Solln: Prozess in München:S-Bahn-Täter: Brunner hat zuerst geschlagen

"Ich wollte niemals, dass so etwas passiert": Zum Prozessauftakt um den Mord an Dominik Brunner bitten die beiden Angeklagten um Verzeihung - und geben dem Manager eine Mitschuld an der Tat.

Lisa Sonnabend

Markus S. trägt ein viel zu weites Hemd, es lässt ihn schmächtig erscheinen. Den Blick hat er nach unten gesenkt, er ist blass. Die Augen hat er geschlossen, nun öffnet er sie kurz und sagt mit stockender Stimme: "Ich weiß, dass das, was ich getan habe, nicht zu entschuldigen ist und dass ich absolut falsch reagiert habe. Mir tut der Tod des Herrn Brunner so unendlich leid, ich kann es nicht beschreiben."

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Angeklagte Sebastian L. und Markus S. (rechts) im Landgericht München I: Die Anklage lautet: Mord.

(Foto: dpa, getty)

Er habe zu keinem Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit dem Tod Dominik Brunners gerechnet und ihn auch nicht gewollt, sagt der 19-Jährige beim Prozessauftakt vor dem Landgericht München I. Er wisse, dass er absolut falsch reagiert habe.

Der andere Angeklagte, Sebastian L., hält den Blick gesenkt, nervös reibt er die Hände aneinander. Er trägt ein kurzärmeliges, weißes Hemd, modische Jeans und neue, schwarze Turnschuhe. Am rechten Arm hat er ein buntes Bändchen um. Es soll wohl Glück bringen. Hat es aber nicht. Auch er sagt: "Ich wollte niemals, dass so etwas passiert. Ich weiß, dass es dafür keine Entschuldigung gibt."

Zehn Monate nach der tödlichen Attacke auf Dominik Brunner hat der Prozess gegen seine mutmaßlichen Mörder vor dem Münchner Landgericht begonnen. Um 10.30 Uhr verliest Staatsanwältin Verena Käbisch die Anklage. Sebastian L. und Markus S. wird vorgeworfen, einen Menschen aus niedrigen Beweggründen getötet zu haben. Oskar Brunner, der Vater von Dominik Brunner, sitzt im Gerichtssaal. Er muss mehrmals schlucken.

Laut Anklageschrift hatte sich der Vorfall folgendermaßen ereignet: Am Nachmittag des 12. September 2009 bedrohten Markus S.,18, Sebastian L.,17, und Christoph T.,17, an der S-Bahn-Station Donnersbergerbrücke eine Gruppe von vier Jugendlichen zwischen 13 und 15 Jahren, sie forderten 15 Euro. Als die S 7 Richtung Wolfratshausen einfuhr, stiegen Markus S. und Sebastian L. mit den vier Jugendlichen ein und bedrohten sie weiter.

Der Manager Dominik Brunner bekam demnach den Streit mit - schritt ein und alarmierte die Polizei. Am S-Bahnhof Solln stieg Brunner der Anklageschrift zufolge mit den vier Schülern aus und stellte sich schützend vor sie.

Die beiden Angeschuldigten seien über Brunners Eingreifen sehr verärgert gewesen, sagt die Staatsanwältin. Sie seien der Gruppe mit etwas Abstand und gefolgt und hätten darüber gesprochen, dass sie die Gruppe angreifen würden. Brunner sagte demnach einem Passanten, dass es jetzt Ärger geben werde. Er zog seine Jacke aus und legte den Rucksack ab, um sich besser verteidigen zu können. Die beiden Angeklagten gingen in Angriffsstellung.

Das Geschehen am Bahnsteig, das die Anklageschrift in Details beschreibt, ist grausam. Wer zuerst zuschlug, ist bislang nicht klar. Brunner soll die Jugendlichen noch aufgefordert haben, sich nicht einzumischen. Zunächst konnte er noch einen Schlag von Markus S. ins Gesicht abwehren. Die Angeklagten sollen daraufhin kurz innegehalten haben, um sich zu beraten. Doch dann schlugen sie mit aller Härte zu, heißt es in der Anklageschrift. Markus S. benutzte demnach einen Schlüsselbund, um die Schlagkraft zu erhöhen. Beide sollen auf Brunner eingeprügelt und nach ihm getreten haben, bis er zu Boden ging. Auch als Brunner nicht mehr bei Bewusstsein war, ließen die Angeklagten nicht ab. Sie beschimpften den Manager als "Dreckschwein", "Sau", "Bastard", "Arschloch" und "Motherfucker".

So schildern die Angeklagten das Geschehen

Die Verteidigung beschreibt Markus S. als schüchternen, zurückhaltenden, gar ängstlichen Menschen, der noch sehr jugendlich wirkt. Zu einer Befragung sieht er sich nicht in der Lage, lässt deshalb stattdessen eine Erklärung durch seinen Verteidiger vorlesen.

Dieser stellt das Geschehen anders dar. Demnach sei der erste Schlag von Dominik Brunner gekommen, dieser sei auf dem S-Bahnsteig um die beiden Angeklagten mit erhobenen Fäusten herumgetänzelt. Markus S. lässt erklären: "Ich bekam einen Faustschlag von dem Mann ins Gesicht. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich weiß nur noch, wie ich richtig wütend wurde und muss völlig die Kontrolle über mich verloren haben." An die Ereignisse danach könne er sich nicht erinnern.

Auch Sebastian L. sagt. "Ich habe gesehen, wie Herr Brunner seinen Rucksack und seine Jacke weggelegt hat und eine Art Boxhaltung eingenommen hat." Sie seien zu diesem Zeitpunkt zwei bis drei Meter von dem 50-Jährigen entfernt gewesen. Sie beide hätten dann "ein paar komische Sprüche" in Richtung Brunner gesagt: "Du bist ein ganz ein Harter" zum Beispiel. Dann habe Brunner Markus S. mit der Faust ins Gesicht geschlagen.

Sein Freund blutete aus der Nase, hatte Tränen in den Augen, berichtet Sebastian L. Markus S. habe dann zurückgeschlagen. "Es kam mir so vor, als ob Markus unterlegen wäre", sagt Sebastian L. "Deswegen bin ich auch auf den Herrn Brunner losgegangen." Mit der Faust, fünf oder sechs Mal. "Es wurde eine richtige Schlägerei daraus." Die Stimme von Sebastian L. ist kaum zu hören, so leise spricht er.

Einer von den vier Jugendlichen habe dann versucht, Sebastian L. wegzuziehen. Er habe diesen weggeschubst. Als Sebastian L. sich wieder umdrehte, sei Brunner bereits auf dem Boden gelegen. Brunner habe mit den Füßen um sich geschlagen, Markus S. habe ihn getreten. Er habe seinen Freund weggezogen und gesagt: "Hör auf, übertreib's nicht!" Richter Reinhold Baier fragt genau nach. "Wie hat Markus getreten?", "Nach vorne?", "Wie viele Schläge haben Sie gesehen?" Sebastian L. antwortet meist: "Ich kann mich nicht erinnern."

Während sein Freund berichtet, sitzt Markus S. regungslos da, die Hände auf dem Tisch gefaltet, der Blick nach unten, der Mund offen.

Laut Anklageschrift soll ein Zeuge im Anschluss noch versucht haben, Markus S. und Sebastian L. wegzuziehen. Daraufhin trat Markus S. noch einmal mit voller Wucht auf Brunner ein. Dann flüchteten die beiden Angeklagten. Das Tatgeschehen am Bahnsteig dauerte eine Minute. Der 50-jährige Brunner erlag wenig später im Klinikum Großhadern seinen 22 schweren Verletzungen.

Auch die Ereignisse, die zu der tödlichen Bluttat in Solln führten, schildern die Angeklageten, Der Anwalt von Markus S. sagt, die beiden Angeklagten hätten bei ihrem Freund Christoph T. getrunken und gekifft. Sie hätten dort auch übernachtet. "Anstelle eines Frühstücks tranken wir Wodka mit Orangensaft", heißt es in der Erklärung. Anschließend seien sie in einen Park gegangen. S. hat demnach "fünf Flaschen Bier und eine halbe Flasche Wodka getrunken".

"Niedrige Beweggründe"

Er sei dann mit den Freunden Christoph T. und Sebastian L. zur Donnersbergerbrücke gefahren und wollte mit Sebastian L. zu dessen Wohngemeinschaft nach Mittersendling fahren. "Dem Chris sind ein paar Jugendliche aufgefallen", sagt der Verteidiger von Markus S. Er habe begonnen, zu provozieren. Markus S. wollte sich angeblich "raushalten". "Ich wollte aber auch nicht als Feigling und Depp dastehen." Auch Sebastian L. sieht Christoph T. als den Anführer.

Als Markus S. und Sebastian L. in die S-Bahn Richtung Solln stiegen, war Christoph T. nicht mehr dabei, da er mit der S 6 zu seiner Oma fuhr. Nach Aussage von Markus S. hatten die beiden nicht mehr vor, die Jugendlichen weiter zu belästigen. Sie hätten sich dann aber in das Abteil neben die Jugendlichen gesetzt, weil es das einzig freie gewesen sei.

Die Jugendlichen hätten zu tuscheln begonnen. Die beiden Angeklagten hätten dies jedoch nicht genau verstanden, da sie mit einem MP3-Player Musik hörten, sagt Sebastian L. Sie hätten dann die vier Jugendlichen weiter provoziert. Sebastian L. gibt zu, den Jugendlichen gedroht zu haben: "Wir können euch immer noch abziehen." Dies sei jedoch nicht ernst gemeint gewesen, sagen beide Angeklagte.

Plötzlich habe sich ein "älterer Herr gegenüber" eingemischt - Dominik Brunner. Er habe gesagt: "Ich rufe jetzt die Polizei." Markus S. habe zu dem Mann gesagt: "Du Spasti. Was mischst du dich ein?" Sebastian L. habe zu Brunner gesagt: "Das ist mir egal."

Markus S. habe mit Sebastian L. dann weiter Musik gehört - und dadurch die Station Mittersendling verpasst. So stellt es auch Sebastian L. dar. In Solln wollten sie angeblich aussteigen, um am Gleis gegenüber wieder zurückzufahren. Und wie Sebastian L. sagt: "Es sollte nicht so aussehen, dass ich den Schwanz einziehe."

Neun Verhandlungstage angesetzt

Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden Jugendlichen Mord vor - aus "niedrigen Beweggründen". Da Sebastian L. zum Tatzeitpunkt erst 17 Jahre alt war, findet das Verfahren vor der Jugendkammer des Landgerichts statt. Nach dem Jugendstrafrecht drohen beiden Beschuldigten bis zu zehn Jahre Haft. Wird bei dem anderen Angeklagten Markus S. Erwachsenenstrafrecht angewendet, könnte er zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden.

Bisher hat der Vorsitzende Richter der Jugendkammer, Reinhold Baier, neun Verhandlungstage angesetzt. Ob das reicht, ist fraglich: 53 Zeugen und vier Sachverständige sind geladen.

Am Mittwoch soll das erste Kind, das von Markus S. und Sebastian L. bedroht worden war, aussagen. Mit Spannung wird die Aussage des Lokführers am 20. Juli erwartet. Dieser hatte im Vorfeld gesagt, Brunner habe als Erster zugeschlagen.

Bereits im April hatte es einen ersten Prozess zum Fall Solln gegeben. Angeklagt war Christoph T., der an der Donnersbergerbrücke nicht mit in die S-Bahn stieg, aber seine Freunde angestachelt hatte. Er wurde wegen gefährlicher Körperverletzung, versuchter räuberischer Erpressung, und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten zu 19 Monaten Haft verurteilt. Diese steht unter einer Vorbewährung. Sollte Christoph T. seine Drogentherapie erfolgreich fortsetzen, kann er darauf hoffen, dass er die Strafe nicht antreten muss.

Auch Christoph T. wird im Prozess gegen seine Freunde als Zeuge aussagen müssen.

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