Süddeutsche Zeitung

Sprechen mit Medium:Im Garten der Spürigen

500 Menschen treffen sich in Taufkirchen, um mit Hilfe von Experten Kontakt zu Verstorbenen oder Engeln aufzunehmen. Zu Besuch bei einem ungewöhnlichen Kongress

Von Lea Frehse, Taufkirchen

"Ich bin ein Medienjunkie", sagt Thomas Schmelzer - und das ist durchaus doppeldeutig zu verstehen. Zum einen hat Schmelzer als Journalist schon Sendungen für Fernsehsender wie Arte geschrieben. Zum anderen treibt den 50-Jährigen eine besondere Leidenschaft: die Faszination für Menschen mit, wie sie von sich sagen, übernatürlichen Fähigkeiten. Manche sehen Engel, andere spüren Energiefelder oder sprechen mit Toten - für Schmelzer und Gleichgesinnte sind sie "Medien". Oder blumiger: "Die Übersinnlichen".

Zehn von ihnen hat der Münchner Schmelzer vor Kameras interviewt und daraus einen Film geschnitten, der sich seit seinem Erscheinen im vergangenen Jahr laut Schmelzer bereits 13 000 Mal verkauft hat. Und weil der Film ein Erfolg war und Schmelzer in spirituell interessierten Kreisen inzwischen ein echter Promi ist, wagte er ein ziemlich diesseitiges Projekt: einen Kongress mit den "bekanntesten Experten zum Thema Intuition und Spiritualität". Ein Medienspektakel sozusagen. Rund 500 Teilnehmer zählten die Veranstalter am vergangenen Wochenende im Kongresszentrum Taufkirchen. Also die für alle Sichtbaren.

Sonntagnachmittag im großen Tagungssaal, das Licht ist schummrig. Am Vortag sind hier ein Dutzend Vorträge geboten worden mit Titeln wie "Enjoy this life - werde Schöpfer deines Lebens!" von Medien wie Martin Zoller, der Verschollene aufspüren will, indem er mit seinen Händen über Landkarten fühlt. Wer hier im Zuschauersaal sitzt, hat 65 Euro bezahlt für den Vertiefungsworkshop "Praxis der Medialität und des spirituellen Weges" mit Dozent Andy Schwab. Der ist Schweizer und laut Schmelzer "eines der erfahrensten Jenseitsmedien unserer Zeit". Schwab, Jahrgang 1965, sagt, er könne mit Verstorbenen sprechen. Mehr als 2000 Menschen haben schon Termine bei ihm gebucht, um Jenseitsgespräche zu führen. Jetzt sitzt er ganz allein mitten auf der Bühne, die gefalteten Hände abgelegt auf seinem Bauch, zu seinen Füßen etwa 60 Zuhörer.

Drei Stunden lang haben die Fragen gestellt wie "Kann meine Seele sich aussuchen, wo sie inkarniert?" und Schwab hat Antworten gegeben wie: "Die geistige Welt zeigt sich uns immer nur so, wie wir sie akzeptieren." Wobei das Medium meist schon zu sprechen begonnen hat, noch bevor der Fragende seinen Satz beendet hat. Vor allem erntet er mit launigen Sprüchen viele Lacher. Die Bühne, Schwabs Mimik - es könnte auch ein Comedian sein, der hier auftritt. Jetzt aber werden alle ganz ernst: "Schließt eure Augen", sagt Schwab und im Publikum ruckeln Hintern auf Stühlen, werden randlose Brillen in Brusttaschen verstaut. Auf die Übung haben hier alle gewartet. "Denkt an einen sonnigen Frühlingsmorgen", fährt Schwab fort, "ihr seid in einem Garten." Dort sollen die Anwesenden in den kommenden 15 Minuten gemeinsamen Schweigens ihre "Geistführer" treffen können und den ein oder anderen Verstorbenen. So eine Begegnung ist freilich auf das innere Auge beschränkt. Mit offenen Lidern ist nur Schwab zu sehen, der auf seinem Smartphone tippt und ab und an auf die Uhr blickt. Bis es Zeit ist, die Augen zu öffnen und Bilanz zu ziehen.

"Ich hab' immer schon mal a bissl was gespürt", sagt eine Dame mit blonden Strähnchen in der dritten Reihe, "aber heute hat es ganz doll gekribbelt. Das kann kein Zufall sein!" Darauf Schwab: "Ja, dann glaubt man's gleich mehr, gell?" "Ich bin ganz durcheinander. Spüre ich da wirklich was oder will ich das nur spüren?", fragt eine andere Frau. Schwab: "Wenn ihr ratlos seid, seid ihr offen für Antworten."

Schwab trägt ein Funkmikrofon, dabei hätte er das gar nicht nötig: Er spricht mit klarem Bariton und dem Brustton der Überzeugung. Am Ende seines Workshops hat vielleicht nicht jeder hier einen kräftigen Herren mit guten Ratschlägen in seinem Garten getroffen, wie die Dame links außen in Reihe zwei. Aber irgendwie wirken doch alle zufrieden.

"Man kann so etwas wie Andy Schwab nicht wissenschaftlich beweisen", sagt Kongress-Chef Schmelzer, "aber wenn immer wieder Menschen unabhängig voneinander ähnliche Erfahrungen machen, dann gibt es da offensichtlich etwas, das sie beschäftigt." Aber Engel und sprechende Tote? Er verstehe, dass die meisten Menschen das für Quatsch hielten, sagt Schmelzer. Andere aber zögen aus solchen Themen Kraft: "Das geht in Richtung Lebenshilfe", meint Schmelzer. Für Schmelzer selbst begann das Interesse an "Medialität" mit einer Flucht: Mit Anfang 20 an Krebs erkrankt, sei er im Laufe der Chemotherapie "einfach abgehauen". Ein Heiler bot Linderung. Spiritualität sei ihm erst Hilfe in der Not gewesen, später Freude.

Inzwischen ist sie sein Lebensunterhalt. Schmelzers Online-Portal Mystica TV, auf dem er Video-Interviews mit Figuren wie Andy Schwab veröffentlicht, hat 37 000 Likes auf Facebook. Seit dem jüngsten Film schreibe er schwarze Zahlen, sagt Schmelzer. Vielleicht treffe er mit seinem Ansatz von wenig Dogma und viel Gefühl einen Zeitgeist, sagt der Unternehmer. "Die Leute sind spüriger geworden." Doch bei aller Leidenschaft für das Übersinnliche: "Wenn sich jemand den ganzen Tag nur noch mit Engeln und sich selbst beschäftigt, dann ist das gefährlich", findet Schmelzer. Er selbst entspanne am liebsten auf dem Sofa - mit einem Pils und einem guten Science-Fiction-Film.

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SZ vom 29.03.2017
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