Süddeutsche Zeitung

Studenten als Spieleentwickler:Schlaflos in Garching

Lesezeit: 3 min

Bei der Game Jam an der Technischen Universität in Garching entwickelt ein zusammengewürfeltes Team ein Computerspiel zum Thema Flucht. Für die fünf Studenten bedeutet das 45 Stunden fast ohne Schlaf.

Von Benjamin Köster, Garching

Die Augen von 67 Teilnehmern, umrandet von tiefdunklen Augenringen, blicken müde, aber angespannt zur Leinwand. Gleich erscheint der Name des Siegerteams der Semester-Game-Jam. "Jetzt kommt langsam die Nervosität, ob man wirklich oben dabei ist", sagt Michael Niederreiter. Er, der sonst so gesprächig ist, schweigt schon seit einigen Minuten, zwischen seinen Händen rollt er immer wieder das abgerupfte Etikett seiner Getränkeflasche.

Rückblick. Freitagabend, die Studenten treffen nach und nach im "Quantum", der Studierendenlounge der Technischen Universität (TU), ein. Es sind Grafiker dabei, Musiker, Regisseure und natürlich Programmierer - denn bei der Game Jam geht es um Computerspiele. Genauer gesagt das Entwickeln solcher Spiele. Ein Wochenende haben die Studenten Zeit, sich in Teams zusammenzufinden und zu einem Thema ein Spiel zu gestalten. Ein paar kennen sich bereits aus der Uni, viele werden sich erst noch kennenlernen. Noch 45 Stunden bis zur Siegerehrung.

Die Idee in Team 10 ist schnell festgelegt. Es geht um Flüchtlinge und die gefährliche Überfahrt nach Europa. Der Veranstalter hat als Thema "the other side" vorgegeben, das Team interpretiert es so: Man soll in die Rolle eines anderen, eines Flüchtlings, aber auch in die eines Schleppers schlüpfen. Die Gruppe setzt sich bereits jetzt, in der Planungsphase, von den Spielen der anderen Teams ab.

Im Team hat jeder seine Rolle

Wo andere witzige Rennspiele entwickeln, muss es der Spieler bei Team 10 in der Rolle eines Flüchtlings ohne Geld auf ein überfülltes Boot schaffen. Dafür muss er in Dialogen die richtigen Antworten finden und Aufgaben erledigen. Es ist düsterer als die anderen Spiele, hat aber mehr Tiefgang. Verantwortlich dafür ist Isabel Jansson. Sie studiert Regie an der Hochschule für Fernsehen und Film und sagt von sich selbst, sie sei Quereinsteigerin. "Der Spieler soll die Möglichkeit haben, auf die andere Seite zu schauen", Jansson redet und wirft ihre Ideen in den Raum, eine nach der anderen, dabei gestikulieren ihre Hände wild durch die Luft.

Wenn es in jedem Team einen Pragmatiker geben muss, in Team 10 ist es Fabian Wahlster, neben Karl Kraus der Programmierer der Gruppe. An ihm ist es auch, auf die Bremse zu treten. Ihm dauert die Vorbesprechung zu lange, unter dem Tisch wackelt er ungeduldig mit dem Bein, ein Kugelschreiber wirbelt durch seine Finger. "Wir müssen jetzt auch mal weiterkommen." Im Team bahnt sich der Konflikt an zwischen dem, was machbar ist, und dem, was denkbar ist. Noch 42 Stunden bis zur Siegerehrung.

"Es ist ein Handwerk, man muss es halt üben, um es zu beherrschen", erklärt Andreas Hötzinger, der gerade erst 18 Jahre alt ist, was man ihm aber weder ansieht noch anhört. Gemeinsam mit Niederreiter ist er für die Grafik des Spiels zuständig. Es ist Samstagmittag, Hötzinger hat nicht geschlafen. Dafür hat auf seinem Bildschirm über Nacht langsam die Silhouette einer vom Bürgerkrieg gezeichneten Stadt Gestalt angenommen. Es ist der Ausgangspunkt der Geschichte. Viele hier sehen in diesem Handwerk, wie Hötzinger es nennt, ihre berufliche Zukunft. Ein Risiko. Auch wenn die Gaming-Branche wächst, sind Jobs rar.

"Man erschafft neue Welten"

Aber hier geht es auch nicht um Jobchancen, es geht viel eher darum, seine Leidenschaft auszuleben. Michael Niederreiter ist so ein Fall. Der 28-Jährige hat mit sieben seine erste Konsole, einen Super Nintendo, bekommen. "Ich bin Games-Fanatiker", sagt er. "Mit Abi in der Tasche fragt man sich: Und dann?" Er hat sich entschieden, Games Engineering an der TU zu studieren. Mittlerweile ist er zu Wirtschaftswissenschaften gewechselt und findet selbst, dass das komisch klingt. Beruflich will er mal beides verbinden. Das Faszinierende an der Spieleentwicklung? "Klingt jetzt vielleicht philosophisch, aber es ist schon ein Erschaffungsdrang - man erschafft neue Welten." Noch 27 Stunden bis zur Siegerehrung.

Sonntagmittag ist die Stimmung spürbar leiser geworden. Die meisten leiden nach nur wenigen Stunden Schlaf unter extremer Müdigkeit. Andreas Hötzinger hat während der ganzen Zeit kein Auge zugetan. "Das hole ich dann heute Abend nach." Mittlerweile kann man sich auch einen Überblick über die Spiele der Konkurrenzverschaffen. "Ich glaube, jetzt will jeder gewinnen", sagt Isabel Jansson. Anfangs mit der Angst "ein Klotz am Bein" zu sein, hat die Dramaturgin schnell ihren Platz im Team gefunden.

Kurz vor Abgabe tritt ein Fehler auf

Auf den letzten Metern dann der Fehler: Seit einigen Stunden liegt eine spielbare Version vor, auf einmal funktioniert der Wechsel zwischen erstem und zweitem Level nicht mehr. Eine Übergangslösung muss her. Noch drei Stunden bis zur Siegerehrung.

Sonntagabend, Siegerehrung. Team 10 hat es nicht unter die ersten Fünf geschafft und geht leer aus. Vielleicht war das Spiel zu unfertig, zu komplex für den kurzen Zeitrahmen. Vielleicht war auch der Fehler in der letzten Phase schuld. Überzeugt hat die Juroren ein Thema, das mit Licht und Schatten spielt und das vor allem fertig wurde.

Michael Niederreiter zeigt als einziger seine Enttäuschung: "Ich hätte mehr erwartet. Das fühlt sich komisch an." Schlusspunkt für die Wochenend-Schicksalsgemeinschaft. Wiederkommen wollen sie alle. Ob sie ihr Spiel aber weiterentwickeln, haben sie noch nicht entschieden.

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Quelle:
SZ vom 15.12.2015
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