SZ-Serie "Das erste Jahr"Vier Fraktionen plus Gantzer

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Andreas Bukowksi, Gemeinde Haar: Als der Quereinsteiger den Einstieg ins Rathaus schaffte, hoffte mancher auf einen neuen Stil. Doch Meinungsverschiedenheiten und auch Streit gehören weiter zum Geschäft.
Andreas Bukowksi, Gemeinde Haar: Als der Quereinsteiger den Einstieg ins Rathaus schaffte, hoffte mancher auf einen neuen Stil. Doch Meinungsverschiedenheiten und auch Streit gehören weiter zum Geschäft. (Foto: Claus Schunk)

Der langjähriges SPD-Landtagsabgeordnete ist nur schwer in die Fraktionsdisziplin einzubinden und macht im Gemeinderat auch dem neuen CSU-Bürgermeister Bukowski immer wieder das Leben schwer. Der agiert hemdsärmelig und hat es nicht geschafft, das Gremium zu befrieden

Von Bernhard Lohr, Haar

Manchmal wird es erst richtig interessant, wenn die eigentliche Sitzung vorbei ist. Dann, wenn Bürger die Gelegenheit nutzen, dem Bürgermeister oder den Gemeinderäten mit einer Frage auf den Zahn zu fühlen. Letztens erhob sich Carmen Gnann von den Zuschauerplätzen auf der Empore des Bürgerhauses, in dem der Haarer Gemeinderat derzeit tagt, und äußerte sich zum Bahnhof, dem Aufregerthema am Ort, das die CSU mit einer Unterschriftenaktion aufgegriffen hat. "Es beschämt mich, dass alles so schleppend vor sich geht", sagte sie. Und sie fragte, warum es die Parteien nicht schafften, gegenüber der Deutschen Bahn an einem Strang zu ziehen. "Ich habe das Gefühl, dass das auf meine Kosten geht."

Damit hatte Gnann mitten hineingestoßen ins Wespennest. Es war eine Steilvorlage, wie gemacht dafür, dass CSU, SPD, Grüne und die in Person von Peter Siemsen neu im Gremium vertretene FDP Position beziehen. Es hätte eine schöne, vielleicht manches klärende Kontroverse entstehen können. Doch es blieb bei einem kurzen Satz von Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU), der sagte, es habe im Gremium eben "Uneinigkeit" darüber bestanden, ob der Kioskneubau wie von der Bahn angeboten umgesetzt werden solle.

Man war sich also wieder mal nicht einig im Haarer Gemeinderat. Insofern hat sich nichts geändert zu früher, als regelmäßig vor allem die SPD und die CSU aneinandergerieten, weil sie unterschiedlicher Meinung waren, was das Beste für die Gemeinde wäre. Einiges kam zusammen, dass die SPD im März 2020 die Wahl verlor und mit Andreas Bukowski erstmals ein CSU-Bürgermeister im Rathaus einzog. Ein Grund war sicher,dass Bukowski eine Sehnsucht bediente, als er ankündigte, als Bürgermeister das Lagerdenken aufzubrechen. So trat er dann auch an und regte die einzelnen Gemeinderäte an, sich mit Diskussionsbeiträgen einzubringen und Fraktionsdenken zu überwinden. Er installierte Arbeits- und Initiativkreise, in denen die Gemeinderäte an Sachthemen arbeiten sollten. Und neue Bündnisse entstanden, auch weil die gestärkten Grünen als dritte Kraft mehr denn je eine eigenständige Rolle im Gremium beanspruchen.

Dennoch kommt es vor, dass sich die Gemeinderäte nicht einig sind. Und das hat früher wie heute manchmal weniger mit einer Streitlust zu tun, wie von außen manche annehmen, als vielmehr mit Überzeugungen. Der Haarer Gemeinderat war in der Vergangenheit schon immer ein Gremium, in dem diszipliniert gearbeitet wurde. Freilich prägte der Dualismus aus einer starken SPD und einer CSU, die auch in Haar endlich das Sagen haben wollte, das Geschehen. Mit dem neuen Bürgermeister und den neuen Mehrheitsverhältnissen gehört immerhin diese rot-schwarze Rivalität der Vergangenheit an. Dafür gibt es neue Hakeleien - und sogar heftigere Kontroversen als früher.

Manche sagen, im Haarer Gemeinderat seien neuerdings vier Parteien vertreten - und Peter Paul Gantzer, 82. Den früheren, langjährigen Landtagsabgeordneten und prägenden Kopf seiner Partei im Landkreis hat es zu seiner eigenen Überraschung in hohem Alter noch in den Gemeinderat verschlagen. Er ist schwer in eine Fraktionsdisziplin einzubinden. Wo die SPD noch nach einer neuen Rolle sucht und mit betont konstruktiven Beiträgen alles dafür tut, um dem in Haar verbreiteten Wunsch nach mehr Gemeinsinn Rechnung zu tragen, setzt Gantzer eigene Duftmarken; gerade im Umgang mit dem 42-jährigen Quereinsteiger in die Politik: Bukowski. Wegen einer Werbeaktion von Bukowski für ein Autohaus, die Gantzer dem Bürgermeister genüsslich als Fehltritt eines Unerfahrenen ankreidete, hätten sich beide beinahe vor Gericht gesehen. Doch die Staatsanwaltschaft winkte ab und Bukowski zog sein Anzeige wegen übler Nachrede zurück. Gerungen wird in Haar aber weiter. Und das liegt vor allem auch an Sachthemen und daran, dass ein Neuer im Rathaus sitzt, der manchmal hemdsärmelig agiert, vieles anders machen will und Hierarchien in Frage stellt. Eben erst wurde öffentlich, dass es in der Rathausverwaltung deshalb kräftig knirscht.

Leicht hat es Bukowksi nicht. Die Erwartungen unter seinen Anhängern ist groß. Von der Realschule für Haar, die die CSU jahrelang propagiert hat, ist nichts zu hören. Die Finanzlage ist angespannt. Harte Einschnitte stehen an. Und Bukowski wirbt gerade mehr denn je um Bündnisse im Gemeinderat, um Vereinen und Organisationen zu vermitteln, dass magere Jahre bevorstehen. CSU, SPD, Grüne und FDP ziehen da tatsächlich an einem Strang. Letztens wurde Einigkeit regelrecht demonstriert, als die SPD einen Antrag zu Schanigärten im Namen aller formulierte. Es gab Dank von CSU, Grünen und FDP.

Doch manchmal sind sie sich schlicht nicht einig. Wie beim Bahnhof, wo nicht jeder den Kioskbau als schwarzen Kubus für erstrebenswert hält, so wie ihn die Bahn sich vorstellt. Gerade die Grünen zeigen zuletzt mehr Ecken und Kanten und wenden sich gegen den Bürgermeister, wie etwa bei dessen Vorschlag für einen Radschnellweg auf der B 304, den sie in Bausch und Bogen verwarfen. Manchmal funken die Gemeinderäte auch auf einer anderen Wellenlänge, wie beim Antrag der Grünen, den Platz vor dem Poststadel gendergerecht als "Bürger*innenplatz" zu benennen. Mancher Schwarze hält das für Unsinn. Bukowski lässt die Haarer über den Namen im Netz abstimmen. Für die CSU ist es eine Machtkarte, die sie gerne ausspielt, nah an den Sehnsüchten und Wünschen der Bürger zu sein. Daran hat sich wenig geändert.

© SZ vom 31.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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