Sozialdemokraten:"Einzelne scheitern eher an sich selbst"

Sozialdemokraten: Marcel Schaller (ganz rechts) galt lange als Hoffnungsträger der SPD. Das Foto zeigt ihn 2005 mit dem langjährigen Landtagsabgeodneten Peter Paul Gantzer, dem damaligen Innenminister Otto Schily und der heutigen Landesvorsitzenden Natascha Kohnen (von links).

Marcel Schaller (ganz rechts) galt lange als Hoffnungsträger der SPD. Das Foto zeigt ihn 2005 mit dem langjährigen Landtagsabgeodneten Peter Paul Gantzer, dem damaligen Innenminister Otto Schily und der heutigen Landesvorsitzenden Natascha Kohnen (von links).

(Foto: Evi Pohlmüller)

Der ehemalige SPD-Unterbezirksvorsitzende Marcel Schaller verteidigt Landeschefin Natascha Kohnen gegen Kritik führender Genossinen im Landkreis. Nach seiner Einschätzung haben sich Bela Bach und Annette Ganssmüller-Maluche selbst ins Aus manövriert.

Interview von Stefan Galler, Unterschleißheim

Unterschleißheim - Er galt als eines der großen Talente der Sozialdemokraten - und das nicht nur im Landkreis München, immerhin war Marcel Schaller stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos. Zwischen 1999 und 2007 führte der Unterschleißheimer anschließend den Unterbezirk München-Land der SPD, ehe er in einer Kampfabstimmung um die Landtagskandidatur für den nördlichen Landkreis gegen Peter Paul Gantzer eine herbe Niederlage kassierte. Schaller trat von der politischen Bühne ab, konzentrierte sich auf seine berufliche Laufbahn als IT-Manager. Nach einigen Jahren politischer Abstinenz hat er seit der Landtagswahl 2018 wieder Kontakt mit den Sozialdemokraten im Landkreis. Zu den Turbulenzen, die durch den überraschenden Rücktritt der Kreisvorsitzenden Bela Bach aufgekommen sind, hat Schaller, 50, eine klare Meinung.

SZ: Herr Schaller, Sie kennen die handelnden Personen in der Kreis-SPD gut. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Marcel Schaller: Also zunächst möchte ich mal betonen, dass ich die in Ihrer Zeitung verwendete Überschrift "Partei in Auflösung" überhaupt nicht teilen kann. Es geht hier vor allem um einen internen Konflikt, der seinen Ursprung in der verlorenen Landtagswahl 2018 hat. Damals haben SPD-Leute, darunter Bela Bach und Annette Ganssmüller-Maluche, ein Thesenpapier unterschrieben, das sich gegen die Führung der SPD in Bayern und im Bund richtete. Gleichzeitig haben diese Personen behauptet, sie seien nicht gegen Natascha Kohnen. Mir ist das rätselhaft, da steckt ein Widerspruch drin. Inwiefern hängt diese Episode Ihrer Meinung nach mit den aktuellen Entwicklungen zusammen?

Man kann sagen, dass Natascha Kohnen auf die Angriffe sehr zurückhaltend und deeskalierend reagiert hat. Klar ist aber auch, dass die Unterzeichnung des Papiers die Position von Bach und Ganssmüller-Maluche in der Landkreis-SPD deutlich geschwächt hat. Innerhalb des Unterbezirks gibt es kaum jemanden, der sich auf deren Seite geschlagen hat. Liegt darin dann aus Ihrer Sicht auch der Hauptgrund für Bela Bachs Rücktritt?

Zunächst mal ist nicht hoch genug einzuschätzen, welchen Weg sie eingeschlagen hat: Sie war sechs Jahre jünger als ich damals, als sie den Kreisvorsitz übernommen hat. Außerdem lastete auf ihr von Anfang an der Druck, das Bundestagsmandat, das Otto Schily hatte, zurückzugewinnen. Und sie war ja so nah dran, bis der Traum bei der Wahl 2017 dann zerbröselt ist. Das sorgte natürlich für Frust. Durch die ungerechtfertigte Kritik an Natascha Kohnen ist sie jetzt auch noch fast total isoliert. Da hat sich für Bela Bach wohl irgendwann die Frage gestellt: Wofür mache ich das alles eigentlich? Gibt es da Parallelen zu Ihrer eigenen Karriere?

Eher nicht, weil es kein interner Konflikt in der Landkreis-SPD war, der mich spätestens ab 2003 sehr frustrierte, sondern die damalige Agendapolitik, die ich, der eher dem linken Flügel der SPD angehört, nicht teilen konnte. Ich habe dann nur noch deshalb bis 2007 durchgehalten, weil ich eine ganze Reihe von Leuten hatte, auf die ich mich trotz meiner kritischen Haltung zur Regierungspolitik im Bund weiter stützen konnte. Ich rechne es insbesondere Peter Paul Gantzer und Otto Schily hoch an, dass sie trotz unserer damaligen gravierenden inhaltlichen Meinungsunterschiede mit mir stets äußerst fair umgegangen sind. Genau diese Unterstützung hat Bela Bach nun zuletzt gefehlt, da sie nie klar machen konnte welche Stoßrichtung die Kritik des Thesenpapiers denn nun eigentlich haben soll. Nun hat sich Annette Ganssmüller-Maluche schnell in Position gebracht und erklärt, dass sie bereit wäre, Bachs Nachfolge anzutreten. Wie schätzen Sie das ein?

Marcel Schaller

Marcel Schaller, 50, ist aktuell Geschäftsführer bei der TECcompanion GmbH, einer Softwarefirma, die aus seinem eigenen Unternehmen Schaller Technologies hervorgegangen ist. Davor war er in leitender Funktion bei Kaspersky tätig.

(Foto: oh)

Es mag hart klingen, aber Annette Ganssmüller-Maluche hat keine realistische Chance auf den Kreisvorsitz. Das ist wirklich kurz vor der Tragik: Sie legt einen Bienenfleiß an den Tag, zeigt auf so vielen Veranstaltungen Präsenz und Aktivität. Und dann entzündet sie ohne Not innerparteiliche Konflikte. Wenn das von jemandem kommt, der sehr überzeugende Argumente für seine Konfliktlinie hat, an denen niemand vorbeikommt, mag das ja noch nachvollziehbar sein. Aber das ist bei ihr, wie bei Bach, eben nicht der Fall. Man sollte jetzt aber keinen zugespitzten Machtkampf mit ihr führen, sondern sie auf ihrem Weg unterstützen, beispielsweise bei einer weiteren Landratskandidatur. Hat es Sie überrascht, dass Bach und Ganssmüller-Maluche plötzlich als Duo auftreten? Bei Bachs Wahl zur Kreisvorsitzenden 2015 hatten sie nicht gerade den Eindruck einer verschworenen Gemeinschaft gemacht.

Das ist in der Tat recht neu. Sie haben für ihr Scheitern Natascha Kohnen verantwortlich gemacht - und sind dafür in der Isolation gelandet. Alle Angriffe gingen immer in Stoßrichtung Kohnen, aber sie haben sie nie erreicht, weil diese Versuche mangels Überzeugungskraft immer frühzeitig versandet sind. Nun beklagt Bela Bach, dass Kohnen den vom Unterbezirksvorstand beschlossenen Ablaufplan, ihren Nachfolger zu suchen, konterkariert hat. Nämlich durch den Vorschlag, Florian Schardt zu nominieren.

Sehnsucht nach Selbstauflösung

Wie groß der Unmut mancher Genossen ist, zeigt ein bitterböser offener Brief, den der Garchinger Fotograf Herbert Becke an die in Neubiberg lebende Landesvorsitzende Natascha Kohnen geschrieben hat. Er war 33 Jahre Leiter der Volkshochschule im Norden des Landkreises und ist nach eigenen Angaben seit 13. April 1969 SPD-Mitglied. Hier ein Auszug aus Beckes Schreiben im Wortlaut:

Sehr geehrte Genossin Kohnen, der Presse habe ich entnommen, dass nach längerem Siechtum dem SPD-Unterbezirk München Land von Dir und Deinem Umfeld endgültig der Todesstoß versetzt wurde. Nach dem langen Leidensweg kann ich das nur begrüßen. Ich bin Dir dankbar, dass Du als stellvertretende Bundesvorsitzende und frisch gewählte Bayern-Chefin diesem Grauen endlich ein Ende beschert hast. Allein der inhaltslose gouvernantenhafte Landtagswahlkampf und den daraus folgenden Konsequenzen der nahtlosen Beibehaltung allem Bisherigen war für Mitglieder, die aus inhaltlicher Überzeugung dieser Partei beigetreten sind (bei mir vor 50 Jahren), kaum mehr auszuhalten. Diese Vorgehensweise hat den großen Vorteil, nicht selbst austreten zu müssen, sondern bei Auflösung der SPD gibt es ja automatisch keine Mitglieder mehr.

Nachdem ich nicht zu dem engeren Kreis der funktionslosen Bestatter gehöre, meine Bitte, mir zeitnah nachfolgendes mitzuteilen: 1. Wo finden die Beisetzungsfeierlichkeiten statt? In Neubiberg und Umgebung? 2. Ist es eine Urnen- oder Erdbestattung? Ich erlaube mir eine Feuerbestattung vorzuschlagen, um ein letztes mal das grandiose Feuer der SPD-Verantwortlichen zu dokumentieren. 3. Wer hält die Grabrede? Mein Vorschlag: das jüngste Neumitglied, um die jüngere Generation auch bei solchen Anlässen einzubinden und Erfahrungen sammeln zu lassen. 4. Gibt es Gastredner, wie zum Beispiel Herrn Weidenbusch oder Frau Kerstin Schreyer? 5. Kann ich mich ein letztes Mal für die SPD nützlich machen. Zum Beispiel würde ich gerne Gefäße für die Krokodilstränen zur Verfügung stellen. sz

Ich möchte es mal so ausdrücken: Einzelne scheitern eher an sich selbst als an den finsteren Kräften von Natascha Kohnen. Soweit ich das mitbekommen habe, war sie da eher in der Zuschauerrolle und es war eher der verbliebene Vorstand des Unterbezirks, dem es rasch gelang, einen ersten Vorschlag für ein künftiges Vorstandsteam zusammenzustellen. Und sie waren klug genug, dann auch Edwin Klostermeier anzufragen, der wegen der Putzbrunner Bürgermeisterwahl 2018 ohne Wahlkampfbelastung ist. Man könnte es auch umdrehen: Wenn sie wochenlang gewartet hätten, um mit ihrem Kandidatenvorschlag an die Parteiöffentlichkeit zu gehen, wäre es doch fahrlässig gewesen. Kennen Sie Florian Schardt?

Ich kenne ihn seit 2012 und hatte auch bereits beruflich und politisch Kontakt mit ihm. Er ist ein sehr kluger Kopf mit hoher Sozialkompetenz. Herr Schaller, Sie kennen offensichtlich die Zusammenhänge in der Kreis-SPD bestens. Wie wäre es mit einem Wiedereinstieg?

Ich bin nicht der Sigmar Gabriel des Unterbezirks. Vor allem durch meinen engen Kontakt zu Florian Spirkl, mit dem ich als Revisor für die Arbeiterwohlfahrt München Land zusammenarbeite, bin ich in der letzten Woche in eine Beraterrolle reingerutscht. Aber ich kann für Gegenwart und Zukunft ausschließen, dass ich noch einmal ein Amt übernehme.

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