Street-Art in München:Die Strickguerilla

"Als ob eine verrückt gewordene Oma durch die Stadt läuft und alles vollhäkelt": Der Münchner Künstler Klaus Erich Dietl betreibt "Yarn Bombing" - er strickt Statuen, Telefonzellen und Ziegenhörner ein.

S. Peteranderl

Die schwarze Pferdestatue vor dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München ist diesmal das Ziel: Klaus Erich Dietl und seine drei Mitstreiter packen die Sporttasche mit den neonbunten Wollknäueln aus. Jeder nimmt sich einen Huf vor und beginnt, nur mit den Händen und Wolle an dem Pferdebein aus Bronze entlangzustricken. Eine "absurde Verschönerung", nennt Dietl die nächtliche Guerilla-Aktion. "Es sieht so aus, als ob eine verrückt gewordene Oma durch die Stadt läuft und alles vollhäkelt."

Strickguerilla, Klaus Erich Dietl, München

Klaus Erich Dietl am Werk: Er verziert eine Statue mit bunter Wolle. Der Vorteil dieser Form der Street-Art: Sie lässt sich problemlos wieder entfernen.

(Foto: Sonja Peteranderl)

Der 36-jährige Maler, Comiczeichner, Street-Art-Aktivist und Hörspielautor hat bisher etwa 150 Objekte im öffentlichen Raum mit Strick-Kunst verziert. Beim sogenannten Yarn Bombing entstehen gestickte, gestrickte oder gehäkelte Graffiti.

Die Texanerin Magda Sayeg und ihr Strick-Kollektiv KnittaPlease sollen 2005 die ersten gewesen sein, die Strommasten, Telefonzellen oder Straßenlampen knallbunt einstrickten, um dem tristen öffentlichen Raum etwas Wärme zurückzugeben. Der Konzeptkünstler Marcel Duchamp habe aber schon 1942 eine ganze Ausstellung mit Bindfaden eingesponnen, sagt Klaus Erich Dietl. Auch würde KnittaPlease eher Guerilla-Marketing, also verdeckten Kommerz statt Kunst betreiben - da die Amerikanerinnen jedes Strickwerk mit ihrem Logo versehen und mittlerweile auch gestrickte iPhone-Hüllen vertreiben.

Fest steht, dass sich die neuerwachte Euphorie für die großmütterliche Fertigkeit in den vergangenen Jahren bis nach Europa ausgebreitet hat. In München kennt Dietl allerdings keine anderen Street-Artisten, die die Straßen mit Stoff und Wolle oder Nadel und Faden erobern - bis auf die, die er selbst angelernt hat.

Ein Kinderspiel

Seine drei Mitstreiter verschönen das Pferdestandbild für die deutsche Kavallerie etwas langsamer und ungleichmäßiger als Dietl - sie haben erst gestern mit dem Yarn Bombing angefangen und einen Baum zur Übung eingestrickt. Yarn Bombing ist eine demokratische Kunst: Sie ist jedem zugänglich, billig und leicht zu erlernen.

Nur acht Minuten dauert es laut Klaus Dietl bis Nachwuchskünstler einsatzfähig sind, denn die Handstricktechnik sei ein altes Kinderspiel. Er selbst versucht, das Handwerk mittlerweile ein wenig zu variieren - verschiedenfarbige Fäden zu einem Strang zu knüpfen, Muster zu kreieren oder Kupferdraht einzuflechten, damit die urbanen Accessoires biegsamer sind.

Klaus Dietl hat als Kind gerne Freundschaftsbänder geknüpft und auch schon Hüttenschuhe gestrickt. Eine australische Aktion, bei der ein Künstler Buchstaben und Symbole in Bauzäune einstrickte, brachte ihn dann vor eineinhalb Jahren auf die Idee, eigene textile Kunstwerke zu fabrizieren. Dietl versuchte sich erst an den Heizungsrohren in seinem Keller, dann strickte er den Türknauf vom Haus der Kunst in München ein - der Türgriff wurde mit so viel Wolle umwickelt, dass die Tür sich nicht mehr bewegen ließ. "Funktionsstörungen" sind dem Künstler aus Rosenheim fast noch lieber als die vollkommen sinnfreie Dekoration.

Illegale Wollwerke

Manchmal haben die Werke auch eine gesellschaftspolitische Funktion. Mit Patienten einer Nervenheilanstalt hat Dietl Hörnerwärmer für Ziegen gestrickt, um die sonst abgeschotteten Menschen in der Außenwelt sichtbar zu machen. Um Sichtbarkeit ging es auch bei der Aktion im Mai, bei der Dietl mit Flüchtlingen aus dem Nähprojekt Fadenlauf und Künstlern mit Migrationshintergrund zwei Telefonzellen im Bahnhofsviertel aneinanderstrickte - als Zeichen für interkulturelle Kommunikation. In jedem Fall sollen die Werke die Betrachter zum Nachdenken bringen, zumindest sollen sie Irritation auslösen.

Und das tun sie denn auch. Die Besucher, die das Staatsarchiv verlassen, bleiben bei dem bunt dekorierten Pferd tatsächlich stehen, betrachten es erstaunt, auch ein paar Passanten drehen sich um. "Nicht auf den Sockel steigen", warnt der Hausmeister des Staatsarchivs, der die Aktion misstrauisch beäugt. Er geht erst wieder, als die Strick-Crew ihm versichert, dass die Verzierung nur temporär sei. "Man fühlt sich schon auf der guten Seite", sagt Dietl. "Schlimmstenfalls müsse man es dann eben wieder wegmachen."

Der Woll-Vandalismus hinterlässt im Gegensatz zu gespraytem Graffiti keine Spuren, den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt Yarn Bombing damit meist nicht. Nur die österreichische Künstlerin Christine Pavlic hantiert auch mit der Bohrmaschine und bohrt Löcher in Parkbänke - durch die sie dann anmutige Herzen aus Garn oder Sprüche wie "Home Sweet Home" sticht. Bei der Künstlerin hat sich allerdings noch nie jemand beschwert.

Ohne Strick-Genehmigung

Nach den Erfahrungen von Klaus Dietl ist eine Strick-Genehmigung von der Stadt München einfach zu bekommen - doch oft ziehen die Strick-Künstler spontan und illegal los. Als er einmal den Schweif der Löwenstatue vor der Feldherrnhalle einstrickte, drohte der Sicherheitsdienst permanent mit der Polizei. Dietl strickte einfach weiter und nahm das Kunstwerk dafür am Ende wieder ab.

Die Pferdestatue vor dem Staatsarchiv steht nach etwa einer Stunde mit weißen, orangen, pinken und grünen Gamaschen bis zum Kniegelenk auf ihrem Sockel. Den Schweif schmückt ein bunt geringelter Überzieher, der Pferdekopf wird von einem weißen Häkelnetz verhüllt. "Man hat jetzt das Gefühl, etwas gearbeitet zu haben und es geht jetzt seinen Weg", sagt Dietl.

Der Künstler ist gespannt, was nun passiert, wie Menschen auf das umgestaltete Pferd reagieren. In den nächsten Tagen wird er nochmals an der Staatskanzlei vorbeispazieren, um zu sehen, wie viel von dem Wollwerk übrig geblieben ist. "Der Hausmeister ärgert sich sicher, dass wir ihn belogen haben", sagt Dietl. "Wahrscheinlich lässt er es aber zumindest bis morgen früh stehen - damit die anderen Mitarbeiter die Verwandlung noch sehen." Die Yarn Bomber knipsen noch ein paar Fotos, packen die letzten Wollreste in ihre Tasche und verschwinden in die Nacht.

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