SZ-Serie: Landmarken, Folge 27:Auf dem Abstellgleis

SZ-Serie: Landmarken, Folge 27: Vergilbt, ergraut, vergessen: Das Feldkirchner Stellwerkhäuschen ist nicht mehr in Betrieb - und offensichtlich nicht mehr in Form.

Vergilbt, ergraut, vergessen: Das Feldkirchner Stellwerkhäuschen ist nicht mehr in Betrieb - und offensichtlich nicht mehr in Form.

(Foto: Claus Schunk)

Früher saßen Fahrdienstleiter wie Martin Freiberger im Feldkirchner Stellwerkhäuschen. Heute droht dem Gebäude der Abriss, der Bahnbetrieb wird hauptsächlich von der Betriebszentrale aus gesteuert

Von Franziska Dürmeier, Feldkirchen

Das kleine, alte Häuschen am Rande der Feldkirchner Bahngleise ist ganz offensichtlich Nebensache geworden: Mit vergilbtem und ergrautem Putz, dem wettergegerbten, grün-braunen Dach, den Graffiti, verbarrikadierten Türen und Fenstern thront das marode Gebäude inmitten des Bahnhofs - und ist doch wertvolles Relikt der Vergangenheit. Warum das Haus nicht schon längst das Schicksal vieler anderer Bahnwärter- oder Stellwerkhäuschen teilt und abgerissen wurde, ist ein Rätsel. Fünf Jahre lang steht das zweistöckige Gebäude schon leer, auch die Besitzerin, die Deutsche Bahn, sieht keinen Nutzen mehr in dem alten Gemäuer.

Einer der wenigen, der die Geschichte des Häuschens näher kennt, ist Martin Freiberger aus Heimstetten. Er kam in den späten 1960ern nach Feldkirchen, um dort als Fahrdienstleiter die Zugfahrten zu koordinieren. Vom zweiten Stock aus, dessen Frontseite früher komplett verglast war, so erinnert er sich, hatte er einen Blick über den ganzen Bahnhof. Ohne den heute 77-Jährigen durfte damals kein Zug einfahren. Erst mit seiner Zustimmung, wenn er das Signal auf "Fahrt" stellte, durfte der Triebfahrzeugführer mit seinem Zug anrollen. Ein Schichtdienstsystem stellte sicher, dass der Posten stets besetzt war, erzählt Freiberger. Auch etwa an Silvester oder Weihnachten.

Im unteren Stockwerk befand sich damals nur Technik, oben saßen die Bediensteten. Mit einem großen Hebel konnten die Fahrdienstleiter damals die Signale betätigen, sagt der 77-Jährige. Zugmelder des Nachbarschaftsbahnhofs meldeten den Zug an. Wenn die Schrankenwärter entlang der Strecke dann ihr "Ja" gemeldet hatten, gaben die Fahrdienstleiter die Strecke frei. Zwischen Riem und Feldkirchen saßen damals etwa vier Wärter, deren Zustimmung unverzichtbar gewesen sei, damit der Zug fahren durfte, erklärt Freiberger. Etwa 1968 wurde das mechanische Stellwerk stillgelegt und durch eine moderne, elektromechanische Anlage ersetzt.

Wenn Martin Freiberger heute auf dem Feldkirchner Bahnhof steht und auf das Häuschen blickt, bleibt er unemotional. Verändert hat sich ihm zufolge hier nicht viel. Nur das Bahnsteigdach und die Unterführung habe es damals noch nicht gegeben. Wenn ein Personenzug kam, wurde ein Absperrzaun weggerückt - und die Passagiere liefen über die Gleise zum mittleren Bahnsteig, wo sie ein- und ausstiegen. "Da oben mussten wir aufpassen, dass keine Leute auf den Gleisen sind, wenn der Zug kam", sagt Freiberger und deutet nach oben. Denn auch diese Aufgabe fiel den Fahrdienstleitern zu: Alles im Blick behalten und die Passagiere schützen. Auf der anderen Seite des Gleises, im Bahnhofshaus, befanden sich ein großer Warteraum und ein Schalter mit Fenster zum Fahrkartenverkauf. Und ganz früher habe über die Gleise eine Eisenbrücke geführt. Sehr wohl geändert habe sich aber der Zugverkehr: Inzwischen fahren wesentlich mehr Personenzüge. Güterzüge rollen immer noch zahlreich ein. "Nachts kamen so zwanzig bis dreißig Güterzüge", erinnert sich Freiberger. Und die seien vor allem Richtung Bayerisches Chemiedreieck unterwegs gewesen, etwa zum ehemaligen Aluminiumwerk Töging am Inn und dem Stickstoffwerk Trostberg. "Da war was los", sagt er. Personenzüge fuhren damals etwa alle ein oder zwei Stunden, nur während des Berufsverkehrs erhöhte sich der Takt leicht. "Um 23.30 Uhr kam der letzte Personenzug nach Mühldorf, dann erst wieder um 5.30 Uhr." Die Zeiten haben sich dem Eisenbahner bis heute eingebrannt.

Etwa 1970 wurde das Häuschen zur Schlafunterkunft für Rangierpersonal umfunktioniert und entsprechend umgebaut, sagt der ehemalige Fahrdienstleiter. Heute sitzen die Bediensteten gegenüber im Bahnhäuschen. Beachtung finden sie dort nur noch wenig. Und an dieser Stelle wird Martin Freiberger das erste Mal leicht wehmütig: "Der Bahnvorstand war damals mehr wert, der kam gleich nach dem Bürgermeister." Heute geschehe vieles im Bahnbetrieb ferngesteuert von der Betriebszentrale aus. Das Überbleibsel mit den großen Lettern "Feldkirchen" erinnert dennoch daran, wie die Bundesbahn mit ihrem kleinen Häuschen zum wesentlichen, ortsprägenden Element von Feldkirchen geworden ist.

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