Hundert Tage im Amt:Die Überstunden zahlen sich aus

Hundert Tage im Amt: Mindy Konwitschny hat sich auf dem Balkon vor ihrem Büro eingerichtet. Sie frühstückt dort nicht nur, sie verbringt dort auch viel Zeit am Laptop.

Mindy Konwitschny hat sich auf dem Balkon vor ihrem Büro eingerichtet. Sie frühstückt dort nicht nur, sie verbringt dort auch viel Zeit am Laptop.

(Foto: Claus Schunk)

Mindy Konwitschny, neue SPD-Bürgermeisterin in Höhenkirchen-Siegertsbrunn, arbeitete sich rasch ein und verschaffte sich Respekt.

Von Bernhard Lohr, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Mindy Konwitschny hat einen neuen Lieblingsplatz. Die Wahl traf sie nicht ganz freiwillig. Aber die neue SPD-Bürgermeisterin von Höhenkirchen-Siegertsbrunn ist bei dem kleinen, späten Frühstück mit Butterbreze und Tasse Kaffee die Zufriedenheit darüber anzusehen, dass sie den Balkon ihres Büros im Rathaus hat herrichten lassen. Der wilde Wein wurde zurückgeschnitten und es wurde ein Tischchen aufgestellt. Dort verbringt Konwitschny mit dem Laptop einen Teil der vielen Überstunden, die seit ihrem Einzug ins Rathaus im Mai anfallen. Denn der Job verlangte ihr vom ersten Tag an vollen Einsatz ab: Zur Corona-Krise kamen die Debatten über die Realschule und den Bahntunnel - und vieles, vieles mehr.

Eine Schonfrist gab es nicht. Die ersten zwei Monate, sagt Konwitschny, waren "gefühlt zwei Jahre". In der Zeit habe sie den "schönen Platz" mit dem "schönen Blick" auf den Hof und über die Wälder südlich von Höhenkirchen schätzen gelernt. Für die Gemeinde erwies es sich als Glücksfall, dass jemand ins Bürgermeisterbüro einzog, der in den vergangenen sechs Jahren oft die Chefin Ursula Mayer (CSU) vertreten hat. Die Aufgaben stürzten nur so über die Neue herein. Dazu kam eine nur in Rudimenten vorhandene Verwaltung, ohne Geschäftsleitung und Bauamtsleiter.

Lob kommt von einem der schärfsten Kritiker: "Respekt!"

Es sind zwei Schlüsselpositionen, ohne die ein Rathaus eigentlich kaum zu führen ist. Vor allem, wenn von heute auf morgen unter Druck aus dem Landratsamt und benachbarten Rathäusern Entscheidungen zu treffen sind: Soll die Realschule wirklich für zig Millionen Euro Mehrkosten am Ortsrand entstehen? Bricht mit dem Schulbau am Bahnhof der Verkehr zusammen? Und: Gibt es jetzt die Chance, den seit Jahrzehnten ersehnten Bahntunnel zu bekommen?

Hätte es eines Beweises bedurft, dass Konwitschny ihre Aufgaben bisher gemeistert hat, dann erbrachte ihn in der letzten Sitzung des Gemeinderats vor den Ferien einer ihrer schärfsten Kritiker. Otto Bußjäger (Unabhängige Bürger) erhob sich von seinem Platz, trat in der Mehrzweckhalle, wo das Gremium coronabedingt tagt, ans Mikrofon und sagte "Respekt", und nochmal, "Respekt". Es sei beachtlich, was die Bürgermeisterin "in 83 Tagen im Amt" für einen Sitzungsmarathon bewältigt und an "Entscheidungsstau" abgearbeitet habe. Konwitschnys Antwort steht dafür, warum ihr vieles gelingt: "Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen."

Mindy Konwitschny nimmt sich selbst zurück. Das scheint zu motivieren; das Rathaus funktioniert. Trotz fehlender Geschäftsleitung sind die Sitzungen in jüngster Zeit gut vorbereitet, die Unterlagen sind umfassend und die Beschlussvorschläge so formuliert, dass sich viele Gemeinderäte mitgenommen fühlen. Sitzungen dauern trotz umfangreicher Tagesordnungen und komplexer Fragestellungen nicht lang. Auch wenn etwa bei der Entscheidung über eine Lösung der Raumnot an der Erich-Kästner-Schule Millionensummen im Raum stehen und mancher gerne die Schule abreißen würde. Das Votum ist am Ende eindeutig.

Beim Treffen an ihrem Lieblingsplatz auf dem Bürgermeisterbalkon wirkt Konwitschny zufrieden, vor allem aber konzentriert und fokussiert. Konwitschny ist in Alkmaar in den Niederlanden geboren, lebte in ihrer Jugend in der Schweiz und studierte Psychologie, Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre. Bei ihrem Studium in München lernte die heute 47-Jährige ihren Mann kennen. Seit 2000 lebt die Familie in Höhenkirchen-Siegertsbrunn, zu der drei Töchter und ein Sohn gehören. Mindy Konwitschny leitete zuletzt die Seniorenbegegnungsstätte Kaiserstiftung in Hohenbrunn, war aber als Gemeinderätin, SPD-Ortsvereinsvorsitzende und Zweite Bürgermeisterin schon halb im Rathaus zuhause. Sie gilt als zielstrebig und fleißig. Auf die Übernahme des Bürgermeisteramts arbeitete sie entsprechend hin. Ja, sagt sie ungerührt auf die Frage, ob sie wirklich jeden Wähler im Wahlkampf angesprochen habe: "Ich habe an jeder Tür geklingelt."

Und so stoisch arbeitet sie die vielen Baustellen in der Gemeinde ab. Die ärgsten Personalnöte, die die Amtszeit der Vorgängerin überschatteten, werden langsam behoben. Seit 1. August sitzt zwei Zimmer weiter Nina Schierlinger, die zuvor im Rathaus Baierbrunn in selber Funktion tätig war, als neue Geschäftsleiterin. Konwitschny verkündet Zug um Zug Erfolge bei der Suche nach Personal für die Kinderbetreuungseinrichtungen. Sie versucht Konflikte bei der Feuerwehr auszugleichen und kündigt ein Verkehrskonzept an.

"Es ist gut, dass wir tolle Mitarbeiter haben."

Sie will die Bauleitplanung im Ortszentrum voranbringen und denkt darüber nach, die Kinderbetreuungseinrichtungen ganz neu aufzustellen. "Es ist gut, dass wir tolle Mitarbeiter haben", sagt sie dabei. Mit intensiver Teamarbeit, viel Kommunikation, gleiche man die fehlende Leitung im Bauamt aus, sagt sie. "Das bedeutet für uns alle natürlich Mehrarbeit."

Bislang ziehen alle mit. Aber die Herausforderungen bleiben groß. Höhenkirchen-Siegertsbrunn ist finanziell schlecht aufgestellt. Die Infrastruktur ist in die Jahre gekommen. Das Rathaus und Konwitschnys Balkon, auf dem am Boden Fliesen fehlen und die Fenster einen Anstrich gut vertragen könnten, sind das beste Beispiel.

Ein Bürgerentscheid zum Realschulstandort steht ins Haus. Das Thema polarisiert, und ihre eigene Haltung formuliert die Bürgermeisterin vorsichtig. Wer nachfragt, erfährt, dass sie es für keine Katastrophe hielte, würde die Schule in Hohenbrunn gebaut. Die Meinung der Bürger, das signalisiert Konwitschny immer wieder, ist ihr heilig. "Es ist mir ein ganz wichtiges Anliegen, dass alles ernst genommen wird", sagt sie etwa über die Bürgerbeteiligung zu den geplanten Windkraftanlagen im Höhenkirchner Forst, die in einer Online-Veranstaltung kürzlich auch noch über die Bühne ging.

Dabei ist diese zurückhaltende Frau dieselbe, die sich mit Ehrgeiz und Disziplin als Sozialdemokratin mit Wurzeln in den Niederlanden in der dörflich strukturierten Gemeinde durchgesetzt hat. Keiner sollte sich täuschen: Konwitschny weiß, was sie will. Sie genießt Respekt und hat Respekt vor den gewachsenen Strukturen und schätzt Traditionen. Doch sie hat auch Vorstellungen von einer modernen Gemeinde. "Ich möchte schon, dass Höhenkirchen-Siegertsbrunn mit der Zeit geht", sagt sie und denkt an Schulen, an denen innovativer Unterricht möglich ist und an eine Mobilität, bei der Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer gleichberechtigt sind. "Ich möchte die Lebensqualität von uns allen verbessern", sagt sie. Anregungen holt sich Konwitschny da, wo sie sie herbekommt. Sie hat halt schon viel erlebt und gesehen.

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