Süddeutsche Zeitung

Serie: Einfach nur anders (3):Rebecca - der Fremde in ihr

Lesezeit: 4 min

Ein langer Weg vom Mann zur Frau: Rebecca ist transsexuell. Doch ihre Identität findet sie erst mit 40 Jahren - nachdem sie als Wolfgang jedes Jahr auf dem Motorrad versucht hat, vor sich selbst zu fliehen.

Simone Sälzer

Ihre Lebensgeschichten sind unterschiedlich: Sie sind arbeitslos, obdachlos, süchtig oder einsam. Doch sie haben eines gemeinsam - in der Gesellschaft haben sie keine Lobby. In einer Serie porträtiert sueddeutsche.de Menschen, die sich an den Rand gedrängt fühlen und "einfach nur anders" sind. In dieser Folge geht es um Rebecca, eine Transsexuelle.

Jedes Jahr fährt Wolfgang Tausende Kilometer mit seinem Motorrad durch Europa. Er flüchtet. Vor sich. Auf den weiten Straßen, fern von daheim, hofft er, alles zu vergessen, zu verdrängen. Doch es funktioniert nicht. Irgendwann, als er wieder einmal heulend in Italien am Strand sitzt, fasst er einen Entschluss: "Ich laufe nicht länger davon."

Heute ist Wolfgang Rebecca. Sie ist dezent geschminkt, nicht übertrieben. Ein brauner Lidschatten, schwarze Mascara. Rebecca trägt einen braunen Rock und dazu passend eine geblümte Bluse. Die blonden Locken streift sich Rebecca immer wieder mit einer dezenten Handbewegung aus dem Gesicht. Die Creolen-Ohrringe baumeln leicht, wenn sie von ihrem langen Weg zur Frau erzählt. Einem Weg mit Zweifeln, Verdrängung, Wut - aber letztendlich mit einem guten Ende.

Rebecca ist transsexuell. "Ich habe eigentlich schon als Kind gewusst, dass ich im falschen Körper geboren bin", erzählt sie. Rebecca, die im bayerischen Schrobenhausen aufgewachsen ist, lebt seit gut fünf Jahren in einer kleinen Wohnung in München-Schwabing. Küche, Bad und ein großes Zimmer, in dem Bett, Couch und ein Esstisch stehen. Sie fühlt sich wohl in der Großstadt. Die kleine Wohnung ist liebevoll eingerichtet: Mit Pflanzen, Bildern und einem Glasschränkchen.

Vor sechs Jahren hat sich Rebecca operieren lassen. Da war sie 40 Jahre alt. Es sei die beste Entscheidung in ihrem Leben gewesen, erklärt sie. Von Wolfgang ist seither nichts mehr übrig. Sie sei zum Glück schon als Mann relativ schmächtig gewesen, sagt die 1,70 Meter große Frau. Nur ihr Beruf ist eher männlich: Rebecca repariert Computer und Drucker.

Aber zurück zu Wolfgang. Beim Schulanfang beneidet er als kleiner Junge die Cousine um das hübsche Kleid. Er spielt lieber mit Puppen als mit Bauklötzen. Und mit Bubenstreichen kann er überhaupt nichts anfangen.

Später, als Teenager, interessiert er sich nicht für Mädchen. Trotzdem geht er eineinhalb Jahre eine Beziehung ein. Als seine Freundin mehr will als nur Händchenhalten, kann er ihr das nicht geben.

"Das Äußere passte einfach nicht zu meinem Innern", sagt Rebecca und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: "Ich konnte einfach nichts mit dem anfangen, was da unten bei mir rumgebaumelt ist. Für mich war das immer eine altmodische Wasserleitung."

Der Reisepass und ein Foto sind zwei der wenigen Dokumente, die Rebecca von der Zeit als Wolfgang geblieben sind. Wolfgang sitzt in Lederkluft auf einem Motorrad. Die Haare sind kurz, die Geheimratsecken schon leicht zu sehen. Dass in Wolfgang damals schon eine Frau schlummert, ist auf dem Foto nicht zu erahnen - eher im Gegenteil: Wolfgang wirkt fast wie ein sympathischer Rocker. "Ich habe mich in der Hülle aber nie wohl gefühlt, wollte mein Mannsein am liebsten immer verstecken", sagt Rebecca. Heimlich Frauenkleider getragen hat Wolfgang aber nie.

Erst, als er in der Firma gemobbt wird, macht er eine Therapie. Da bricht es aus ihm heraus. Er setzt sich endlich mit seinem Wunsch auseinander, eine Frau zu werden. "Ich war damals kurz davor, von der Brücke zu springen."

Dann geht alles ganz schnell. Wolfgang sucht einen Spezialisten in Ingolstadt auf, in der Nähe seines Heimatortes. Wenige Tage später geht er zu einem Treffen Transsexueller. Er zieht Jeans, Bluse, Stöckelschuhe an und setzt eine blonde Perücke auf. Schminktipps holt er sich bei einer befreundeten Kosmetikerin. Rebecca zeigt stolz die ersten Fotos auf ihrem Laptop. Doch auf diesen sind die Gesichtszüge von Wolfgang noch sehr deutlich die eines Mannes. Hart und markant.

Trotzdem: Die männlichen Klamotten steckt er von nun an in eine Tasche. "Ich wollte diese am liebsten für immer wegschließen", sagt Rebecca. "Als ich zum ersten Mal Frauenkleider getragen und mich geschminkt habe, habe ich mich total glücklich gefühlt." Für Wolfgang ist dieser Tag ein Befreiungsschlag. Im Spiegel sieht er sich zum ersten Mal als sich selbst - als Frau.

Rebecca schlägt galant die Beine übereinander. Die Hände legt sie dabei auf ihre Knie. Dann erzählt sie weiter.

Ablehnung erlebt Wolfgang kaum, als er sich outet. Seine Eltern stehen hinter ihm, die Mutter schenkt ihm wenig später einen Rock. Auch Verwandte und Bekannte akzeptieren ihn als Frau. "Ich habe es schon immer gewusst" - das war die Reaktion seiner Tante. Auch die meisten seiner Freunde reagierten positiv. Nur einer nicht. Sein bester Freund: "Der hat sich von mir abgewandt."

Rebecca zeigt auf dem Laptop weitere Fotos auf ihrem Weg zur Frau. Während der Angleichung trägt Wolfgang schicke Kleider und meist eine Perücke mit langen blonden Haaren. Damit muss er sich auch in den eineinhalb Jahren seiner Therapie öffentlich auf der Straße zeigen. "Das war manchmal schon ein Spießrutenlauf", sagt Rebecca. "Jeder hat ja gesehen, dass ich noch ein Mann war und natürlich gegafft. Mein Bartwuchs ließ sich trotz reichlich Schminke nie verheimlichen."

Eineinhalb Jahre Probezeit als Frau also, das sah die Therapie vor. Danach ist es dann so weit. Wolfgang darf Hormone nehmen: Er erlebt Pubertät, Schwangerschaft und Wechseljahre gleichzeitig. Mit Lasern werden seine Barthaare entfernt. Auf seinen ersten Geheimratsecken werden blonde Haare eingepflanzt. Und seine Brüste beginnen zu wachsen. "Das waren die schönsten Schmerzen", sagt Rebecca. Zwei Operationen sind noch nötig. Dann wird Wolfgang zu Rebecca.

Damit einher geht auch eine innere Veränderung: "Es ist total komisch, aber ich bin heute viel emotionaler - und weine sogar bei Filmen." Ihre Hobbies haben sich geändert. Rebecca kocht und backt gerne, an Motorrädern schraubt sie weniger herum. Und noch etwas hat sich geändert: Das Verhältnis zum Körper. Heute modelt Rebecca sogar für Amateur-Fotografen.

Rebecca ist Ansprechpartnerin für die Transsexuellen-Selbsthilfe München "Viva": Treffpunkt ist jeden Freitag, 19:30 Uhr, im VIVA, Baumgartnerstraße 15; Tel.: 089/89197982; Mail: hotline@vivats.de; www.vivats.de.

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