Forschung:Der Ernstfall als Spiel

Wie versorgt man einen verletzten Kameraden mit Schusswunde? In mehr als zehn Jahren hat die Universität der Bundeswehr in Neubiberg Serious Games entwickelt, um Sanitäter unter realitätsnahen Bedingungen auszubilden.

Von Christian Dreßel, Neubiberg

Forschung: Generalstabsarzt Stephan Schmidt ist mit Audio-Brille in eine andere Welt abgetaucht.

Generalstabsarzt Stephan Schmidt ist mit Audio-Brille in eine andere Welt abgetaucht.

(Foto: Claus Schunk)

Dem schmalen Mann in der Bundeswehruniform mangelt es mitnichten am Einsatz - und schon gar nicht an Beweglichkeit. Immer wieder verrenkt er seine Arme und Beine. Dass seine Bewegungen für die Betrachter unnatürlich wirken, bekommt er gar nicht mit. Denn Generalstabsarzt Stephan Schmidt ist in einer völlig anderen Welt abgetaucht, dafür sorgt die hochmoderne Virtual- Reality-Brille auf seiner Nase. Nach und nach versucht er einen Verletzten mit Schusswunde zu verarzten. In der Realität bekäme er das wohl mit verbunden Augen hin, in der Simulation sitzt dagegen nicht jeder Handgriff. Jede seiner Aktionen wird mit Plus- und Minuspunkten bewertet, auch die richtige Reihenfolge der Handlungen fließt in die Bewertung ein. Alle benötigten Utensilien zur Behandlung wie etwa Pflaster stehen Schmidt zur Verfügung. Seine Bundeswehrkameraden verfolgen seinen Score live auf einer Leinwand, die hochauflösende Grafik wird mittels eines Beamers projiziert. Diese Simulation heißt SanTrain (Sanitätsdienstliches Training) und gehört in eine ganze Reihe von Videospielen, welche die Universität der Bundeswehr in Neubiberg entwickelt hat.

Forschung: Die Einsatzsituation soll in der Ausbildung so realistisch wie möglich sein.

Die Einsatzsituation soll in der Ausbildung so realistisch wie möglich sein.

(Foto: Claus Schunk)

Denn während der übermäßige Videospielkonsum junger Leute gemeinhin einen schlechten Ruf genießt, will sich die Bundeswehr genau diesen zunutze machen. Mehr als zehn Jahre lang haben Axel Lehmann, emeritierter Professor für Technische Informatik an der Bundeswehr-Uni, und sein Team in einer interdisziplinären Zusammenarbeit zu Serious Games geforscht. Jene Spiele verfolgen ein ernsthaftes Lernziel und dienen nicht zur reinen Unterhaltung der Konsumenten. Nach der Entwicklung wurden die Spiele implementiert und die Nutzung bei den jeweiligen Zielgruppen evaluiert. Mit den Informatikern waren unter anderem Wissenschaftler aus der Medizin und der Medienpädagogik beteiligt.

Bei der Vorstellung der Forschungsergebnisse im Casino der Universität am Donnerstag lobte Uni-Präsidentin Merith Niehuss die Simulation als "Vorzeigeprodukt", an dem stetig weitergearbeitet werde. Hans-Ulrich Holtherm, der Kommandeur der Sanitätsakademie der Bundeswehr, die zusammen mit dem Bundesamt für Ausbildung, Information und Nutzung der Bundeswehr Auftraggeber der Studie war, sieht die geleistete Arbeit als wichtigen Schritt heraus aus der Phase einer starren Zurückhaltung. "Es findet eine Zeitenwende statt, nicht nur in der Sicherheitspolitik, sondern auch im Digitalen", sagt er.

Feuerwehr, THW und Polizei haben Interesse

Längst sind auch andere Sicherheitsorgane auf die videospielbasierten Lerninhalte aufmerksam geworden. Feuerwehr, Technisches Hilfswerk (THW) und Polizei haben Interesse an den Simulationen angemeldet. Um diese so realistisch wie möglich zu gestalten, wurden beispielsweise verschiedene Vitalparameter wie Herzfrequenz und Körpertemperatur aneinandergekoppelt. Die nachstellbaren Verletzungen reichen von Schädel-Hirn-Traumata über Schnitt- und Schusswunden bis hin zu Herzstillständen. "Die physiologischen Simulationen waren vielleicht die anspruchsvollsten", erklärt Marko Hofmann vom Projektteam. Die Auswertung der Spielresultate erfolgt voll automatisiert über Algorithmen. Die Schwierigkeitsstufe wird zudem an das Niveau des Spielers angepasst. "Grundsätzlich ist SanTrain aber keine Simulation für Einsteiger", hält der Informatiker fest. Vielmehr ergänze das Serious Game bereits vorhandenes Wissen.

Forschung: Die Versorgung von Verwundeten wird in einer Simulation durchexerziert.

Die Versorgung von Verwundeten wird in einer Simulation durchexerziert.

(Foto: Claus Schunk)

"Um unsere Sanitäter in Übung zu halten, ist das Spiel perfekt. Ein optimaler Lernfortschritt des Spielers kann aber nur erzielt werden, wenn lange genug gespielt wird. Dafür dürfe die Anwendung weder zu schwierig noch zu einfach sein, sagt Hofmann. Geübte Spieler erhalten kaum Anweisungen, mittelmäßige implizite Hinweise und ungeübte explizite Ratschläge. "So soll bei allen Wissenszuwachs garantiert werden", erläutert Manuela Pietraß, die als Medienpädagogin an dem Projekt mitgewirkt hat. Die angehenden Sanitäter der Bundeswehr sind explizit zum Zocken eingeladen.

Zur SZ-Startseite

Rüstungsindustrie
:Gewinnbringende Zeitenwende

Der Hensoldt-Konzern befindet sich angesichts der Weltlage auf steilem Wachstumskurs. Davon profitiert auch die Gemeinde Taufkirchen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: