Serie: Schauplätze der Geschichte:Räuber und Gendarm im Agilolfinger-Land

Die bayerischen Herzöge des 7. Jahrhunderts verfolgen einen eigenen Kurs im Spannungsfeld zwischen Frankenkönigen und dem Papst in Rom. Ein Wanderprediger wird zum Opfer der politischen Ränkespiele. Erinnerungen an das Martyrium des heiligen Emmeram gibt es in Kleinhelfendorf, Aschheim und Oberföhring

Von Günther Knoll

Das hätte es sein können: 2005 stieß man bei Straßenbauarbeiten im Ayinger Ortsteil Kleinhelfendorf auf menschliche Knochen und zwar ganz in der Nähe der Marterkapelle des heiligen Emmeram. Wenn das die Gebeine des Heiligen gewesen wären, hätte Aying, das Ausflügler derzeit hauptsächlich des Bieres wegen anlockt, möglicherweise als Wallfahrtsort Karriere machen können. Doch schnell fanden die Archäologen heraus, was manche Ayinger womöglich enttäuschte: Die entdeckten menschlichen Gebeine stammten nicht aus dem 7. Jahrhundert, sondern aus späterer Zeit und gehörten zu einem alten Friedhof. Die sterblichen Überreste Emmerams, der zu Bayerns "Nationalheiligen" gehört wie der heilige Korbinian, ruhen in Regensburg.

Immerhin musste die Legende des Heiligen Emmeram daraufhin nicht umgeschrieben werden. Diese fußt im wesentlichen auf einer Vita, die der Freisinger Bischofs Arbeo im 8. Jahrhundert schrieb. Danach kam der Wanderbischof im 7. Jahrhundert auf seinem Weg nach Pannonien an den Hof des agilolfingischen Bayernherzogs Theodo in Regensburg. Dort missionierte er die Christen in der Umgebung neu. Eines Tages vertraute ihm die Herzogstochter Uta ein Geheimnis an: Sie erwarte ein uneheliches Kind. Um sie zu schützen, riet ihr Emmeram, sie solle ihn selbst als Vater angeben. Bald darauf brach er zu einer Pilgerreise nach Rom auf.

Als Herzog Theodo und sein Sohn Landfried, anderswo auch Lantpert oder Lambert genannt, von Utas Schwangerschaft erfuhren, verfolgte Landfried den Bischof, stellte ihn und ermordete ihn auf grausamste Weise. Der Ort dieses schrecklichen Geschehens liegt an einer alten Römerstraße in Kleinhelfendorf. Dort wurde Emmeram auf eine Leiter gebunden und langsam in Stücke geschnitten. Den Sterbenden wollten Freunde auf den herzoglichen Hof nach Aschheim bringen. Kurz davor bei Feldkirchen starb Emmeram, der Überlieferung zufolge am 22. September 652. Er wurde in Aschheim beigesetzt, wo ein Epitaph in der Kirche St. Peter und Paul daran erinnert, auch ein entsprechend alter Grabschacht wurde gefunden.

Die Gegend soll der Legende nach daraufhin von einer regelrechten Sintflut in Form von 40-tägigen Regengüssen heimgesucht worden sein. Das verstand man als Zeichen: Emmeram wurde exhumiert und seine Überreste auf einen Ochsenkarren gelegt, den man führerlos der göttlichen Fügung überließ. Dieser legendäre Zug soll dann im Norden an der Isar zwischen Ober- und Unterföhring geendet haben. Dort, wo heute der Oberföhringer Ortsteil St. Emmeram liegt, überließ man den Leichnam auf einem Floß dem Wasser. Auf wundersame Weise soll dieses mit großer Geschwindigkeit bis zur Isarmündung und dann donauaufwärts bis nach Regensburg getrieben sein, wo Emmeram in der Kirche St. Georg bestattet wurde. Die dortige Benediktinerabtei ist nach ihm benannt. Andere Quellen besagen, Theodo sei inzwischen über die Notlüge seiner Tochter aufgeklärt worden und habe Emmerams Leichnam zurückholen lassen. Historiker vermuten hinter diesem Mord eher ein politisches Motiv: Der aus Frankreich stammende Bischof könnte einer antifränkischen Hofpartei um den bayerischen Herzogssohn Lantpert zum Opfer gefallen sein. Dass Emmeram die Schuld an der Schwangerschaft Utas auf sich nahm, mag ihnen willkommener Anlass gewesen sein, ihrem Hass dem Bischof gegenüber freien Lauf zu lassen. Die Legende zeigt in jedem Fall auch auf, in welchem Spannungsfeld zwischen den Karolingern und dem Papst in Rom sich die Agilolfingerherzöge damals befanden.

In jedem Fall ist die Emmeram-Legende auch eine Geschichte voller "sex and crime pur", wie Michl Wöllinger findet. Sein Vater hatte ihm erzählt, dass er selbst als Schulbub in Kleinhelfendorf einem Folterknecht aus der "Marterdarstellung " in der dortigen Emmeram-Marterkapelle das nur lose gesteckte Beil abgenommen hatte, um damit zusammen mit anderen Kindern "Räuber und Gendarm" zu spielen. Darüber unterhielt sich Wöllinger eines Abends mit seinem Freund Hans Kiemer, und man beschloss, das Leben des Heiligen aus der Nachbarschaft genauer zu erforschen. Es entstand die Idee, aus diesem Stoff ein Theaterstück zu machen. Es sollte 2004 ein Riesenerfolg werden - vor der Originalkulisse in Kleinhelfendorf im Freien mit gut 100 Darstellern und Marcus Everding als Autor und Regisseur.

Als Basis schuf man den Verein "Ayinger Gmoa-Kultur", Vorsitzender: Michl Wöllinger. Im Oktober ist Premiere für "Emmeram III - Der fremde Emmeram". Ein düsteres Stück in der Zukunft, in dem "nur noch die Vernunft regiert", verrät Wöllinger, der auch mit dieser Idee Mitspieler und Everding überzeugen konnte. Damit aber sei dann die "Trilogie" abgeschlossen.

Ehrensache, dass viele Laienspieler auch bei der Bruderschaft St. Emmeram dabei sind, die sich um die religiöse Tradition kümmert. So wird das Patrozinium des Heiligen am 22. September in Kleinhelfendorf mit einer prächtigen Prozession gefeiert. Und Wöllinger kann "auf den Schlag" fünf Bekannte aus der Gegend aufsagen, die den Vornamen Emmeram tragen, "allerdings alles ältere Jahrgänge".

Auch wer die Vita des Heiligen parat hat: Seine barocke Wallfahrtskirche in Kleinhelfendorf vor der malerischen Kulisse der Berge ist wie geschaffen für besondere Ereignisse. So hat zum Beispiel der Fußball-Weltmeister Philipp Lahm dort geheiratet.

Auch in Aschheim, dem ersten Begräbnisort des Heiligen, pflegt man die Erinnerung. In der Kirche Sankt Peter und Paul finden sich ein Epitaph und eine Gedächtnisplatte mit der Aufschrift "Hie ist begraben gewesen der heilig Bischof Sant Heimran 40 tag und 40 nacht". Die örtliche Realschule trägt den Namen des Heiligen, ebenso ein Kinderhaus und erst in diesem Jahr wurde ein Emmeram-Brunnen aufgestellt.. Der vermutliche Todesort des Heiligen liegt heute mitten in einem Gewerbegebiet östlich von Feldkirchen - nach Arbeos Schilderung früher ein freies Feld nahe einer Wegkreuzung, auf dem sich mehrere Wunder zugetragen haben sollen. Dort steht eine inzwischen wieder aufgebaute Emmeram-Kapelle.

Dorthin, wo ein Ochsengespann den Leichnam des Heiligen gezogen haben soll, fährt man heute am besten mit der Tram: Die Endhaltestelle in Oberföhring heißt St. Emmeram. Eine Bronzeskulptur von Rolf Nida-Rümelin am Ufer des Isarkanals erinnert an den Heiligen. Dass dieser ziemlich wohlgenährt ausfällt, könnte Spötter vermuten lassen, er hielte Einkehr in der benachbarten Emmeramsmühle, einer Traditionsgaststätte.

Morgen: Im 8. Jahrhundert wird Oberbayern zum Klosterland - ganz im Sinne der Herrschenden.

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