SZ-Adventskalender:"Jemand, der das aushält"

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Ehrenamtliche vom Kinder- und Jugendhospizdienst bieten Eltern von todkranken Kindern Halt

Von Claudia Wessel, Gräfelfing

Bereits am Anfang der Schwangerschaft deutete es sich an. "Die Frauenärztin sah auf dem Ultraschall Auffälligkeiten an der Niere und am Herzen", erinnert sich Caroline H. (Name geändert). Sie war 46 Jahre alt, es war ihr viertes Kind, die anderen waren schon groß. Das Ergebnis kam erst nach der Amniozentese, der Fruchtwasseruntersuchung. Ihre Tochter hatte Trisomie 13, das Pätau-Syndrom.

Ein großer Teil der Eltern entscheidet sich nach einem solchen Ergebnis für einen Schwangerschaftsabbruch, weiß Hanne Rauscher, Koordinatorin im Kinder- und Jugendhospizdienst des Malteser Hilfsdienstes in Gräfelfing, unter anderem zuständig für den Landkreis München und zum größten Teil aus Spenden finanziert. Caroline H. brach die Schwangerschaft nicht ab, obwohl die Beziehung zum Vater des Kindes ohnehin eine wackelige war, er das Kind überhaupt nicht wollte und erst recht nicht die Verantwortung für ein behindertes Kind übernehmen. "Aber vielleicht lag es auch an meinem Beruf", sagt die Heilpädagogin. "Für mich ist ein behindertes Kind nicht so ein Schock wie für manche andere." So entschied sie sich für Mia (Name geändert), obwohl sie von Anfang an alleinerziehend war. Und nahm - wie viele Eltern - in dieser Situation Kontakt zum Kinder- und Jugendhospizdienst auf. Denn Trisomie 13 ist eine stark lebensverkürzende Krankheit. Manche Kinder überleben nicht einmal die Geburt, andere sterben schon kurz danach. "Es war schon schwierig", sagt Caroline H. "Normalerweise richtet man in der Schwangerschaft das Kinderzimmer ein und freut sich. Ich dagegen wusste nicht, ob ich dann nicht gleich die Beerdigung organisieren müsste."

Mia wurde normal geboren und sie ist heute vier Jahre alt. "Wir waren seit der Geburt nicht mehr im Krankenhaus", freut sich ihre Mutter. Seit neuestem besucht Mia den Kindergarten, wohin sie vom Malteser Fahrdienst gebracht wird. Caroline kann deshalb wieder stundenweise als Heilpädagogin arbeiten. Außerdem konnten Mutter und Tochter gerade in eine kleine, rollstuhlgerechte Wohnung umziehen. Die finanzielle Situation aber ist oft bedrängend. Denn Mia braucht beispielsweise spezielle Nahrung, da sie nicht kauen, sondern nur Püriertes essen kann. Sie muss Bodys tragen, da sie sich nur rollend bewegt, denn laufen kann sie nicht. Hemdchen rutschen dann immer aus der Hose. Es gibt aber ab einer gewissen Größe - Mia wiegt jetzt 14 Kilo und ist einen Meter groß - keine preisgünstigen Bodys mehr.

Die vierjährige Mia leider unter Trisomie 13. (Foto: Angelika Bardehle)

Auch Anschaffungen wie Hufeisenkissen, in denen sie ein bisschen sitzen kann, sind teuer. Und Caroline H. träumt von einem Fahrrad mit Sitzmöglichkeit vorne. Denn in einen Fahrradanhänger, der hinten ist und auf dem sie ihre Tochter nicht sehen würde, oder in einen normalen Sitz kann sie Mia nicht setzen. Auch in ihrem Kinderstuhl am Tisch, in dem sie bei unserem Besuch gerade etwas Brei bekommt, wird sie angeschnallt. Caroline H. ist jedoch stolz, dass Mia inzwischen schon ziemlich lange den Kopf halten kann.

Seit drei Jahren hat Caroline eine ehrenamtliche Helferin vom Kinder- und Jugendhospizdienst der Malteser, die sie unterstützt. Mit der ausgebildeten, ehemaligen Hebamme kann die Mutter Mia auch mal alleine lassen. Einer anderen Babysitterin, etwa dem Nachbarsmädchen, kann sie Mia hingegen nicht anvertrauen, da das Kind oft epileptische Anfälle hat.

Warum gerade die Mitarbeiter vom Kinder- und Jugendhospiz so hilfreich sind? "Immer wenn ich sage, ich habe ein Kind, das vielleicht bald stirbt, kriegen die Menschen einen Schock", sagt die Mutter. "Und dann wünsche ich mir jemanden, der das aushält." Die Helferin vom Hospizdienst ist so jemand. Mit ihr kann Caroline H. darüber reden und zugeben, dass sie auch nicht weiß, "was das dann mit mir macht", wenn ihr Mädchen stirbt - obwohl sie ja von Anfang an damit gerechnet hat. Ohnehin sei sie viel sensibler geworden, sagt die mittlerweile 50-Jährige. Im Alltag mit anderen Menschen sei das oft nicht leicht.

Andererseits: Caroline H. hat schon so viele Meinungen Lügen gestraft. So etwa die, dass "solche Kinder" nur leiden und ein Schwangerschaftsabbruch daher besser gewesen wäre. Wenn man Mia so anschaut, glaubt man nicht, dass sie nur leidet. Sie greift in die Locken ihrer Mutter und lacht. Sie rollt sich über ihre Spieldecke, steckt dabei eine Rassel mit Glocken in den Mund und freut sich sichtbar am Geräusch. Sie rollt sich zielstrebig zu einem kleinen Spielklavier und drückt auf die Tasten, die dann bunt leuchten und Musik machen. Und sie weiß wohl durchaus, was sie tut. So etwa erzählt ihre Mutter, dass sie gerne an Haaren zieht. Kommt aber der Opa, der keine mehr hat, greift sie sofort an seine Ohren und zieht daran. Sie erkennt ihn also, genauso wie die Mutter, die große Schwester und die Helferin vom Hospizdienst. Nein, Caroline H. hat ihre Entscheidung nicht bereut. Auch wenn es nicht immer leicht ist.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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