Stickoxide:Ausgerechnet Grünwald

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Von ihrem Balkon aus kann das Ehepaar Wiese genau beobachten, wie der Verkehr zunimmt. (Foto: Angelika Bardehle)

Einer Studie zufolge ist die Stickoxid-Belastung nirgendwo im Landkreis größer als an der Oberhachinger Straße. Kann das sein? Was sind die Gründe? Und wie leben die Menschen mit den Abgasen? Ein Ortsbesuch an der angeblich schmutzigsten Verkehrsachse des Villenvororts

Von Claudia Wessel

Niko Fostiropulos nimmt es mit Galgenhumor. "Ja toll, und hier arbeite ich", sagt der Angestellte des Getränkehandels von Karl Heinz Ehegartner. Das Geschäft liegt an der Oberhachinger Straße in Grünwald, Hausnummer 42. Genau hier soll die Luft am schlechtesten sein - mit 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter haarscharf am gesetzlichen Grenzwert. Oberhalb dieses Werts können Fahrverbote verhängt werden. Zu dem Ergebnis kommen Berechnungen des Münchner Fachbüros Müller BBM GmbH, das im Auftrag des Landratsamts Straßen in fast allen 29 Städten und Gemeinden des Landkreises untersucht und die Stickoxid-Werte berechnet hat. Als eine der drei am stärksten belasteten Straßen kam die Oberhachinger Straße in Grünwald heraus, insbesondere das kurze Stück zwischen Josef-Würth-Straße und Josef-Sammer-Straße, fast am Ortsausgang Grünwalds in Richtung Oberhaching. Nur in Gräfelfing und Planegg gibt es noch zwei Straßen, an denen laut Experten der Grenzwert im Jahresmittel ebenfalls erreicht wird.

Ausgerechnet durch Grünwald, dem Villen- und Millionärs-Vorort im idyllischen Isartal, soll also eine der schmutzigsten Straßen im Landkreis führen? Eine Straße, in der die Luft sogar stärker mit Stickstoffdioxid belastet ist als etwa in der Schleißheimer Straße oder der Tegernseer Landstraße in München? Zweifel daran haben nicht nur die Fahrer von Dieselautos. Auch die Grünen möchten überprüfen lassen, ob die "rein mathematischen Berechnungen" den Tatsachen entsprechen, wie ihre Gemeinderätin Ingrid Reinhart sagt. Im Gemeinderat stellte sie den Antrag, exakte Schadstoffmessungen vorzunehmen, so wie dies einige andere Landkreisgemeinden schon gemacht haben.

Hoffen, dass es oben im fünften Stock nichtso schlimm ist: Susanne und Gerd Wiese leben mit direktem Blick auf die Oberhachinger Straße. (Foto: Claus Schunk)

Wie belastet die Oberhachinger Straße in Grünwald am Ende wirklich sein mag: Fest steht, dass sie eine sehr verkehrsreiche Durchgangsstraße ist, die mit dem Klischee von Grünwald nichts gemein hat, die an den Villenvierteln aber auch weit entfernt vorbei führt. An ihr liegen schmucklose Mehrfamilienhäuser, Firmen, Büros und das Gymnasium. Viele Pendler, die jeden Tag zur Arbeit von München nach Pullach fahren, etwa zur Firma Linde, nutzen diese Straße, die zum Isarübergang Grünwalder Brücke führt. Der Stau auf der Oberhachinger Straße ist vor allem im Berufsverkehr schlimm, morgens zwischen 7 und 9.30 Uhr, wie Anwohner schildern, und nachmittags nach 16 Uhr. Kleinigkeiten verstärken den zäh fließenden Verkehr. So kommt es gerade an den Einmündungen zu den Nebenstraßen regelmäßig zu Staus. Verkehrszählungen ergaben 18 700 Fahrzeuge in 24 Stunden. Ein wenig erstaunlich ist es trotzdem schon, dass die Werte genau am Ortsende so hoch sein sollen, nicht aber im Rest des Ortes, durch den sich die Durchgangsstraße genauso schlängelt und wo quasi an jeder Stelle Stau herrscht. Vermutlich sind die Werte dort kaum anders, genaue Messungen wären interessant. Doch die Firma Müller BBM, die für das Landratsamt die Schadstoffberechnungen vorgenommen hat, antwortete auf eine Nachfrage nicht.

So steht Fostiropulos wie jeden Tag in dem kleinen Getränkeladen und wartet auf Kunden, die schnell ihr Auto parken, ein paar Kisten Bier oder Limonade einpacken, und rätselt. In den 18 Jahren, die er hier arbeitet, dürfte er schon viel von dem ungesunden Gas eingeatmet haben. Auch sein Chef Karl Heinz Ehegartner ist sich dessen bewusst, versucht es dann aber mit einem Scherz: "Ab und zu spuck ich Teer." Ernsthaft fügt er dann aber hinzu: "Na ja, wenn man morgens mal hustet, weiß man natürlich nicht, woher es genau kommt."

Der 60-jährige Ladeninhaber ist sogar an der Straße aufgewachsen, das Geschäft befindet sich schließlich in seinem Elternhaus. Und während Fostiropulos täglich gegen 16 Uhr nach Hause geht, bleibt Ehegartner da, denn er wohnt immer noch über dem Laden. "Vor allem bin ich ja auch immer draußen", sagt er. Denn er muss Kisten einladen, ausladen, umladen, die sich auf seinem Grundstück stapeln.

Als er Anfang der Sechzigerjahre ein kleiner Junge war, sah es noch ganz anders aus an der Straße. "Das hier war der Oberhachinger Weg", erzählt er, und drüben, beim "Waldrand Stüberl", war Schluss. Dort sei er immer mit seinem Opa hingegangen. Hinter dem Stüberl war damals nur noch der Wald, erinnert sich Ehegartner. "Die Hauptstraße durch Grünwald war damals die Wörnbrunner Straße." Später wurde die Oberhachinger Straße weitergebaut und Ehegartners Großmutter musste dafür ein Stück von ihrem Grundstück abgeben. Mit der Straße kam der Verkehr und wurde immer mehr.

Helfen könne nur eine Umgehungsstraße, "anders geht da nix", ist der Grünwalder überzeugt. Leider habe man vor 30 Jahren, als eine solche Umgehungsstraße für Oberhaching gebaut wurde, nicht gleich für Grünwald mitgeplant. "Wegen der Frösche. Dabei würden die jetzt schon lange wieder hupfen." Auch Pläne für einen Tunnel unter der Oberhachinger Straße bis zum Marktplatz seien wieder verworfen worden, erinnert sich Ehegartner. Es bleibt ihm also nichts anderes übrig, als weiter die schlechte Luft einzuatmen.

Christine Wittmann lebt seit Jahren mit dem Stau. (Foto: Claus Schunk)

Auch Gerd Wiese, der an der Ecke zur Josef-Sammer-Straße wohnt, ist ratlos angesichts seiner offenbar ungesunden Umgebung. "Ja, was soll ich dazu sagen? Ich muss mich damit abfinden." Er hoffe nur, dass es im fünften Stock, wo er mit seiner Frau lebt, nicht ganz so schlimm sei. Susanne und Gerd Wiese beobachten das Dilemma mit dem Stau auf der Oberhachinger Straße schon seit Jahren. Wegen der Staus müssten Autofahrer oft lange mit laufendem Motor warten, bis sie aus Seitenstraßen einbiegen könnten. Umgekehrt trügen die Ampeln dazu bei, dass der Verkehr stockt und steht.

Dieser Ansicht ist auch Christine Wittmann, die an der Oberhachinger Straße ein Büro und ihre Wohnung hat. Ihren kleinen Garten hinterm Haus hat sie mir einer Schallschutzmauer versehen, die zwar nicht allzu effektiv sei, aber immerhin. Sie findet, dass sie auf ihrer Straßenseite noch Glück hat, denn die wichtigsten Zimmer und der Garten seien von Sonne verwöhnt. Von Ampeln hält sie nichts. "Lieber fließender Durchgangsverkehr als immer wieder Stau." Ihr reicht schon die "Linde-Ampel" in der ersten Querstraße nach der Unterführung in Pullach. Der Rückstau reiche bis Grünwald. Was Christine Wittmann allerdings noch nicht bemerkt hat, sind starke Verschmutzungen am Haus oder an den Fenstern durch Abgase. "Da bemerke ich eher Regenspuren", sagt sie.

Weiter weg von dem laut Berechnungen neuralgischen Punkt am Ortsende, an dem die Stickoxidbelastung am schlimmsten sein soll, nimmt die Wohnbebauung direkt an der Straße bald ab. An der Oberhachinger Straße liegen noch das Grünwalder Gymnasium, das Haus der Begegnung, der Bauhof, die Feuerwehr und die Hütte der Burschenschaftler. Dann ist man fast am Marktplatz. Dort liegt seit 2017 das Ingenieurbüro eines italienischen Herstellers für Bildverarbeitung. Drei Mitarbeiter sitzen an diesem Nachmittag unter der Woche in dem Rundbau mit bestem Fensterblick auf die Oberhachinger Straße und den täglichen Stau.

Gräfelfing/Planegg
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Von Iris Hilberth und Bernhard Lohr

Teamleiter Antonio Saponaro quält sich selbst jeden Morgen über Oberhaching zur Arbeit, er wohnt in Fasangarten. Doch die Mühe lohnt sich, findet er. "Ein Büro in Grünwald ist hervorragend." Was den Verkehr betrifft, ist er gleichmütig: "Wir kennen es nicht anders." Er gibt auch zu, dass seine Firma selbst dazu beiträgt, ebenso wie zur Luftverschmutzung. "Wir bewegen fünf Autos, alle Diesel, dazu kommen die Außendienstler, die oft hierher kommen." Allerdings plane man bereits, nach Ablauf des Leasingvertrags in zwei Jahren nach Alternativen zu suchen. Man lasse sich derzeit von Firmen beraten. "Elektroauto geht allerdings nicht bei den Strecken, die wir zurücklegen müssen." Der Hauptsitz der Firma ist in Mantua südlich des Gardasees.

Den Grund dafür, dass in Grünwald die Luft am schlechtesten ist, glaubt Hanno Trurnit zu kennen: "Wenn ausgerechnet in Münchens Luftkurort Grünwald die höchsten Luftbelastungszahlen im Landkreis gemessen werden, so liegt das daran, dass Grünwald morgens und abends für die Autofahrer aus dem Süden Münchens und des Landkreises vor allem als Hindernis auf dem Weg zur Autobahn anzusehen ist", schreibt der Grünwalder in einem Leserbrief an die SZ. Das liege wiederum daran, dass ein Autobahn-Ringschluss im Süden auch von den Gemeinde-Oberen in Grünwald seit Jahren nicht nur nicht gefördert, sondern sogar bekämpft werde. "Grünwald ist Mitglied der Anti-Südring-Liga." Deren andere Mitglieder, etwa die Isartal-Gemeinden weiter im Süden, so Trurnit, "haben natürlich ein existenzielles Interesse daran, den Autoverkehr in Grünwald zu belassen, um nicht selbst damit belästigt zu werden." Hohe Stickoxidbelastung inklusive.

© SZ vom 09.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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