SZ-Adventskalender:Die Papa-Rolle ist unausgefüllt

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Als Simone Raths Mann stirbt, bleibt sie allein mit drei Kindern in Hohenbrunn

Von Christina Hertel, Hohenbrunn

In eine Kiste hat Simone Rath all das gepackt, was ihr Sohn eines Tages von seinem Vater sehen soll: die kleinen Autos, mit denen er als Kind spielte, die Armbänder, die er immer trug, die Liebesbriefe, die er als 13-Jähriger an sie schrieb, aber nie abschickte, die sie zufällig fand und bis jetzt noch nicht zu Ende las, weil sie den Schmerz nicht ausgehalten hätte. Bis sie ihrem Sohn diese Kiste gibt, wird noch viel Zeit vergehen. Er ist heute ein Jahr alt.

Ende Oktober sieht Simone Rath, wie ihr Mann Fabian plötzlich im Hausflur zusammenbricht, wie er einen Herzinfarkt erleidet und stirbt - mit 36 Jahren. "Ich konnte ihm nicht helfen. Keiner konnte ihm helfen. Es war einfach plötzlich vorbei. Und dann stehst du alleine da." Zu diesem Zeitpunkt kennen sich Simone und Fabian Rath, die in Wirklichkeit anders heißen, seit 20 Jahren, noch aus ihrer Heimat Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt. Als Jugendlicher war er in sie verliebt, sie bemerkte es nicht. Nach dem Schulabschluss zog Simone Rath in den Landkreis München und begann als Kinderpflegerin für den integrativen Kindergarten Tranquilla Trampeltreu zu arbeiten. Sie bekommt zwei Kinder, Sebastian, er ist heute 13, und Tina, sie ist neun und hat eine geistige Behinderung. Sie kann sprechen und laufen, aber ihre Entwicklung liegt vier bis fünf Jahre hinter Kindern ihres Alters zurück. "Ihr Vater lehnte sie ab, weil sie nicht so funktioniert wie ein gesundes Kind", sagt die Mutter.

Kurzes Glück: die Eltern mit ihrem Jüngsten. (Foto: privat)

Sie zieht ihren Sohn und ihre Tochter alleine groß. 2016 trifft sie Fabian zufällig auf Facebook wieder. Diesmal verlieben sich beide. Ihr gemeinsamer Sohn kommt auf die Welt, sie ziehen in ein Reihenhaus in Riemerling. Fabian Rath bringt der Tochter das Schwimmen bei und streitet manchmal mit ihrem Sohn, wer der Chef im Haus ist. "Er hat die Papa-Rolle so gut ausgefüllt", sagt Rath. Er sei stark gewesen und liebevoll, habe klare Linien gehabt und es mit den Kindern immer ehrlich gemeint.

Als ihr Mann stirbt, weiß Simone Rath nicht, wie sie die Miete für das Reihenhaus bezahlen soll. 2000 Euro jeden Monat, dazu die Kosten für das Heizöl. Ihre ganze Familie lebt in Sachsen-Anhalt, rund um München gibt es niemanden, der sie hätte unterstützen können. Kurz vor Weihnachten räumt Simone Rath das Haus aus, in dem sie eineinhalb Jahre mit ihrem Mann und ihren Kindern wohnte. In einer alten Kiste findet sie zufällig die Liebesbriefe, von denen ihr Mann nie etwas erzählte. Dann transportiert sie alles 500 Kilometer von München weg nach Halle.

In der neuen Wohnung hängen noch keine Lampen, die Küche kam noch nicht an. Rath kaufte sie auf Raten. Die alte in dem Reihenhaus war zu groß, sie hätte nicht in ihr neues Zuhause gepasst. Bis alles fertig ist, lebt Rath mit ihren drei Kindern bei ihren Eltern. Ihr sei es nicht leicht gefallen, ihren Arbeitsplatz aufzugeben und die Region zu verlassen, in der sie die vergangenen 15 Jahre gerne lebte. "Aber ich muss weiter denken", sagt Rath. "Ich muss stark sein für meine Kinder." Ihre Tochter könne noch gar nicht begreifen, dass ihr Stiefvater nicht mehr da sein soll. "Sie redet mit ihm und erzählt ihm, wenn die Sonne scheint oder wenn der Kleine ein neues Wort gelernt hat."

© SZ vom 03.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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