SZ-Adventskalender:Die Küche bleibt kalt

SZ-Adventskalender: Schuldnerberatung in Berg am Laim. Beraterin Sonja Hausner dos Santos prüft die Unterlagen.

Schuldnerberatung in Berg am Laim. Beraterin Sonja Hausner dos Santos prüft die Unterlagen.

(Foto: Catherina Hess)

Die Zahl überschuldeter Haushalte im Landkreis München nimmt zu. Die Mitarbeiterinnen der Schuldnerberatung stellen fest: Viele haben nicht über ihre Verhältnisse gelebt, aber es bleibt nichts übrig.

Von Annette Jäger

Wenn jetzt immer davon die Rede ist, dass die gestiegenen Energiepreise und die hohen Lebensmittelkosten die Menschen finanziell an ihre Grenzen treiben, dann trifft das nicht ganz die Realität. Viele Menschen haben ihre Grenze schon sehr lange erreicht, einige haben sie auch bereits überschritten und Schulden gemacht. Das Problem mit der knappen Finanzlage zahlreicher Menschen habe nämlich schon viel früher angefangen, mit der Corona-Pandemie, sagt Sonja Hausner dos Santos, Schuldnerberaterin bei der Caritas im Landkreis München. Die kostenlose Beratungsstelle, die Menschen unterstützt, wenn sie durch Überschuldung in existenzielle Not geraten sind, hat einen immensen Beratungsanstieg zu verzeichnen. Rund 30 Prozent mehr Betroffene kamen im Jahr 2021 zur Beratung im Vergleich zu den Jahren vor der Corona-Pandemie. Und es zeichnet sich nicht ab, dass es weniger wird.

Viele Menschen sind verzweifelt, wenn sie zur Schuldner- und Insolvenzberatung in die Kreillerstraße in Berg am Laim kommen. Die Beratungsstelle ist zuständig für die Bewohner des Landkreises München. Die Corona-Pandemie, die zu Kurzarbeit, zum Verlust des Nebenjobs in der Gastronomie oder zum Berufsverbot für bestimmte Branchen während des Lockdowns geführt hat, hat bereits alle Ersparnisse aufgezehrt. Und jetzt explodieren auch noch die Abschlagszahlungen für Strom und Gas und die Energiekostennachzahlungen werden mit Furcht erwartet. Am Rädchen, an dem man noch drehen könnte, um zu sparen, wurde längst gedreht, da geht nichts mehr.

SZ-Adventskalender: Beraterin Sonja Hausner dos Santos.

Beraterin Sonja Hausner dos Santos.

(Foto: Catherina Hess)

Mit der Pandemie kam neues Klientel in die Beratung, sagt Sozialberaterin Gwendolyn Schweizer. Der Schuldnerberatung ist eine Beratung zur Existenzsicherung vorgeschaltet. Denn das Wichtigste ist, das Dach über dem Kopf zu sichern, dass die Miete und die Energiekosten bezahlt sind und auch alle Anträge auf staatliche Unterstützungsleistungen gestellt sind. Wenn es dann noch ein Schuldenproblem zu regeln gibt, werden die Betroffenen an die Schuldnerberatung weitergeleitet. Es kommen inzwischen Menschen mit unteren mittleren Einkommen, die immer über die Runden kamen, sagt Schweizer. Am Rädchen drehen - das sieht dann so aus, dass die Glühbirne rausgeschraubt wird aus der Fassung, nicht mehr gekocht wird und es nur noch Butterbrot gibt, um Energiekosten zu sparen. Hart getroffen sind auch jene, die bereits seit Jahren in die Schuldnerberatung kommen und gewissenhaft ihre Schulden nach Plan abbezahlen, sagt Hausner dos Santos. Jetzt kommen die hohen Energiekosten hinzu und die Inflation, "das war aber damals im Regulierungsplan nicht einkalkuliert". Plötzlich reicht das Geld für die Raten nicht mehr aus, der Schuldenregulierungsplan muss überarbeitet werden. Für die Menschen bedeutet dies, dass sie noch viel länger in der Schuldenmisere stecken.

Arm sein im Landkreis München bedeutet, sozial isoliert zu sein. Der hohe Lebensstandard übt sozialen Druck aus, sagt Hausner dos Santos. Gerade wenn Kinder da sind, wollen Eltern etwas ermöglichen. Es ist schwer, immer nur die Hose aus der Kleiderkammer anzubieten, wenn andere in Markenklamotten herumlaufen. Auch in den Weihnachtsferien einmal Kino und zweimal Eislaufen zu finanzieren, ist bei vielen nicht drin. Ein Weihnachtsmarktbesuch mit Glühwein und Punsch für die ganze Familie ebenso nicht. Man lädt auch niemanden mehr nach Hause ein, weil der Kühlschrank leer ist.

Die Zahl überschuldeter Haushalte im Landkreis München nimmt zu. Ein niedriges Einkommen ist einer der häufigsten Gründe im Landkreis München, warum Menschen in den Schuldenstrudel geraten. Sie haben nicht über ihre Verhältnisse gelebt, aber es bleibt dennoch am Monatsende nichts übrig. Ebenso wird die Altersarmut größer. Während im Jahr 2007 noch 1255 Personen Grundsicherung erhielten, waren es im Jahr 2018 schon 2418, das ist eine Steigerung von fast 93 Prozent. Die Zahl ist vermutlich noch größer, denn aus Scham beantragen viele die staatliche Hilfe nicht. Es ist eine der Hauptaufgaben von Gwendolyn Schweizer, wenn es um die Existenzsicherung geht, die Menschen zu stärken, es auszuhalten, dass sie staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen. Die Beraterinnen nehmen immer den ganzen Menschen, der vor ihnen sitzt, in den Blick. Es geht nie nur darum, nur die finanzielle Lage zu klären, immer ist es auch Aufgabe, die psychosoziale Situation mit einzubeziehen. Alle Betroffenen haben einen "biografischen Knick im Lebenslauf", sagt Schweizer. Sie haben etwas erlebt, was sie aus der Bahn wirft, das alles verändert. Das kann Krankheit sein, ein Jobverlust, eine Scheidung, der Verlust der Wohnung, etwas, das sie nicht mehr bewältigen können und sie in den Schuldenstrudel zieht.

Große Unsicherheit ist derzeit unter den Menschen spürbar, erfährt Hausner dos Santos. Mehrere Jahre in Folge seien unerwartete Dinge passiert, die Pandemie, der Ukrainekrieg mit all seinen Folgen - "das macht Angst" und sei belastend. Auch Schweizer hat die Befürchtung, dass den Menschen die Kraft ausgeht. Vielen seien an ihrer psychischen Belastungsgrenze. "Die Resilienz in der Gesellschaft ist nicht mehr so stark." Umso wichtiger wird die Aufgabe der Beraterinnen, die Menschen zu stärken, ihnen Mut zu machen und ihnen größten Respekt dafür auszusprechen, dass sie zur Beratung kommen. Denn dann ist der erste Schritt gemacht. "Es ist eine extrem große Leistung, das muss man wertschätzen", sagt Schweizer.

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