"Hier hat sich der Herrgott viel Mühe gegeben", sagt Robby Hirtl, der Wirt vom Gasthaus zur Mühle im Straßlach-Dinghartinger Gemeindeteil Mühltal. Wie recht er hat. Mitten in der Einsamkeit des wunderschönen Isartals, am rechts des Flusses verlaufenden Isarkanal gelegen, laden ein uriger Biergarten und eine biedermeierliche Walmdachwirtschaft seit Generationen Wanderer, Radfahrer und Floßfahrer zum gemütlichen Verweilen ein. Unter Bergahorn, Esche und Linde, allesamt mit mehr als hundert Jahresringen, pulsiert an sonnigen Tagen das Leben, bei schlechtem Wetter hat der Wirt das kleine Paradies für sich alleine. Ein Paradies mit fließend Wasser.
Der Clou dieser Lokalität ist zweifelsohne ihre Erreichbarkeit sowohl auf dem Land- als auch auf dem Wasserweg. Über Land führt ein schmaler etwa 400 Meter langer Weg mit einem Gefälle von bis zu 16 Prozent zum Ziel, eine Steilvorlage für gefährliche Schussfahrten ambitionierter Radfahrer. Obwohl ausweislich eines Verbotsschildes diese gefährliche Abfahrt für sie gesperrt ist, brettern waghalsige Radfahrer gerne mit Tempo 50 und mehr hinunter ins Isartal. Nicht wenige bitten dann im Biergarten neben Speis und Trank auch um Pflaster und Jod. "Schon viele wurden von uns verarztet", erzählt der Wirt.
Weitaus spektakulärer ist die Ankunft der Durstigen und Hungrigen, wenn sie in anderen Jahren quasi hereingeschwemmt werden über die mit 365 Metern Länge, 18 Metern Höhendifferenz und einem Gefälle von bis zu neun Prozent größte Floßrutsche Europas, beinahe im Stundentakt, jeweils in Mannschaftsstärke. Wann das nächste anlandet, erfahren die Biergartenbesucher rechtzeitig.
Sobald die ersten choralen Gesänge von der Art: "Rätätätä, morgen hamma Schädelweh" zu vernehmen sind, hasten kleine und erwachsene Kinder auf die steinerne Brücke, unter der die Flöße mit Getöse und bis zu 45 Sachen die Rutsche runterbrettern, begleitet vom feuchtfröhlichem Gekreische fideler Partygesellschaften, nicht selten Firmenbelegschaften, die eine Floßfahrt von Wolfratshausen bis zur Floßlände München-Thalkirchen gebucht haben - einschließlich Einkehr im Gasthaus zur Mühle. In gewisser Weise also ist der Biergarten ein kleines Freilufttheater mit täglich mehreren Vorführungen. Die steinerne Brücke bildet dazu die Besuchergalerie.
Schräg über dem Schankfenster des Wirtshauses prangt der Spruch: "Ich bleib jetzt hier und zieh nicht aus, bis mich der Herr holt in sein Haus." Auf Robby Hirtl und seine Geschäftspartnerin Renate Kreisz passt diese Sentenz. 1994 hatten beide, damals noch ein Paar, heute gute Freunde und Geschäftspartner, die historische Wirtschaft von den Isar-Amperwerken gepachtet und zur Blüte gebracht.
2010 stand das Anwesen zum Verkauf und beide wurden zunächst als Käufer abgelehnt. Schließlich aber bekamen sie Beistand durch die Erdinger Stiftungsbrauerei, deren Bier sie ausschenken, und am Ende bekamen sie doch den Zuschlag - zur Freude der ganzen Mannschaft, zu der bis heuer auch die Christl gehörte, die 45 Jahre lang mit Charme und Humor Krüge und Teller schleppte.
Zur Freude auch eines halben Dutzends weiterer Mitarbeiter in Küche und Service sowie von Mascha und Miriam, Töchtern von Robby Hirtl und Renate Kreisz. Sie bilden ein gut eingespieltes Team. Wie die beiden Chefs zeichnet sich die ganze Wirtshausmannschaft durch Fröhlichkeit und Freundlichkeit aus, selbst dann, wenn das Geschäft brummt und von links die durstigen Wanderer und Radfahrer und von rechts die Floßfahrer wie die Hunnen einfallen.
Der geduckten Gaststube sieht man an, dass die Menschen früher von kleinerer Statur waren, ein alter Ofen und massive Eichentische stehen darin, der gekreuzigte Christus, in arg martialischer Darstellung, hängt an der Wand. Die Gaststube präsentiert sich seit mehr als 200 Jahren unverändert. Seit ewigen Zeiten unterhalten hier die Isarflößer ihren Stammtisch. Wer sich hineinbegibt, wähnt sich jedenfalls in einer Schänke und in einem Museum. Der Gasthof zur Mühle mit seinen Lüftlmalereien steht hier bereits seit mehr als 500 Jahren. Hervorgegangen ist er aus einer landwirtschaftlichen Ansiedlung mit Mühle, der so genannte Untermühle, die bis ins 18. Jahrhundert hinein in Betrieb war wie auch die Winkelmühle und die Huismühle in der Nähe.
Wie tief in die Vergangenheit die Wurzeln der Untermühle reichen, ist bis heute nicht genau geklärt. Wie es heißt, hatte der Freisinger Bischof Konrad im Jahr 1278 den kompletten Hof mitsamt Mühle gegen ein ähnliches Anwesen in Ismaning getauscht. In anderen historischen Aufzeichnungen, die im Archiv der Gemeinde Straßlach-Dingharting zu finden sind, ist die Rede von einer Schenkung des "edlen Ainwich, eines Freisinger Ministeralen" im Jahr 1140, der es an ein Kloster übergibt. Wie auch immer, über Jahrhunderte hinweg hatten in der Folge der Bischof von Freising und das Kloster Schäftlarn das Sagen - bis zur Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts.
Das Geschäft mit der Bewirtung von Isar-Flößern hat im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts begonnen, und hätte hier, wo heute Robby Hirtl zu Tisch bittet, beinahe ein jähes Ende gefunden. Schwedenkrieg, Hungersnot und Pest hatten den Flecken im Jahr 1634 fast ausradiert. Stattdessen erholte sich der Ortsteil Mühltal von all diesen Heimsuchungen, auch mit der Flößerei ging es weiter aufwärts und der fließende Verkehr auf der Isar nahm bald unglaubliche Ausmaße an. Im Jahr 1865 trieben circa 10 000 Floße gen München und luden dort ihre Waren wie Holz, Marmor, Tuche, Südfrüchte, Wein und dergleichen ab.
Heute sind es ausschließlich Ausflügler in Feierlaune, die sich Isar und Kanal hinuntertreiben lassen. Das Coronavirus hat ihnen, den Flößern und auch der Wirtsfamilie heuer den Spaß oder das Geschäft nicht gegönnt. Der Andrang hält sich denn auch in Grenzen an diesem späten Augusttag mit durchwachsenem Wetter.
Bei seinen Gästen, daran lässt Robby Hirtl keinen Zweifel, mache er keine Unterschiede. "Mir ist wurscht, was er ist, mir ist wichtig, wie er ist", sagt der 61-Jährige. Blacky Fuchsberger sei hier Stammgast gewesen, seine Frau komme heute noch regelmäßig. "Und der Hansi Kraus ist grad beim Ausschenken", sagt der Wirt schmunzelnd. Und tatsächlich biegt in diesem Moment der bekannte Schauspieler mit einem gefüllten Bierglas um die Ecke.
Eine beschauliche Stimmung hat sich ausgebreitet. Eine Amsel trällert von ihrer Konzertbühne im Wipfel der Linde ein Lied, unten fließt entspannt die Isar. Jetzt versteht man den tieferen Sinn des Spruchs auf der Hauswand: "Ich bleib jetzt hier und zieh nicht aus..."