Katastrophal" sei die Lage, heißt es, und augenblicklich "sehr, sehr schwierig". Das Problem ist nicht neu, aber akut: Im Landkreis wie in der Stadt München fehlen sozialpädagogische Fachkräfte an allen Ecken und Enden. Das Landratsamt schätzt die derzeit vakanten Positionen in und um die Landeshauptstadt auf etwa 400. "Der Arbeitsmarkt ist leer", stellt Michael Wüstendörfer, Geschäftsführer des Kreisverbands der Arbeiterwohlfahrt (Awo), fest. Gerade im Bereich Asyl- und Sozialbetreuung sowie in der Versorgung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen blieben momentan viele Stellen unbesetzt. Bis Ende des Jahres sucht die Arbeiterwohlfahrt 20 zusätzliche Sozialarbeiter. Die Zuversicht hat Wüstendörfer bei der Suche verloren: "Wir werden sicherlich die ein oder andere Stelle unbesetzt lassen müssen."
Achim Weiss von der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen befindet sich in einer ähnlichen Lage. Gerade in der Betreuung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen fehlt das Fachpersonal. Im teilweise zur Jugendhilfeeinrichtung umfunktionierten Seniorenzentrum Lore-Malsch arbeiten daher momentan auch Ethnologen und Erzieherinnen als Ersatz für sozialpädagogische Fachkräfte. "Ich empfinde das aber als Bereicherung", sagt Weiss. Gerade zusätzliche Sprachkenntnisse, beispielsweise in Arabisch, seien von großem Vorteil.
Anders verhält es sich mit der Beschäftigung des Wachdienstes, der momentan aufgrund des Fachkräftemangels eine der Wohngruppen im Gebäude des Seniorenzentrums mitbetreut: "Das ist natürlich überhaupt nicht das, was wir wollen." Zum 1. September hin sollen alle Stellen besetzt sein, bis dahin wird mit dieser Interimslösung gearbeitet. Michael Wüstendörfer sieht in dieser Beschäftigung von Fachkräften aus "artverwandten Berufsfeldern" eine kurzfristige Lösung und fordert größere Anstrengungen, um deren Qualifikationen einsetzen zu können.
Auf der Suche nach Fachkräften wenden sich derzeit viele Träger an Personalagenturen, die vor allem im Ausland nach vergleichbar qualifizierten Arbeitskräften suchen. Die Anerkennung dieser Qualifikationen müsse einfacher werden, fordert Wüstendörfer. Wenn dies in konkreten Fällen nicht funktioniert, "dann muss ich das Angebot quantitativ einschränken". Das heißt, es können weniger Jugendliche oder Erwachsene betreut werden.
Es sei darüberhinaus vergessen worden, gleichzeitig mit dem Angebot die Ausbildungskapazitäten zu erhöhen, beklagt Gabriele Stegmann vom Evangelisch-Lutherischen Dekanat München: "Nun ist da ein Loch entstanden, dass man wahrscheinlich nicht mehr auffüllen kann." Nachschub sollen Fachakademien und Hochschulen hervorbringen, doch deren Kapazitäten sind begrenzt. An der Katholischen Stiftungsfachhochschule München (KFHS) haben im vergangenen Wintersemester insgesamt 107 Studierende ihre Bachelor-Abschlüsse im Studiengang Soziale Arbeit erhalten. "Die meisten unserer Studierenden werden direkt im fünften oder sechsten Semester abgeworben", sagt Pressesprecherin Sibylle Thiede.
Die Katholische Hochschule würde gern mehr Studienplätze anbieten, allerdings nur, wenn diese gegenfinanziert seien. "Da müsste vonseiten der Politik mehr passieren", sagt Thiede. Für das aktuelle Sommersemester stehen die Absolventenzahlen noch nicht fest, doch es wird sich kaum jemand Sorgen um einen Arbeitsplatz machen müssen. Nach Angaben des Landratsamtes beziehen im Raum München nur "etwa zwei bis fünf" Sozialpädagogen Arbeitslosengeld II, entweder zur Aufstockung des Teilzeitgehalts oder aus gesundheitlichen Gründen. Trotzdem sinkt an der Hochschule München die Bewerberzahl im Studiengang Soziale Arbeit bereits seit zwei Jahren, von über 3700 im Jahr 2013 auf aktuell rund 2800.
Die Attraktivität des Berufsfelds leidet unter niedrigen Gehältern, geringer Anerkennung, schwierigen Aufgabenschwerpunkten und der Erfordernis hoher psychischer Belastbarkeit. Die KFHS befragte ihre Studierenden zuletzt 2013 zu dieser Thematik und kam zu ähnlichen Ergebnissen: Mit Arbeitsbedingungen, Einkommen und Aufstiegsmöglichkeiten waren die Studenten am meisten unzufrieden.
Die Gehälter für Fachkräfte sind tariflich festgelegt und tätigkeitsbezogen. Wer in Leitungspositionen einer großen Einrichtung arbeitet, erhält deutlich mehr Gehalt als Fachkräfte in einfachen Positionen kleiner Einrichtungen. "Ansonsten unterscheidet man sich marginal. Deswegen zählen häufig weiche Faktoren wie die Atmosphäre im Team", sagt Michael Wüstendörfer und wirbt sofort: "Bei der Awo haben wir zum Beispiel eine sehr gute betriebliche Altersvorsorge."
Die Ansichten über langfristige Lösungen des Problems sind genau so vielschichtig wie die Gründe für den Fachkräftemangel. Lena Berger vom Kreisjugendring München-Land sagt, man würde "sehr gern flexibler agieren" und "die finanziellen Anreize und letztendlich auch die Wertschätzung für die wichtige Arbeit erhöhen". Leistungen wie die München-Zulage seien "wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein". Doch die Tarifgebundenheit verhindere Gehaltserhöhungen. "Wir hoffen sehr, dass es auf politischer Ebene Signale und Lösungen geben wird", sagt Berger. Im Falle des Kreisjugendringes kommt die Finanzierung vom Landkreis München und den betroffenen Kommunen. "Daher sind wir auf Beschlüsse des Kreistags angewiesen", fasst sie zusammen.
Michael Wüstendörfer von der Awo argumentiert ähnlich: "Die Kostenträger, zum Beispiel das Jugendamt, schreiben mir vor, nach welcher Eingruppierung bezahlt wird." Organisationen wie die Arbeiterwohlfahrt, aber zum Beispiel auch kirchliche Träger, schreiben nur Stellen aus, die auch refinanziert werden. Viele Träger sehen daher die Politik in der Pflicht.
Kerstin Schreyer-Stäblein, CSU-Landtagsabgeordnete und selbst ausgebildete Sozialpädagogin, sieht das anders: "Da hat die Politik überhaupt gar keine Chance, etwas zu ändern." Es sei einfach für die Träger zu sagen, man bekomme eben nur einen gewissen Satz refinanziert. "Aber wenn sich alle großen Träger im Landkreis zusammensetzen und entscheiden, dass sie Fachkräfte zu höheren Sätzen bezahlen werden, was soll die Politik denn dann machen?", wendet sie ein. Dann müssten diese höheren Sätze automatisch refinanziert werden, da man auf die großen Träger angewiesen ist.
Auch bei den Tarifverhandlungen könnten die Arbeitgeber höhere Gehälter anbieten, doch die zuletzt ausgehandelten minimalen Verbesserungen wurden vergangene Woche von der Mitgliederbasis der Gewerkschaft Verdi abgelehnt. Diesbezüglich sagt Wüstendörfer: "Man kann natürlich allgemein nach mehr Geld schreien, aber das löst kurzfristig nichts an der Fachkräfteproblematik." Mittelfristig könne man schon "über den ein oder anderen Euro" sprechen. Schreyer-Stäblein sieht die finanzielle Situation von sozialpädagogischen Fachkräften dagegen als Grundsatzfrage: "Wir müssen darüber sprechen, wie viel uns als Gesellschaft die Arbeit am Menschen wert ist."