Süddeutsche Zeitung

Buchvorstellung:Mit Valentin in die Vollen

Die Straßlacher Autorin Sabine Vöhringer legt ihren dritten München-Krimi vor: "Karl Valentin ist tot". Die Kombination aus Sex, Crime und Action ist dick aufgetragen und nur teils überzeugend.

Von Udo Watter

Mord am Marienplatz, Schießereien im Alten Hof, brennende Gymnasien, Entführungen, Sex und Intrigen - wenn München nur halb so gefährlich wäre wie in Sabine Vöhringers Romanen, hätte die Stadt immer noch einen hohen (kriminellen) Glamour. Die in Straßlach lebende Autorin, die in ihren Geschichten um den Kommissar Tom Perlinger ein Faible für Kriminalromane mit dem Interesse an bayerischer Geschichte und ihrer "Begeisterung für die Münchner Lebensart" kombiniert, greift bei der Entfaltung des Plots dramaturgisch gern in die Vollen. Bereits ihre ersten beiden Perlinger-Bücher "Die Montez-Juwelen" und "Das Ludwig-Thoma-Komplott" atmeten filmische Dichte; drehbuchartige Szenen mit Action-Sequenzen sind charakteristisch für ihr hohes Erzähltempo.

Nun, diesmal brennt das Karl Valentin Gymnasium in der Münchner Altstadt. Dem nicht genug: Im Keller wird die Leiche der stellvertretenden Direktorin Marianne Eichstätt geborgen - erstickt. Und da gibt es noch den Schüler Fabian Brühl, der ein Jahr zuvor auf mysteriöse Weise starb. Für Kommissar Tom Perlinger gilt es wieder mal, tief zu graben und dunkle Geheimnisse zu lüften. "Karl Valentin ist tot" heißt der neue Roman der Straßlacherin, der im März im Gmeiner-Verlag erschienen ist.

Dass Vöhringer sich diesmal Valentin als historische Inspirationsfigur (nach Lola Montez und Ludwig Thoma) ausgesucht hat, verwundert nicht. Zu ihrem Konzept gehört es, Krimigeschichten mit bayerischem Promi-Faktor zu würzen. Valentin und seine wortakrobatische Querdenkerei haben es ihr bei der Recherche besonders angetan. "Ich habe sehr viel über ihn gelesen, wurde mit Anekdoten und Material versorgt", erklärt die Autorin und Unternehmerin, die von ihrem Büro in Grünwald aus auch einen Verlag leitet. Valentins Blick auf das Groteske in der Welt prägte sie: "Auch in mir 'valentint' es oft", sagt sie. "Er steht für das Unangepasste." Der Roman wird mit einem Zitat des Komikers eingeläutet. "Es muaß was g'scheng, weil, wenn ned boid was g'schieht, dann passiert no was!" Freilich passiert dann, wie bei Vöhringer üblich, gleich so viel, dass weniger vielleicht mehr gewesen wäre.

Klischeehaft waren ihre Figuren schon in anderen Romanen

Auf gut 430 Seiten macht die gebürtige Frankfurterin die Münchner Altstadt zum Schauplatz eines Dramas, in dem Crime, Sex und Action Hand in Hand gehen, Ermittlungen neben den Schattenseiten des Schulalltags stehen, alles mit allem verwoben ist und vom Aufdecken alter Geheimnisse geraunt wird. "Wer tief gräbt, wird tief fallen", wird Perlinger gewarnt. Vöhringer, die gerne den Plot durch kleine Reflexionen über das Verhältnis der Protagonisten zu kulinarischen Verführungen oder das Refugium "Wirtshaus" entschleunigt, hat den Anspruch, das "Universell-Menschliche" zu beschreiben. "Wie verhält sich der Mensch in bestimmten Situationen. Wie können sich Dinge entwickeln?"

Das kriminalistische Szenario bestimmen ein Feuerteufel, ein psychisch gestörter Serienmörder, Entführungen, sexuelle Abhängigkeit, und im Hintergrund obwaltet noch die Russenmafia. So beschreibt Vöhringer die Situation, dass die Prostitution längst in die Innenstadt zurückgekehrt sei, etwas klischeehaft: "Die geheime Rotlichtszene, gefolgt von Alkoholmissbrauch, Drogen und Bettlerbanden." Leicht klischeehaft waren ihre Figuren auch in den vorangegangenen Romanen, aber das störte nicht zu sehr, da der Plot oft spannend erzählt und die Dialoge griffig waren. Das gelingt Vöhringer diesmal nur teilweise.

Sie kann plastisch beschreiben - schön etwa, der Kampf einer geknebelten Lehrerin mit einem Haar in ihrem Mund, das sie nicht schlucken will, um dann zu brechen und womöglich zu ersticken. Auch ihr Gespür für drehbuchartige Szenen zieht einen in den Bann: zu Beginn wird ein Liebesakt von Perlinger und seiner Freundin Christl vom plötzlich aufglühenden Orange des Nachthimmels flankiert - es ist der Brand in der benachbarten Schule, der das Drama einleitet. Eine weitere originelle Idee: der Escape Room, den ein Valentin-Liebhaber als Hommage an den Gruselkeller des Komikers eingerichtet hat. Passagen aber wie die, in welcher ein mit Perlinger befreundeter Historiker über das Leben Valentins redet oder eine Mutter über falsche Pädagogik, klingen so, als würde jemand seine Agenda schriftlich formulieren.

Die Handlung wirkt ein wenig zu konzipiert

"Die Sicherheit des Autors wächst mit der Anzahl der Bücher", sagt Vöhringer. Diesmal aber wirken manche Dialoge unnatürlich und blutleer, vieles wird überflüssigerweise erklärt und das Kopfkino und Vorstellungsvermögen des Lesers unterschätzt. Ein offensichtlich sarkastischer Gedankengang Perlingers wird so kommentiert: "Wer Tom kannte, der hörte den triefenden Sarkasmus." Zu viele deskriptive Ausformulierungen schmälern daher die literarische Kraft des Buches. Cliffhanger am Kapitelende klingen durchschaubar dramatisiert: "Plötzlich überfiel Jessica (Perlingers Partnerin A.d.V.) das untrügliche Gefühl, dass der Fall weit komplexer zu werden drohte, als sie ursprünglich vermutet hatte. Und dass sich darin eine große Tragik verbarg." Dass zu alldem auch noch der Anschlag am Berliner Breitscheidplatz eine Rolle spielt, sich hollywoodreife Szenen am Viktualienmarkt abspielen oder ein mutmaßlicher, Jahre zurückliegende Mord Perlingers Freundin mit dem aktuellen Tatverdächtigen verbindet - ist schon recht dick aufgetragen. "Ich konzipiere nicht mehr so viel und lasse mir beim Schreiben mehr Spontanität" sagt Vöhringer, die nach dem Erfolg ihrer ersten beiden Bücher von ihrem Verlag nun stärker promotet wird - "Karl Valentin ist tot" wurde in Münchner Buchhandlungen (vor der Schließung) prominent präsentiert.

Ein wenig zu konzipiert wirkt die Handlung dennoch, was auf Kosten der literarischen Gestaltung geht. Gleichwohl will man natürlich wissen, wie es ausgeht, es gibt aufregende Passagen und der emotionale voyeuristische Blick wird manchmal clever gekitzelt. Wer die ersten beiden Perlinger-Bücher mochte (im Klappentext wird etwas hochtrabend von "Kultserie" gesprochen), dem dürfte auch dieser Roman zusagen. "Früher war die Zukunft auch besser", ist eines der berühmtesten Zitate Valentins. Der Architekt Mies van der Rohe hat freilich gesagt: Weniger ist mehr.

"Karl Valentin ist tot" ist im Gmeiner Verlag erschienen. Infos auch auf sabine-voehringer.com. Eine Leseprobe gibt es hier: https://qrco.de/bbNOus

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Quelle:
SZ vom 02.04.2020/hilb
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