Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender für gute Werke:"Beziehungsarbeit ist das A und O"

Kinder und Jugendliche leiden besonders unter den Folgen der Corona-Pandemie. Birgit Mahrt vom Familienstützpunkt Grünwald hilft Eltern, richtig damit umzugehen.

Von Claudia Wessel, Grünwald

Die Corona-Pandemie stellt viele Eltern vor große Herausforderungen, oft sind sie mit den Nerven am Ende und suchen Beistand und Rat. Der Adventskalender für gute Werke der SZ möchte "Eltern stark machen", wie eines der Themen der Spendenaktion heuer lautet. Birgit Mahrt, Leiterin des Familienstützpunkts Grünwald, versucht das in ihrer täglichen Arbeit und erklärt, worauf es dabei ankommt.

SZ: Corona-Krise ohne Ende - wie geht es Familien?

Birgit Mahrt: Ich habe größten Respekt vor den Familien, die diese Krise meistern. Das ist eine grandiose Leistung und verdient absolute Anerkennung. Viele Fragen der Eltern hingen natürlich indirekt mit Corona zusammen. So etwa hatten Jugendliche ihre Peer-Group nicht mehr; sportliche Aktivitäten konnten nicht erlebt werden und viele Streitigkeiten wurden daheim ausgetragen. Kinder entwickelten sich auffällig, sie zogen sich zurück oder waren stark aufgedreht, sodass Eltern wissen wollten, ob das normal sei und zwar bei Kindern in jedem Alter. Ich denke, wir sehen im Moment erst die Spitze des Eisberges, was die Probleme betrifft, die durch Corona und die Lockdowns ausgelöst wurden.

Welche Sorgen hatten Eltern?

Viele Eltern stellten sich die Frage, wie sie den Kontakt zum Kind aufrechterhalten können, obwohl es sich zurückzieht, so viel gestritten wird, das Kind traurig ist und Probleme hat. Es geht immer um Beziehungen. Die Beziehungsarbeit ist das A und O. Im täglichen Miteinander braucht es aus meiner Sicht: sich auf Augenhöhe zu begegnen, also Wertschätzung, genauso wie Liebe, Respekt und Achtung. Von Anfang an geht es auch ums Loslassen und Haltgeben. Doch eine angstbesetzte Welt da draußen macht diese Loslösung schwerer, für beide Seiten. Gerade für Pubertierende ist das Loslassen jedoch von großer Bedeutung, denn sie lernen genauso von ihren Erfahrungen, ob nun guten oder schlechten. Wir lernen aus Fehlern, entwickeln uns daraus weiter und lernen so, uns zu reflektieren. Für die Jugendlichen war es sehr frustrierend, dass sie ihre Freunde nicht zum persönlichen Austausch hatten und dadurch vermehrt viel Zeit in der digitalen Welt verbrachten. Dieser verstärkte Medienkonsum sorgt viele Eltern.

Wie sehr fehlten Kontakte auch den kleinen Kindern?

Kleine Kinder leben von der Mimik der anderen und dem Verhalten der Erwachsenen, denn sie sind Vorbilder und Wegbegleiter für die Kinder. Durch die Masken fehlt das kommunikative, offene Miteinander. Wenn man als Kind alle Menschen maskiert sieht, dann fehlt sehr viel. Etwa das Erlebnis: "Da lacht mich jemand an." Für die Kinder bleibt dann nur die Elternmimik, die sie zu Hause sehen. Durch den Lockdown waren nur sehr begrenzt Kontakte möglich, insbesondere auch zu Gleichaltrigen. Dadurch konnten sie sich nur wenig im emotionalen, sozialen Bereich erproben. Da größtenteils auch Kitas und Spielplätze nicht besucht werden konnten, war der Bewegungsbereich stark eingeschränkt. So konnten wenig Motorik, Koordination und Ausdauer geübt werden.

Das Wissen um das überall drohende Virus macht auch Kindern Angst.

Die Eltern müssen mit der Angst der Kinder umgehen. Natürlich möchten Eltern ihre Kinder trösten. Dabei sollten sie die Angst der Kinder aber nicht tabuisieren. Angst ist ein ganz natürliches Gefühl, welches man zulassen sollte. Eltern helfen ihren Kindern, indem sie kindgerecht darüber sprechen. Und zugeben, dass auch sie mal Angst haben oder hatten. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung, Wut, Freude, Scham, Liebe, Trauer. Es ist aus meiner Sicht wichtig, Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen. Es nützt wenig, wenn Eltern ihre Gefühle leugnen. Denn Kinder haben Gefühlsantennen und wissen dadurch genau, ob Eltern aufrichtig sind. Transparenz und Offenheit auch in Hinsicht auf die Gefühle aller Beteiligten sind wichtig.

Weinen ist erlaubt?

Ja, unbedingt! Weinen hat eine heilende Kraft. Man sollte kindgerecht bei der Wahrheit bleiben und zugeben, dass auch Mama und Papa mal weinen. Zu dem Thema "Gefühle" haben sich in der Praxis folgende Bücher bewährt: "Ich und meine Gefühle" von Holde Kreul oder das "Farbenmonster" von Anna llenas, wenn es um kleine Kinder geht. Für ältere Kinder und Heranwachsende: "Mit meiner Tochter durch die Pubertät" von Judith Bildau oder "Jungen und Pubertät" von Reinhard Winter und "Ich will verstehen, was du wirklich brauchst" von Frank und Gundi Gaschler.

Werden die Kinder bleibende Schäden durch die Corona-Krise davontragen?

Sinnvoll erscheint mir, Vertrauen in das Entwicklungspotenzial und die Resilienz der Kinder zu haben. In so einer Krisenzeit ist es noch wichtiger, den Kindern die Sicherheit zu geben, mit allen Stärken und Schwächen angenommen zu sein. Positive Impulse, Vertrauen, Hoffnung, Kraft und Mut sollten im Familienleben einen großen Stellenwert einnehmen. Ganz nach dem Motto: Du bist genau richtig, so wie du bist! Und Humor, eine Portion Gelassenheit und das gemeinsame Lachen nicht vergessen.

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