Kommunalwahl in Haar:Rotes Haar in Wallung

Haar, Rathaus

Wer wird die nächsten sechs Jahre Chef im Haarer Rathaus sein?

(Foto: Angelika Bardehle)

Bürgermeisterin Gabriele Müller und die SPD sehen sich mit der Möglichkeit konfrontiert, dass CSU-Kandidat Andreas Bukowski die Stichwahl gewinnt. Der 40-Jährige stellt schon mal ein 100-Tage-Programm vor.

Von Bernhard Lohr, Haar

Die CSU wittert in Haar die Chance, bei der Stichwahl am Sonntag das Bürgermeisteramt zu übernehmen. Ihr Kandidat Andreas Bukowski, 40, hat ein 100-Tage-Programm vorgelegt, um im Amt schnell neue Akzente zu setzen. So will er unter anderem einen neuen Standort für den Schulcampus für FOS, BOS und Realschule finden. Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD), 60, kontert diese Herausforderung mit ihrer Erfahrung als Verwaltungschefin und ihren jüngst erworbenen Meriten als Krisenmanagerin in der Corona-Pandemie. Vor allem will sie den seit Jahrzehnten von der SPD geprägten Haarer Kurs fortführen.

Manche hatten vor dem ersten Wahlgang am 15. März bereits gemutmaßt, dass es dieses Mal für die SPD schwer werden würde, in Haar ihre Vormachtstellung zu behaupten. Sie behielten recht, obwohl selbst kritische Stimmen einräumen, dass Bürgermeisterin Müller einen guten Job macht. Im Jugendstilpark wird gebaut, das neue Seniorenzentrum und das Wohnen mit Service sind bezogen. Es wurde ein Gewerbeentwicklungsplan auf den Weg gebracht, ein Einzelhandelskonzept verabschiedet, eine FOS angesiedelt und ein Standort für den Schulcampus definiert; zudem wird eine Grundschule als Lernhaus samt Dreifachturnhalle errichtet. Der Bahnhofsbereich wurde umgestaltet und Kommunalwohnungen entstanden. Die Beziehungen zum Bezirk sind so gut wie nie. Das Zamma-Kulturfestival brachte die Haarer zusammen. Als Zeichen dafür, dass es ihr um mehr geht als um das Tagesgeschäft, setzte Müller zu Beginn ihrer Amtszeit eine Ausstellung samt Veranstaltungsreihe an, die die Ermordung von Psychiatriepatienten in der NS-Zeit in Haar ins Bewusstsein rufen sollte.

Kommunalwahl in Haar: Amtierende Bürgermeisterin von Haar: Gabriele Müller (SPD).

Amtierende Bürgermeisterin von Haar: Gabriele Müller (SPD).

(Foto: Claus Schunk)

Die Liste ist lang und nicht abgeschlossen. Vieles wurde mit der CSU beschlossen. Aber einiges wurde auch trotz der CSU auf den Weg gebracht. Es dauerte lange, bis die Christsozialen ihre Niederlage von 2014 gegen Müller nach der Ära von deren SPD-Vorgänger Helmut Dworzak verwunden hatten. Vor allem bei der Ortsentwicklung, beim Umweltschutz und im Sozialen führte Müller Dworzaks Kurs fort. Die Grünen standen dabei in der Regel an ihrer Seite.

Die Grünen hatten in Müller oft den einzig möglichen Partner

Kommunalwahl in Haar: Mit einem hauchdünnen Vorsprung tritt Andreas Bukowski (CSU) die Stichwahl an.

Mit einem hauchdünnen Vorsprung tritt Andreas Bukowski (CSU) die Stichwahl an.

(Foto: Claus Schunk)

Honoriert wurde das alles nicht unbedingt. Müller landete bei der Wahl mit 42,2 Prozent knapp hinter ihrem Herausforderer Bukowski, der auf 42,4 Prozent kam. Bukowski hatte als Quereinsteiger mit seiner Kampagne offenbar einen Nerv getroffen. 6000 Haushalte habe er besucht, sagt er dieser Tage, und er habe viel Zuspruch erhalten. Er sieht sich getragen von denen, die sich von einer Haltung bevormundet fühlen, wonach von einem roten Rathaus alles Gute für die Haarer ausgehen müsse. Die Entscheidung für eine Erweiterung der Grundschule im Jagdfeld etwa sei über die Köpfe der Haarer hinweg gefallen, sagt Bukowski. Es möge ja sein, dass Müller Bürgerbeteiligung anbiete. Aber diese komme erst dann, wenn die Entscheidung schon gefallen ist. Und bei der Gewerbepolitik sehe er Versäumnisse.

Die Aussicht, dass er sein 100-Tage-Programm abarbeiten kann, stehen dennoch schlecht, sollten die Grünen-Wähler Müller unterstützen. Das liegt nahe. Rot und Grün arbeiteten unter Müller stets eng zusammen, was manch Schwarzer in Haar jetzt zum rot-grünen Notbündnis gegen den Absturz stilisiert. Tatsächlich trifft aber zu, was die Grünen dieser Tage oft betonen: Die Grünen hatten in Müller und der SPD bei vielen Projekten den besseren, oft den einzig möglichen Partner. Ein Beispiel war das Ausrufen des Klimanotstands, was SPD und Müller mittrugen, während die CSU einen Streit um die Begrifflichkeit vom Zaun brach. Solche Momente gab es oft und an diese erinnerten sich die Grünen-Gemeinderäte jetzt, als Mike Seckinger, Werner Kozlik, Petra Tiedemann und auch Ton van Lier eine unmissverständliche Wahlempfehlung für Müller aussprachen. Der Grünen-Ortsverband tat dies in der Sache auch. Aber ohne Müller zu nennen. Die Wähler sollten für grüne Inhalte stimmen, heißt es da. Auch der unterlegene FDP-Bürgermeisterkandidat Peter Siemsen empfiehlt keinen Kandidaten namentlich, sondern den, der Liberale inhaltlich überzeuge. Und: "Nur wer das politische Füreinander fördert und entwickelt, wird am Ende für Haar gewinnen."

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Die CSU spricht schon immer von Reformstau

Gabriele Müller selbst sagt vor der Entscheidung am Sonntag, sie habe wegen des täglichen Krisenmanagements gar keine Zeit, Wahlkampf zu betreiben. "Meine Leute kleben noch mal Plakate", sagt sie und fragt: "Ist Leistung wirklich noch etwas, was berücksichtigt wird bei der Wahlentscheidung?" Sie setze auf das Urteilsvermögen der Haarer. Innerhalb kurzer Zeit habe sie ein Helfernetz aufgebaut und eine Teststation eingerichtet, gemeinsam mit Ärzten und der Klinik, sagt Müller und setzt einen Seitenhieb: Mit einem Lächeln im Gesicht und ohne Erfahrung lasse sich eine Gemeinde in schwerer Zeit nicht steuern.

Andreas Bukowski freilich sieht sich nicht in der Rolle des Leichtmatrosen, als den ihn die SPD gerne hinstellt. Er würde in der Krise eine Anlaufstelle für Betriebe im Rathaus schaffen, kündigt er schon mal an. Der Gemeinderat solle mit Videoübertragung tagen, er würde Telefon- und Videosprechstunden einrichten und sich wappnen für die Zeit danach, damit es keinen "lähmenden Reformstau" gibt, sagt Bukowski, während Müller schon das nächste Projekt anpeilt: Sie möchte im Zuge des Mobilitätskonzepts nach der Wahl die zentrale Leibstraße umgestalten.

Es ist im Grunde wie in den vergangenen Jahren: Ein CSU-Mann spricht von Reformstau und bei SPD und Grünen fragt man sich, was der nur damit meint.

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