Brauchtum:Vor den Pferden kommen die Pilger

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Burschen schlagen die Glocken zur Wallfahrt. (Foto: Claus Schunk)

Die Leonhardifahrt in Siegertsbrunn vereint Volksglauben und Volksfest. Es gibt die Dult und den bekannten Umritt am Sonntag. Aber es gibt auch den stillen Tag der Wallfahrer am Samstag.

Von Bernhard Lohr, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Ruhig liegt sie da, die Leonhardikirche, zwischen Wiesen und Feldern. Mächtige Bäume spenden Schatten. Am Horizont fährt die S-Bahn vorbei. Doch es ist kein verlassenes Idyll. Immer wieder kommen Radler, mal einzeln, mal im Pulk den vielgenutzten Radweg entlang. Wie aus dem Nichts steht eine Handvoll Jugendlicher vor der Kirche und umringt Martin Soos, der Anekdoten aus der Geschichte des Gotteshauses erzählt. Kaum ist die Gruppe weg, kommen sieben Buben mit einer Frau auf dem Rad an. Die Frau verteilt Steckerleis, fordert die Buben auf, sich auf die Kirchenmauer zu stellen, und sagt: "Schaut mal auf die Kirche, fällt euch was auf?"

Wer auch nur kurze Zeit an einem sonnigen Nachmittag vor St. Leonhard verbringt, erfährt, was diese Kirche vielen Menschen in Siegertsbrunn und Höhenkirchen bedeutet. Anfang Juli rückt sie nochmal stärker ins Bewusstsein. Am Wochenende nach dem Kilianstag, dem 8. Juli, steht seit jeher das Leonhardifest an, das Leahats. Es ist eine Wallfahrt zur Kirche des heiligen Leonhard, dem seit dem elften Jahrhundert in Altbayern besondere Verehrung als Schutzpatron für das Vieh und gerade für die Pferde zuteil wird. Kranke und Hilfsbedürftige rufen ihn um Beistand an. Es ist der Heilige der Bauern, Stallknechte, Fuhrmannsleute, Schmiede und Schlosser, der im Volksmund als "bayerischer Herrgott" bezeichnet wird.

Ein Detail eines alten Frieses weist auf die Entstehung der Kirche hin. (Foto: Privat)

Mit etwas Hilfe entdecken die auf der Kirchenmauer stehenden Buben den Fries, der sich auf der Südseite der Kirche unter dem Dach entlangzieht. Die Frau erzählt ihnen dann, dass die als rotierendes Fischblasenräder-Muster bekannte Malerei aus der Entstehungszeit der Kirche stammt, also wohl um 1470 herum aufgebracht wurde und deshalb noch so farbkräftig ist, weil Naturfarben verwendet wurden. Der Fries, der einen Vogel mit Hörnern zeigt, mit einem Stock im Schnabel, gibt der Überlieferung nach Hinweis auf die Entstehung der Leonhardikirche. Demnach entschied der bayerische Herzog Sigismund, als er dort entlangzog und sah, wie ein Raubvogel einen Stock aus dem Schnabel fallen ließ, an dieser Stelle eine Kirche errichten zu lassen.

Pastoralreferent Martin Soos, der viele Führungen durch St. Leonhard macht, bestätigt das Entstehungsalter des bemerkenswerten Frieses, der 1965 bei einer Kirchensanierung freigelegt wurde, mit dem etwas skurrilen "Vogel-Wolpertinger" und dem Stock, und er kennt die Geschichte, die man sich erzählt. Freilich gibt es ihm zufolge eine Quelle, die schon 1415 an dieser Stelle eine Wallfahrtskirche erwähnt. Aber wer weiß. Historie und Legende gingen da durcheinander, sagt Soos. "Es ist zumindest eine schöne Geschichte." Und es ist nicht die einzige, die sich erzählen ließe, wie die vielen Votivtafeln in der Kirche zeigen, deren älteste auf 1670 zurückgehen. Aber es ranken sich nicht nur Geschichten und Legenden um das Gotteshaus. Es ist auch ein lebendiger Ort des Glaubens und einer, der Menschen bis heute inspiriert.

Ein bleiernes Pferd spielt eine Rolle. (Foto: Claus Schunk)

Die Woche vor Leahats gehört den Kindern. Vergangenen Sonntag fuhren nach einem Familiengottesdienst Kinder mit ihren Rädern, Dreirädern und Bobbycars durch den Gang, der durch den Turm führt und ließen ihre Gefährte segnen. Einst wurden zu selbem Zweck die Pferde durch den schmalen Durchlass geführt, erzählt Angelika Schmid von der Pfarrverwaltung. Recht neu eingeführt ist, dass ein Kindergarten nach dem anderen in der Woche vor Leahats, an die Wallfahrten angelehnt, Kurzausflüge zu St. Leonhard unternimmt, wo dann die Kinder ein bleiernes Pferd um den Altar tragen können und Geschichten über die Kirche erzählt bekommen. In der Woche nach der großen Wallfahrt, nach der Dult und dem Fest, wenn die Buden und das Zelt abgebaut sind, wird am Mittwoch, 17. Juli, eigens für die Bewohner des Seniorenzentrums eine Führung angeboten.

Das eigentliche Ereignis, die Wallfahrt und das Leonhardifest, erstreckt sich von Freitag bis Sonntag, 12. bis 14. Juli, und wird unter tatkräftiger Beteiligung des Leonhardi-Komitees unter Vorsitz von Hans Loidl und des Burschenvereins Siegertsbrunn gemeinsam mit dem Pfarrverband gestemmt. Weltliche und geistliche Belange gehen Hand in Hand. Vor dem Bieranstich am Freitagabend um 19 Uhr gibt es von 18 Uhr an einen ökumenischen Gottesdienst. Der Samstag ist der Tag der Wallfahrer, aber der Abend gehört den Burschen mit dem Burschentanz im Festzelt. Jahrmarkt und Festzeltbetrieb begleiten das geistliche Großereignis. Kinder bekommen von Verwandten das Leahats-Geld, um sich etwas kaufen zu können. Höhepunkt des Wochenendes ist der dreifache Umritt mit geschmückten Pferden, Pferdewagen und herausgeputzten Festbesuchern am Sonntag von 10 Uhr an.

Übersehen wird bei dem bunten Treiben leicht, dass bis heute am frühen Samstagmorgen, wenn die Kirche noch still im Morgengrauen liegt, nach alt hergebrachten Ritualen Wallfahrer aus umliegenden Orten zu St. Leonhard pilgern, um dort zu beten. Mittlerweile geht es freilich etwas kommoder zu als früher. Viele kommen mit S-Bahn oder Auto und laufen nur die letzten Meter noch zu Fuß. Und sie dürfen eine Stunde länger schlafen. Denn neuerdings läuten die Glockenschlager-Burschen, die meistens aus alteingesessenen Siegertsbrunner Familien stammend dafür erkoren wurden und für die es eine Auszeichnung ist, erst um 6 Uhr die Wallfahrt ein. Die Glocken werden dabei geschlagen, das heißt, der Klöppel per Hand an die Glocke geführt. Das höre sich dann auch anders an als das normale Glockengeläut mit Seilen, sagt Pastoralreferent Soos, es werde ein besonderer Rhythmus geschlagen. Sobald die Wallfahrer auf der Szenerie erschienen, zögen ihnen Burschen mit Fahnen entgegen, sagt Soos, und sie würden mit Glockenschlag empfangen.

Dabei kommen etwa die Wallfahrer aus Perlach, Aying und Helfendorf um 7 Uhr zum eigens angesetzten Gottesdienst, bei dem Angelika Schmid mit dem Kirchenchor auf der Empore singt, die Wallfahrer aus Oberhaching, Egmating, Harthausen und Oberpframmern um 8 Uhr. Ausgerechnet die aus Höhenkirchen und dem nahen Brunnthal werden erst um 9 Uhr erwartet.

© SZ vom 09.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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