Straßlach-Dingharting:Chronik eines Milliarden-Betrugs

Staatsanwaltliche Durchsuchung bei der Firma "Wirecard" in Aschheim, 2020

Der Wirecard-Skandal hat die ganze Welt erschüttert.

(Foto: Claus Schunk)

FDP-Politiker Florian Toncar berichtet über den Wirecard-Skandal

Von . Michael Morosow, Straßlach-Dingharting

Es war ein Blick in die Abgründe der Wirtschaftskriminalität, der die Besucher der FDP-Veranstaltung im Waldhaus zur alten Tram in den Bann zog und für Thomas Klaue, den Vorsitzenden des FDP-Ortsverbandes Pullach, mehr Spannung besaß als ein Tatort. "Das war ein Krimi, der Typ ist der Hammer", sagte auch Johannes Burges, ehemaliger Pullacher Gemeinderat der Liberalen. Die Begeisterung bezog sich auf einen Bericht des Bundestagsabgeordneten Florian Toncar, der als Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag über die Arbeit des Untersuchungsausschusses zum Wirecard-Skandal und die Rolle der Politik berichtete und, wen wundert's mitten im Wahlkampf, den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz als Versager abstempelte und ihm eine erhebliche Schuld daran zuwies, dass der wohl größte Betrug der deutschen Wirtschaftsgeschichte nicht früher aufgedeckt wurde.

Dass der Sozialdemokrat an diesem Abend sein Fett abbekommen würde, war wohl jedem klar. "Ich freue mich, dass ich den Scholz-Jäger am Tisch sitzen habe", sagte zu Beginn Moderator Helmut Markwort, Journalist, Schauspieler, Medienunternehmer und Landtagsabgeordneter bei den Liberalen. In Toncars Bericht kamen so gut wie alle Protagonisten vor, die eine Rolle gespielt hatten beim spektakulären Wirtschaftsbetrug selbst, wie auch bei seiner politischen und juristischen Aufarbeitung, etwa der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Aschheimer Unternehmens, Markus Braun, der nach wie vor im Gefängnis sitzt, Vorstandsmitglied Jan Marsalek, nach dem immer noch weltweit gefahndet wird, der Whistleblower Pav Gill, der den Skandal aufdeckte und laut Toncar deshalb Bedrohungen ausgesetzt war, oder der Journalist der Financial Times, Dan McCrum, der als Erster darüber berichtete und gegen den daher ermittelt wurde.

Toncar lieferte seinen Besuchern eine Chronologie der Ereignisse, die sich zwischen Aschheim, Berlin, den Philippinen und Singapur abgespielt hatten. Der Parlamentarische Geschäftsführer hangelte sich dabei entlang der vielen Fäden eines kriminellen Netzes, das darauf angelegt gewesen sei, Investoren, Banken, Aufsichtsbehörden, Aufsichtsrat und Wirtschaftsprüfer zu täuschen. Toncar berichtete von vielen Täuschungen und Fälschungen, so etwa seien Wirtschaftsprüfer in Asien schon auch einmal von angeblichen Managern in eine Bank geführt worden, die freilich nur zum Schein wie eine Bank hergerichtet worden sei. Hätte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) oder hätte Bundesfinanzminister Olaf Scholz den Betrug nicht viel früher erkennen können?

Sie hätten es sogar müssen, lautet die Antwort von Florian Toncar, der von einer Art Bankraub spricht, für den nicht lange ein Tunnel gegraben worden sei, um an den Safe zu kommen. Im Gegenteil: "Hier rannten Bankräuber eineinhalb Jahre mit Pistole und Maske über den Marktplatz", verglich der Freidemokrat das Vorgehen der kriminellen Wirecard-Verantwortlichen. So etwa habe James Freis, der Nachfolger des Vorstandsvorsitzenden Markus Braun, schon an seinem ersten Arbeitstag bemerkt, dass mit den angeblichen Asiengeschäften des Unternehmens etwas nicht stimmen kann und die Treuhandkonten, auf denen 1,9 Milliarden Euro liegen sollten, nur erfunden waren, weil das Konto auf den Philippinen in Euro geführt gewesen sei statt in Dollar. "Und der Treuhänder in Singapur hieß Oliver, das hätte man merken müssen", sagte Florian Toncar. Scholz aber weise jede Schuld von sich und mache die beteiligten Wirtschaftsprüfer für die späte Aufdeckung des Skandals verantwortlich.

"Der Helmut Dietl hätte seine Freude daran gehabt, er hätte einen James Bond daraus drehen können", sagte ein Zuhörer am Ende und riet Scholz-Jäger Toncar, ein Drehbuch zu verfassen. Irgendwann werde er Zeit haben, das alles aufzuschreiben, antwortete Toncar, "aber es wird alles noch verfilmt"

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