Gefährliche Fahrradstrecke:Wer sein Leben liebt, der schiebt

Gefährliche Fahrradstrecke: Dass viele Radler brav schieben, liegt auch daran, dass sie rechtzeitig gewarnt worden sind, dass auf der Strecke die Polizei wartet.

Dass viele Radler brav schieben, liegt auch daran, dass sie rechtzeitig gewarnt worden sind, dass auf der Strecke die Polizei wartet.

(Foto: Claus Schunk)

Bei einer Polizeikontrolle sehen viele Radler nicht ein, dass sie den Mühltalberg in Straßlach bergab nicht befahren dürfen. Dabei berichten die Beamten drastisch von tödlichen Unfällen.

Von Claudia Wessel, Straßlach-Dingharting

Vier sportliche, muskelbepackte Männer schieben ihre Fahrräder brav nebeneinander laufend den Mühltalberg hinunter. Es ist durchaus ein etwas skurriler Anblick, obwohl wunderbar legal. Man kann nicht umhin, sie zu fragen: "Warum schieben Sie denn?" Mit betont unschuldigem Augenaufschlag versichern sie: "Weil fahren verboten ist." Haben sie tatsächlich die Schilder beachtet, die oben stehen? Seit fast drei Jahrzehnten steht oben das Verbotsschild mit dem Fahrrad im roten Rand, und seit ein paar Wochen auch ein großes, eigentlich wirklich unübersehbares Banner mit der Zeichnung einer vom Rad fallenden roten Figur und der Aufschrift: "Unfallgefahr. Abfahrt für Radler verboten".

Es wurde auf Anregung des Feuerwehrkommandanten und Gemeinderats Frank Ritter aufgestellt, erzählt Bürgermeister Hans Sienerth (parteifrei), "als im Mai dieses Jahres wieder mal ein Schädelbasisbruch zu versorgen war und unsere Feuerwehr als First Responder zur Unfallstelle gerufen wurden". Ritter sei gleich danach zu ihm gekommen und habe gesagt, so gehe es nicht weiter, man müsse etwas tun. Es entstand dann die Idee für das große Banner, das seit 15. Juni aufgespannt ist. Der Isartalverein arbeitet derweil noch an einer deutlicheren Beschilderung für Ausweichwege, sagt Sienerth. Bei dem Unfall im Mai wurde ein Radler wohl durch ein entgegenkommendes Auto irritiert, wich auf den Seitenstreifen aus und stürzte.

Seit das Schild steht, geht es rund bei Hans Sienerth, sowohl in seinem E-Mail- Account der Gemeinde als auch auf seinem Facebook-Profil. "Viele Leute fragen, warum wir jetzt die Abfahrt verbieten", sagt Sienerth, dabei ist das Verbot Jahrzehnte alt, nur das Banner ist neu. Sienerth nennt ein Beispiel für einen Zuschrift: "Ich bin in den letzten zehn Jahren 90 000 Kilometer gefahren, ich kann selbst einschätzen, ob ich die Abfahrt schaffe und brauche keine Bevormundung." In diesem Ton und schlimmer seien viele Botschaften gehalten. "Ich antworte auch immer geduldig darauf, in der Hoffnung, dass sich das Thema einfach herumspricht."

Viele Radler schlügen auch vor, doch die Autos zu verbieten. Das aber gehe nicht, so Sienerth, denn der kleine Ortsteil Mühltal mit dem Gasthof und fünf weiteren Häusern müsse erreichbar sein. Auch befinde sich dort unten ein Kraftwerk. Natürlich könnten Autos und Radler sich gegenseitig auf dem schmalen Weg gefährden, sagt Sienerth. Autos sollten auch eigentlich Radler nicht überholen, damit sie den Mindestabstand zu ihnen einhalten könnten.

Die Wahrheit über die schiebenden Muskelmänner an jenem Tag jedoch ist: Sie wurden oben am Berg gewarnt, dass auf der Strecke die Polizei steht und kontrolliert. Und natürlich auch Bußgelder verhängt. Tatsächlich stehen an diesem Nachmittag vier Beamte der Grünwalder Polizeiinspektion etwa in der Mitte der Abfahrt: der stellvertretende Inspektionsleiter Jörg Greiner, Obermeister Marius Rehm, Polizeikommissar Patrick Kaschmer und der Verkehrssachbearbeiter Michael Schöpf. Wobei das Wort "Sachbearbeiter" in diesem Fall ein wenig in die Irre leiten kann. Schöpf sitzt nicht nur am Schreibtisch und erstellt Protokolle über Unfälle. Er war vielmehr schon bei einigen, die sich hier ereignet haben, mit als Erster bei den Verletzten.

Die Polizeitruppe steht heute für die Sicherheit der Radler mit Absicht so, dass man sie relativ früh sehen kann. Damit niemand, der vielleicht gerade in vollem Tempo herunter rast, eine Vollbremsung hinlegen muss. Trotz der guten Sichtbarkeit gibt es eine ganze Menge Radler, die dennoch herunterfahren. Und diejenigen haben - zumindest ihrer Reaktion nach - keine Ahnung davon, dass das hier verboten ist. Und zwar nicht erst seit gestern, wie Schöpf betont, sondern genau seit 14. September 1993. Seinerzeit wurde das Verbot nach einem schweren Unfall erlassen. Über diese Auskunft ist an diesem Nachmittag so mancher erstaunt. Etwa der Vater, der mit seinem jugendlichen Sohn hier nebeneinander herabgeradelt kommt. "Ich fahr hier jeden Tag", sagt er verwundert, als er von Schöpf angehalten wird. "Seit wann ist denn das verboten?" In den vergangenen drei Jahren habe es hier acht schwere Unfälle gegeben, teilt Schöpf dem Ahnungslosen mit. Sieben davon waren Alleinunfälle, das heißt, die Opfer sind gestürzt, ohne dass jemand anderes beteiligt war. In einem Fall wurde eine Fußgängerin von einem Radler angefahren.

Gefährliche Fahrradstrecke: Manche Radler lassen sich erwischen und werden verwarnt.

Manche Radler lassen sich erwischen und werden verwarnt.

(Foto: Claus Schunk)

Alleinunfälle können zahlreiche Gründe haben, weiß Schöpf. Nur in einem Fall vor Jahren gab es eine Zeugin: Sie sah, wie bei einem heruntersausenden Radler, einem älteren Mann, die Schiebermütze verrutschte. Er versuchte, sie in voller Fahrt gerade zu rücken, stürzte und verletzte sich tödlich. Die Zeugin, eine Ärztin, die sofort anhielt und helfen wollte, konnte ihn nicht retten. Schwere Kopfverletzungen sind sehr oft die Folge eines Sturzes bei voller Fahrt. Schöpf ist seit 25 Jahren in der Grünwalder Inspektion tätig und hat viele Unfälle erlebt. 2018 wurde er zu einem an "fast dieselbe Stelle" gerufen, an der es den anderen tödlichen Unfall gegeben hatte. Das Opfer hatte ebenfalls schwere Kopfverletzungen. "Da war alles offen, das Gehirn lag auf der Straße", sagt Schöpf. 18 Prozent Gefälle an der steilsten Stelle können schon ein hohes Tempo produzieren. Einmal fuhren Schöpf und Kollegen mit dem Streifenwagen hinter einem Radler her, laut dem Polizeitacho hatte er 70 Stundenkilometer drauf.

"Mir ist noch nie etwas passiert", sagen dagegen einige der erwischten Runterradler an diesem Nachmittag zur Polizei. Etwa eine Frau, die sagt: "Ich bin ja schon 80, und ich muss auch rauf schieben. Wenn ich dann auch noch runter schieben muss, muss ich ja zweimal zu Fuß gehen." Man erklärt ihr, dass sie nur das erste Drittel des Weges schieben muss, sobald die erste Abzweigung nach rechts kommt, darf sie wieder aufsteigen. Das werde sie nun beherzigen, verspricht sie. Den empfohlenen Ersatzweg, der oben am Berg rechts in den Wald führt, habe sie auch schon einmal ausprobiert, sagt sie noch. Er war jedoch auch nicht geeignet, findet sie. "Da ist Sand und Schotter und es geht auch bergab, da kann man auch ausrutschen." Außerdem ist er ein bisschen länger, dann will sie doch lieber das erste Drittel schieben. Auch ist dieser Weg höchstens für Mountainbiker oder normale Straßenräder geeignet, mit Rennradreifen sollte man sich nicht auf den Ersatzweg begeben.

"Ich fahr' seit 35 Jahren hier", sagt eine Frau, die mit ihrem Mann herab gerollt kommt und gestoppt wird. Auch ihr sei noch nie etwas dabei passiert, versichert sie, "weil ich mit Hirn fahre". Die Polizei solle sich lieber mal um den Radweg an der Kugleralm kümmern, der sei viel gefährlicher und voller Raser. "Das ist nicht unser Gebiet", sagt Greiner. Murrend schiebt das Ehepaar ein Stückchen, steigt aber schon wenig später, außer Sichtweite der Polizisten, wieder auf. Pech, dass da gerade der Kollege vorbeikommt und die beiden erneut ermahnt.

Gefährliche Fahrradstrecke: Ein großes Banner weist neuerdings darauf hin, dass Radfahrer auf dem oberen Stückdes Mühltalbergs absteigen müssen.

Ein großes Banner weist neuerdings darauf hin, dass Radfahrer auf dem oberen Stückdes Mühltalbergs absteigen müssen.

(Foto: Claus Schunk)

Schlimme Rasergeschwindigkeiten werden an diesem Nachmittag mit dem Laser-Handmessgerät nicht festgestellt, aber doch bedenkliche. Eine sportliche Gruppe aus zwei Männern und einer Frau saust mit 47 Stundenkilometern heran. Die Radler sind vollkommen empört darüber, dass sie gestoppt werden, vor allem der Frau fehlt jedes Verständnis. Sie hielt ihr Tempo für langsamer und wundert sich. Wesentlich höhere Geschwindigkeiten werden nicht festgestellt. Was aber wohl vor allem an den fleißigen Warnern liegt, die oben am Berg immer wieder auf die Polizeikontrolle aufmerksam machen. Man erkennt es leicht daran, wenn wieder ein paar sportliche Gestalten brav ihre Räder schieben.

"Jetzt fahr' ich schon über 40 Jahre hier und werd's auch weiter schaffen", sagt der nächste Delinquent. Offensichtlich ist der Mühltalberg voller Stammradler, die sich genau deshalb sehr sicher fühlen. Doch das haben die Unfallopfer sicher auch getan. An dem Nachmittag haben die Beamten zumindest mal wieder ein paar Leute aufgeklärt und, wer weiß, vielleicht dem einen oder anderen sogar eine langfristig wirkende Lektion erteilt. Schon schieben wieder ein paar Sportliche mit schnellen Schritten ihre Räder. "Heute waren wir ja wirklich sehr präventiv tätig", sagt Jörg Greiner zum Schluss der drei Stunden. Und das ist doch eine bessere Aufgabe, als Unfälle aufnehmen zu müssen.

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