren. Eine Panoramatafel unter Glas ermöglicht es den Besuchern, die wichtigsten Alpengipfel genau zu bestimmen. Die Plexiglasscheibe wurde schon einmal eingeschlagen, später das Dach des Pavillons angezündet, wahrscheinlich während nächtlicher Partys von Jugendlichen. Die Scheibe ist ersetzt worden, das Dach wurde heuer erneuert.

Dem Mugl den Buckel runterrutschen können die Kinder und Jugendlichen heute zwar nicht mehr, aber als kleiner Abenteuerspielplatz ist er ihnen erhalten geblieben. Und in Berggefahr gerät kein "Gipfelstürmer", außer er missachtet ein Warnschild, das ihn auf ein Wespenvorkommen dort oben hinweist und von "provozierendem Verhalten" abrät.

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