Am Ende sind es zwei knappe Sätze, die eine Karriere beenden und zwei neue beginnen lassen. "Ich stelle mich den Themen und nehme die Wahl an", sagt Martin Burkert auf dem außerordentlichen Gewerkschaftstag der Eisenbahner- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in Fulda. Mit 68,5 Prozent ist Burkert am Dienstag zum neuen stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft mit mehr als 180 000 Mitgliedern gewählt worden. Ein Amt, das seine ganze Kraft erfordere, wie er in seiner Bewerbungsrede klar gemacht hatte. Burkert, der für die bayerische SPD im Bundestag sitzt, wird sein Mandat, auch das hatte er angekündigt, Ende des Jahres niederlegen. Diese Karriere endet also - und die von Bela Bach beginnt damit am 1. Januar.
Erstmals seit 2009 und dem Rückzug des ehemaligen Bundesinnenministers Otto Schily wird die Kreis-SPD wieder eine Abgeordnete in Berlin haben. Die Planeggerin Bach ist erste Nachrückerin auf der bayerischen Landesliste und wird den Platz von Burkert in der SPD-Bundestagsfraktion einnehmen. "Ich bin natürlich überglücklich", sagte Bach am Dienstagnachmittag. "Eigentlich habe ich nicht mehr damit gerechnet, doch noch nach Berlin zu kommen." Zwei Mal hatte die heute 29-Jährige für den Bundestag kandidiert - erstmals im Jahr 2014 auf einem wenig aussichtsreichen Listenplatz, vier Jahre später auf Platz 20, einer eigentlich sicheren Ausgangsposition, die den Einzug in den Bundestag hätte garantieren sollen. Doch die SPD rutschte bei der Bundestagswahl 2017 gnadenlos ab, kam im Bund auf 20,5 Prozent, in Bayern sogar nur noch auf 15,3 Prozent der Zweitstimmen. Bachs Traum vom Bundestag war ausgeträumt. Und sie selbst beendete ihre Parteikarriere fast gänzlich. Anfang 2019 trat sie als Vorsitzende der Kreis-SPD zurück.
Am Dienstagnachmittag schreibt die Juristin zuhause in Planegg an ihrer Doktorarbeit. Nebenher läuft der Livestream vom EVG-Gewerkschaftstag aus Fulda. Bach hat, wie auch einige Insider, schon seit geraumer Zeit gewusst, dass Burkert zum stellvertretenden EVG-Vorsitzenden aufsteigen wollte. Nur war nie klar, ob er auch sein Bundestagsmandat niederlegen würde. Eine entsprechende Anfrage der Süddeutschen Zeitung beantwortete sein Büro vor wenigen Wochen so: Burkert werde sich "zu gegebener Zeit äußern". Die war am Dienstag gekommen. Im Falle seiner Wahl werde er den Bundestag verlassen, sagte Burkert noch vor seiner Wahl in Fulda vor den Gewerkschaftsmitgliedern.
Und er wurde gewählt - allerdings mit einem sehr durchwachsenen Ergebnis, das ihn ins Grübeln brachte. Burkert erbat sich Bedenkzeit, der Gewerkschaftstag wurde für Beratungen unterbrochen, es wurde hinter verschlossenen Türen offenbar auf ihn eingeredet. Um 15.33 Uhr dann der entscheidende Satz: "Ich nehme die Wahl an."
Es war ein Krimi.
Wer von all dem nichts mehr mitbekam? Bela Bach in Planegg. "Ich habe den Stream ausgemacht, als das Ergebnis verkündet wurde. Da war ich mir sicher, alles ist durch", sagt sie. Als sie später von den Vorgängen erfährt, entfährt ihr mehrmals ein "Oh, mein Gott!"
Diese Dramatik passt zur politischen Geschichte Bachs, die mit dem Einzug in den Bundestag in gewisser Weise ein Versprechen einlöst. Eigentlich war seit 2009 und dem Ende der Ära Schily alles darauf ausgerichtet, als Unterbezirk wieder einen Abgeordneten nach Berlin zu schicken. Besser gesagt: eine Abgeordnete. Die heutige Chefin der Bayern-SPD, Natascha Kohnen, und der damalige Haarer Landtagsabgeordnete Peter Paul Gantzer entdeckten in Bach das "größte politische Talent" der SPD im Landkreis, wie Gantzer stets betonte. Beide Parteigrößen förderten die junge Bela Bach, wo es nur ging. Die Planeggerin wurde von der Juso-Vorsitzenden zur SPD-Kreis-Chefin befördert, der Unterbezirk war lange Zeit darauf ausgerichtet, Bach nach Berlin zu bringen. Dass der Plan jetzt aufgeht, birgt eine gewisse Dramatik.
Denn was in den kommenden Monaten in Berlin passieren wird, kann niemand so recht sagen. Die SPD wählt eine neue Doppelspitze, die einst große Koalition könnte in kürzester Zeit zerbrechen. "Ich weiß, dass es eine kurze Episode für mich werden könnte", sagt Bach. Die Legislatur läuft regulär bis Herbst 2021. Doch trotz all dieser Unsicherheiten stellt Bach klar, dass sich ihr Leben noch einmal um 180 Grad gedreht hat: "Ja, für mich ist das jetzt eine Rückkehr in die Politik und da will ich bleiben." Auch wenn es das Ende der Koalition in Berlin und Neuwahlen bedeuten und sie selbst ihren Anteil daran haben könnte, macht Bach kein Hehl daraus, bei der Abstimmung über die neue Parteispitze für Sakia Eskens und Norbert Walter-Borjans stimmen zu wollen - zwei Gegner des Bündnisses aus Union und SPD. "Wir werden als SPD aber in keinem Fall die große Koalition fluchtartig verlassen", sagt Bach. Bis dahin wolle sie in Berlin "gute Sachpolitik machen, auch für den Landkreis München, meinen Wahlkreis".
Die Reaktionen aus ihrem Kreisverband sind durchweg positiv. "Für uns ist das auch mit Blick auf die Kommunalwahl ein gutes Signal, das gibt uns Rückenwind", sagt die stellvertretende Landrätin Annette Ganssmüller-Maluche. "Und es freut mich ganz persönlich für Bela." Zehn Jahre nach Otto Schily sei das etwas Besonderes, sagt der neue SPD-Kreisvorsitzende Florian Schardt. "Es wurde auch lange darauf hingearbeitet. Ich hoffe, dass Bela schnell in Berlin ihren Rhythmus finden wird." Ihre einstige Förderin Natascha Kohnen, mit der Bach nach internen Querelen eher in zweckmäßiger Parteifreundschaft verbunden ist, sagt: Der Bundestag bekomme eine "junge, kluge Abgeordnete", ein "positives Gesicht, das den Landkreis gut repräsentieren wird".