SZ-Schulratgeber:Keyboard üben gegen den Stress

Lesezeit: 3 min

Im achtjährigen Gymnasium haben vor allem ältere Schüler kaum noch Zeit für Musikunterricht oder den Sportverein. Ihr Hobby aufgeben wollen dennoch die wenigsten. Auch ein zusätzliches Schuljahr wäre für viele keine Option.

Von Franziska Dürmeier

Wenn Xi Wang am Keyboard sitzt, versinkt sie schnell in die Musik. Ihre Finger springen routiniert von Taste zu Taste, Fehler macht sie kaum. Nach einigen Minuten ist es vorbei, die 15-Jährige blickt erwartungsvoll auf. Dann wandert ihr Blick zur Wanduhr. Xi muss sich ihre Zeit gut einteilen, ihr Zeitplan ist straff. Sie besucht die neunte Klasse im Gymnasium, dreimal in der Woche bis halb vier Uhr nachmittags.

Danach muss es schnell gehen: Essen, Hausaufgaben, Lernen, Keyboard und Geige üben, zweimal in der Woche spielt sie Tischtennis, zweimal hat sie Instrumentalunterricht in der Musikschule Unterschleißheim. Um elf Uhr abends schläft sie dann ein, meistens zumindest. Am Samstag geht sie zusätzlich auf eine chinesische Schule, wo sie ihre Muttersprache trainiert. Und wenn viel los ist, hilft sie noch bei ihren Eltern im Lokal aus. Für Müßiggang also kaum Zeit.

Gutes Zeitmanagement ist wichtig

Gutes Zeitmanagement ist für Gymnasiasten, besonders höherer Klassen, ein Muss. Das G 8 hat den Schule-Freizeit-Rhythmus verschoben, die Schule nimmt mehr Raum ein als zuvor. Viele befürchten, die Schüler könnten ihren eigenen Interessen nicht mehr nachgehen. Doch wie Xi Wang haben sich viele Jugendliche soweit möglich angepasst - genau so wie die Musikschulen, Vereine und anderen Institutionen. Gymnasiasten machen an der Musikschule Unterschleißheim die größte Gruppe der insgesamt 400 Musikschüler aus, erzählt Alois Piterna, der seit 1981 Leiter der Schule ist.

Mit dem G 8 habe sich gerade aus organisatorischer Sicht viel verändert: Der Musikunterricht finde zunehmend am späteren Nachmittag statt. "Es ist wegen des Nachmittagsunterrichts im Gymnasium viel komplizierter und zeitlich enger geworden", sagt er. Das bestätigen auch andere Institutionen. An der Musikschule Haar, wo etwa 500 Leute unterrichtet werden, gibt es ähnliche Schwierigkeiten: Früher seien die Kernzeiten zwischen 13 und 18 Uhr gewesen, heute gehe es bis 21 Uhr, erläutert Musikschulleiter Klaus-Dieter Engel.

Ein eng gestrickter Zeitplan bis spät abends, machen das neben Xi Wang auch andere Jugendliche mit? Alois Piterna zufolge gibt es vereinzelt schon Abmeldungen, aber die meisten passten sich eben an. Auch bei einer weiteren Schülerin, der Elftklässlerin Bernadette Glodek, wird die Zeit zunehmend knapp. Doch sie bekommt ihren Keyboard-Unterricht trotzdem irgendwie unter, auch wenn sie nicht mehr so viel üben kann wie früher. Sie spielt bereits seit zehn Jahren Keyboard, das gibt sie ungern einfach auf.

"Es beruhigt und ist entspannend"

"Weniger Freizeit hat man auf jeden Fall", sagt die 17-Jährige, "aber wenn ich die Zeit haben will, nehme ich sie mir." Für sie ist das Instrument keine Zusatzbelastung, im Gegenteil: "Wenn es stressig ist wegen der Schule und ich gar nichts mehr packe, dann setze mich ans Keyboard", sagt sie. "Es beruhigt und ist entspannend."

Solche positiven Effekte beobachtet auch Piterna: Die Musikschüler würden belastbarer und stabiler. Ein Instrument erziehe zu Disziplin und durch die Konzerte erlangten sie Selbstbewusstsein. Anders als im Gymnasium gebe es hier keine Benotung. "Der Schüler bestimmt selbst, wie schnell und wie weit er kommen möchte."

Wie Xi Wang macht auch Bernadette Glodek zusätzlich Sport. Das sei für sie wiederum eine andere Art der Ablenkung als das Keyboard, so die 17-Jährige, etwas zum Auspowern. "Genau das brauchen sie: nach der Kopfarbeit die Beine bewegen", betont Maximilian Rupp, Vorsitzender des Fußballvereins FC Ottobrunn. Auch in seinem Verein hätten sich die Trainingszeiten nach hinten verschoben.

Es komme zwar nicht immer gleich zu Kündigungen, doch gerade in der G-8-Phase lasse bei vielen die Trainingsintensität nach: "Das Training kann oft nur noch maximal einmal in der Woche stattfinden statt wie sonst zweimal", sagt Rupp. Auch bei den Spielen würden weniger teilnehmen. Ab einem gewissen Punkt lohne sich die Mitgliedschaft manchmal nicht mehr, dann gebe es schon den ein oder anderen Austritt.

Auch in der Musikschule Haar kommt es immer wieder zu Abmeldungen wegen schulischer Belastung. Schulleiter Klaus-Dieter Engel bereitet das Sorge. "Die musikalische Landschaft wird um ein deutliches Stück ärmer", sagt er. Wenn noch einigermaßen Zeit für Instrumentalunterricht bleibe, dann könne oft das Zusammenspiel in Gruppen wie in Bands und Orchestern nicht mehr stattfinden - "das was eigentlich Spaß macht", sagt er. "Es müsste Parallelangebote an den Gymnasien geben, aber das ist nicht der Fall, die Lehrpläne fahren ihren Plan."

Im nächsten Schuljahr starten die ersten Pilotklassen mit der "Mittelstufe Plus", die ein optionales Zusatzjahr für Gymnasiasten vorsieht. Dadurch soll wieder mehr Freizeit bleiben. Doch weder in der Stadt noch im Landkreis München wird dieses Angeboten. Ob die Schüler sie nutzen würden, ist ohnehin die Frage.

Für die beiden Keyboarderinnen in Unterschleißheim aus wäre das jedenfalls keine Option: "Ich würde ungern noch ein Jahr länger in der Schule bleiben" sagt Xi Wang. Bernadette Glodek stimmt zu: "Das wäre noch mal ein Jahr Stress mehr. Da mach' ich lieber mehr auf einmal und habe es hinter mir."

© SZ vom 19.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: