SZ-Adventskalender: Isartaler Tisch:Ein erster Schritt aus der Isolation

Pullach, Tafel, Isartaler Tisch, Foto: Angelika Bardehle

Mitarbeiterin Angelika von Heinz reicht Lebensmittel über die Theke.

(Foto: Angelika Bardehle)

Der Isartaler Tisch in Pullach ist mehr als eine Ausgabestelle von Lebensmitteln. Die engagierten Helfer machen es möglich, dass die 200 Kunden würdevoll behandelt werden.

Von Gudrun Passarge, Pullach

Das kleine Mädchen mit den lustigen zwei Zöpfen, die aussehen wie Mauseöhrchen, krabbelt fröhlich auf dem Boden herum. Daneben versuchen zwei Buben, den Ball am Tischkicker ins Tor zu jagen. Mütter, Väter, alte und junge Menschen sitzen an den Tischen. Sie trinken Kaffee, essen Schokohörnchen oder unterhalten sich einfach. Allen gemeinsam ist, sie warten.

Darauf, dass die Ausgabe eröffnet wird, dass die Nummer eins losgeht und sich etwas aussucht: Nudeln, Reis, Trauben oder Bananen, vielleicht einen Strauß gelber Rosen. Und dass es dann weitergeht, bis zur Nummer 130 oder 140. Warten gehört dazu beim Isartaler Tisch, aber es lohnt sich. Die meisten ziehen voll bepackt wieder los. Die meisten müssen davon wieder eine Woche leben.

"Ohne den Tisch würde es nicht gehen", sagt eine Kundin

Unter den Wartenden sitzt auch Karina Müller (Name geändert). Der Frau ist ihr schweres Schicksal anzusehen. Sie lebt mit ihrer neunjährigen Enkelin zusammen und ist auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Es reicht hinten und vorne nicht. Seit 2005, erzählt sie, habe sie sich keine Kleidung mehr leisten können. Bei der Bahnhofsmission erbettelte sie sich Butterbrote und Milch. "Wir haben schon überlegt, ob wir Flaschen sammeln gehen sollen." Dann hörte sie vom Isartaler Tisch in Pullach, seitdem geht es ihr besser. "Kleidung, Dekoration, Spielzeug, wir haben alles von hier. Da sieht kein Mensch mehr, dass wir arm sind. Und wir selbst spüren es auch nicht mehr. Aber ohne den Tisch würde es nicht gehen."

Mitten im Gewusel ist Johannes Schuster. Immer wieder bleibt er stehen, erkundigt sich etwa bei einer Schwangeren nach dem Geburtstermin oder beantwortet Fragen der Helfer. Schuster war einer der Initiatoren des Isartaler Tischs und ist heute der Vorsitzende. Die Idee dazu war in einer Pfarrgemeinderatssitzung geboren worden. Schuster sieht sein Engagement als gelebtes Christentum im Alltag.

Der frühere Ingenieur und Manager schmeißt den Laden in Pullach mit viel Organisationstalent und Geschick. 50 Helfer beteiligen sich daran, dass am Freitag alles reibungslos funktioniert. Denn der Zulauf ist riesig. "Sieben mutige Kunden sind am ersten Tag gekommen", erinnert sich Schuster, inzwischen stehen 200 Kunden auf der Liste.

Pullach, Tafel, Isartaler Tisch, Foto: Angelika Bardehle

Beim Isartaler Tisch können sich Menschen mit Berechtigungsschein mit Lebensmitteln, Kleidung und auch Spielzeug versorgen.

(Foto: Angelika Bardehle)

Wer sein Leben lang keine Chance bekommt, bleibt oft in seiner Situation gefangen

Auch deswegen haben sich die Helfer so gefreut, dass die Räume erweitert wurden und mehr Platz ist. "Allein die Größe bringt enorme Entspannung", sagt Schuster. Gab es doch teils Spannungen zwischen verschiedenen Gruppen wegen der Enge. Aber da macht Schuster keine Kompromisse. "Mitbürger ist Mitbürger, da achten wir streng drauf. Gerechtigkeit ist das Wichtigste." Er sieht die Kunden als Verlierer der Globalisierung, als Menschen, "die mehrfach Probleme haben - das Alter, Krankheiten. Die meisten waren ihr Leben lang chancenlos". Die meisten, die den Tisch besuchen, kämen auch nicht mehr raus aus ihrer Situation.

"Diese Menschen sind langzeitarbeitslos, sie bekommen Hartz IV oder Grundsicherung für Rentner. Da kommt ja nichts mehr hinzu." Manchmal heirate eine junge Frau und habe vielleicht das Glück, einen Versorger gefunden zu haben. Doch das sei die Ausnahme. Genauso wie die Zahnärztin aus Damaskus, deren Ausbildung hier nicht anerkannt wurde. Aber seit einem halben Jahr war sie nicht mehr da, "vielleicht hat sie jetzt etwas gefunden", hofft Schuster.

Und die anderen, die kommen jede Woche wieder. Schuster erinnert sich an eine Überschrift eines Zeitungsartikels. "Überflüssiges für Überflüssige" stand über einem Bericht über eine Tafel. "Ein böses Wort, aber das trifft es ganz gut, überflüssige Lebensmittel für eigentlich in unserer Gesellschaft überflüssige Menschen. Diese Menschen sind gesellschaftlich völlig abgehängt und fühlen sich ausgegrenzt." Niemand müsse in Deutschland hungern, für Kultur oder Weiterbildung aber sei nichts vorgesehen in der Sozialhilfe.

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Armut ist auch psychisch belastend

Die Menschen zögen sich zurück in die Isolation. Und warten. Auf Jobs, die es nicht mehr gibt, wie Schuster sagt. "Hier kommt niemand her, weil er zu faul ist, etwas zu tun. Das ist ein Krampf." Aber Berufe wie Pförtner oder Handlanger würden immer häufiger eingespart, durch die Digitalisierung weitere wegfallen. "Da muss sich der Staat etwas überlegen. Er kann diese Menschen nicht einfach zur Seite schieben."

Für viele ist diese Situation äußerst belastend. Psychische Probleme bleiben da nicht aus. Deswegen ist es Schuster wichtig, dass im kleinen Besprechungszimmer immer jemand sitzt, mit dem die Menschen reden können. Als niederschwelliges Angebot, als Einstieg vielleicht in eine größere Hilfe. Schuster denkt dabei an Sozialpädagogen der Caritas oder an Mitarbeiter der Gemeinde Pullach. Essen, Kleidung und Beratung, das wäre ein Angebot nach seinem Geschmack.

Zudem würde er gern jene in den Kreis der Berechtigten mit aufnehmen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhielten, was etwas weniger als der Hartz IV-Satz ist. Das hält er für eine große Herausforderung, die bisherigen Kunden könnten um ihre Ansprüche fürchten. "Das muss man sehr vorsichtig machen", sagt er und überlegt, ob ein zweiter Ausgabetag sinnvoll wäre. Wenn jedoch noch mehr Menschen den Tisch besuchten, müsste er schauen, wo er die Lebensmittel herbekommen würde und auch die Helfer. Momentan gibt es noch keine konkreten Pläne dafür.

Klaus Detzer kommt ins Büro. Der Helfer, der zu den Mitinitiatoren zählt, berichtet von einer alten Dame. Sie kam viel zu früh, holte sich einen Kaffee, dann die Zeitung vom Vortag und setzte sich an den Tisch. "Wie im Café", sagt Detzer. Sie habe es sichtlich genossen, denn einen Besuch im Café könne sie sich nicht leisten. Erst nach und nach setzt der Trubel ein, hier und da ein Streit, wer wann vor wem was aussuchen darf. Trotz aller Nummern. Die Helfer regeln das souverän.

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