Serie:Auf geht's in Neuenhagen

Grünwalds Partnerstadt in Brandenburg bei Berlin feiert dieses Jahr zum 25. Mal Oktoberfest. Dabei geht es allerdings deutlich gemütlicher zu als beim Original in München

Von Claudia Wessel, Neuenhagen/Grünwald

Mitte Juni bekam Stefanie Reich einen Anruf. Ob man für das Oktoberfest Plätze reservieren könne. Reich, Mitglied des Festkomitees in Neuenhagen, klingt immer noch äußerst erstaunt, als sie davon berichtet. Reservieren? Nein, das sei vollkommen unmöglich. Man komme einfach hin, zahle 1,50 Euro Eintritt für den Zugang zum Festplatz und suche sich einen Platz, fertig. Womit das Neuenhagener Oktoberfest schon mal revolutionär bürgerfreundlich ist, anders als das Original in München, auf dem jahrelang dafür gekämpft wurde, überhaupt reservierungsfreie Zonen übrig zu lassen. Ja, dann gibt es wohl auch keine Promis und keine heiß begehrten Einlassbändchen? Okay, eine kleine VIP-Ecke gebe es schon, räumt Reich ein. Aber die sei nur für ein paar handverlesene Gäste von Bürgermeister Jürgen Henze (parteilos).

Das Oktoberfest in Neuenhagen, Partnerstadt der Gemeinde Grünwald, findet in diesem Jahr zum 25. Mal statt, und zwar ganze drei Tage lang, vom 11. bis 13. September. Gefeiert wird in einem von Grünwald gespendeten, gebrauchten Festzelt. Außen rum stehen auch einige Attraktionen, allerdings keine Höher-weiter-schneller-Technik, sondern ganz bescheidene Karussells ("Ein kleiner Vergnügungspark", sagt Reich). Serviert werden zwei Biersorten: Stiegl-Bier aus Salzburg und ein Allgäuer Festbier. Münchner Bier (nämlich ein Fass Augustiner) gibt es nur zum Anzapfen, welches in der Stadt am Rande Berlins "Fassanstich" heißt. Das Salzburger Bier deshalb, weil der Wirt des Festzeltes, Franz Plank, Österreicher ist.

Als die Gemeinde Grünwald nach der Wende beschloss, Kontakt zu einer Stadt in der sich auflösenden DDR zu suchen, um dort "zu helfen", war die Freude in Neuenhagen groß. "Wieso wir?", dachte man, erinnert sich Stefanie Reich. "Das ist ja Klasse!" Auch die Idee, das Oktoberfest zu importieren, gefiel den Neuenhagenern. "Wir hatten ja am 7. Oktober immer den Tag der Republik", erzählt sie. Und egal, wie man zur Republik stand, das war auf jeden Fall ein schöner Anlass, um zusammenzusitzen, zu quatschen und ein paar Bierchen zu trinken. "Das Fest wurde ja dann von einem Tag auf den anderen gestrichen", sagt Reich, und man hört noch die damalige Enttäuschung durch. Ein Oktoberfest muss da als wahre Rettung erschienen sein. Allein vom Termin her.

So wurde das Angebot sofort zum Renner. 10 000 bis 12 000 Besucher kamen gleich am Anfang und tun es bis heute in den drei Tagen. "Wir waren ja die Ersten im Raum Berlin-Brandenburg, die ein Oktoberfest feierten", sagt Reich. Da man es mit der S 5 Richtung Spandau wunderbar erreichen kann, reisen auch viele Berliner an.

Und Bayern? Ja, Bayern kommen natürlich auch, allen voran die Grünwalder. Hubertus Lindner, zu Zeiten des ersten Neuenhagener Oktoberfestes 1991 Bürgermeister von Grünwald, war bis zum letzten Jahr seiner Amtszeit, nämlich 2002, immer dabei. Doch auch danach ließ er sich noch des Öfteren blicken. Und heuer, zum Jubiläum, ist er auf jeden Fall wieder dort. Er kann auch berichten, wie es zu der Kontaktaufnahme mit Neuenhagen kam. Das war bei einem Treffen der Grünwalder Rotarier kurz nach der Wende. Bei der Zusammenkunft sprach man natürlich über die Sensation der Wiedervereinigung, und es wurde die Idee geboren, einer Gemeinde im Osten beim Aufbau behilflich zu sein. Einer der Rotarier in der Runde hatte Kontakte nach Neuenhagen, so Lindner, und weil diese Stadt auch aufgrund ihrer Nähe zu einer Großstadt, nämlich Berlin, gut zu Grünwald passte, war es gleich beschlossene Sache. Bürgermeister Lindner konnte 1988 auch gleich den Gemeinderat überzeugen, und eine Delegation aus Neuenhagen wurde eingeladen.

Oktoberfest Neuenhagen

Das Anzapfen heißt Fassanstich, im Zelt gibt es keine Reservierungen.

(Foto: Gemeinde Neuenhagen)

Die Hilfe für die befreundete Stadt - eine offizielle Partnerschaft hat man nie geschlossen - wurde nicht in Form von Geld geleistet, sondern in Form von Waren und einer Art von "Nachhilfe". Für die Renovierung eines Pflegeheims sammelte man beispielsweise Ausstattungsgegenstände, dem damaligen Bürgermeister Klaus Ahrens (CDU) sagte Lindner, er solle Gewerbe ansiedeln, um zu Steuern zu kommen. Auch die Verwaltung bekam "Unterricht" aus Grünwald.

Schließlich entstand dann die Idee für ein Oktoberfest. "Auch damit sich das Neuenhagener Gewerbe mal präsentieren konnte", war Lindners Hintergedanke. Jede Firma sollte einen Stand dort haben. So kam es etwa, dass ein Autohandel seine Fahrzeuge auf dem Oktoberfest ausstellte. Doch auch die Gewerbetreibenden mussten das mit dem Konsum erst noch lernen. "Einige hatten Kaffee und Kuchen im Angebot und nach zwei Stunden war alles weg", erzählt Lindner. In der Planwirtschaft lief die Sache mit den Waren eben anders.

Lindner erinnert sich noch sehr gut an das allererste Fest. Der Bürgermeister sollte das Fass anzapfen, Linder dann lauthals in die Menge rufen: "Ozapft is." Doch es war keine Menge da. Zu der Zeremonie hatte sich kein einziger Neuenhagener eingefunden. Erst als wenig später die Grünwalder Blaskapelle im Zelt zu spielen begann, kamen immer mehr Menschen. "Innerhalb von einer halben Stunde war es voll", erinnert sich Lindner. Er fand in Gesprächen dann auch den Grund heraus, warum vorher niemand da war: "Die dachten, wir würden genauso wie die SED immer am 1. Mai eine große Propaganda abziehen und Reden schwingen, und das wollten sie sich ersparen." Als statt Reden Musik erklang, waren die Neuenhagener sofort dabei. Auch die bayerischen Attraktionen, die die Grünwalder dabei hatten, gefielen ihnen. Obwohl einige, wie Lindner sich lachend erinnert, beim Wirbeln der Peitschen der Goaßlschnalzer über ihren Köpfen in Deckung gingen.

Auch Axel Stutz, Orchestervorstand der Blaskapelle Grünwald, packt seit Jahren zum Oktoberfest die Lederhose ein und dann geht's auf zum Wannsee. Klar, einen Abstecher zum Wannsee und überhaupt nach Berlin kann man ganz leicht machen von Neuenhagen aus. Aber auch die Galopprennbahn Hoppegarten ist ganz in der Nähe, und wer mag, kann in einer Stunde im Spreewald sein und dort etwa eine Floßfahrt machen. Eine Reise ist Neuenhagen nach Meinung von Stutz und Linder auf jeden Fall wert.

Oktoberfest Neuenhagen

Und auch sonst ist manches anders als in München, wenn in Neuenhagen Oktoberfest gefeiert wird.

(Foto: Gemeinde Neuenhagen)

Stefanie Reich, die vor 25 Jahren noch dachte, na ja, "das ist ja nicht so Unseres", besitzt inzwischen drei Dirndl. Und war natürlich schon sehr oft auf dem richtigen Oktoberfest. "Man kommt da ja aus dem Gucken nicht raus, so eine große Kirmes", sagt sie. Deshalb hat sie auch öfters Eingewöhnungsschwierigkeiten. Da sie es ja ruhiger gewöhnt ist. So geht sie auch in München lieber unter der Woche und tagsüber in die Festzelte als am Freitag- oder Samstagabend. Der Termin des Neuenhagener Oktoberfestes wird übrigens immer so gewählt, dass er sich nicht mit dem Münchner Original überschneidet.

Was die Unterkunft betrifft, sieht es in Neuenhagen nicht anders aus als in München: Alles belegt während des Oktoberfestes! Allerdings gibt es auch nur ein Hotel Garni sowie "Ferienzimmer" und Ferienwohnungen. Die Gäste aus der Partnergemeinde Grünwald wurden viele Jahre privat untergebracht, inzwischen nächtigen alle gerne gemeinsam auf einem Matratzenlager in der Kindertagesstätte.

Ach ja, Maßkrüge. Sicher, die habe man in Neuenhagen auch, sagt Reich. Aber eben auch Viertelkrüge, für Leute, die nicht so viel auf einmal trinken möchten. Die Kosten für einen Liter Bier sind - Stand Juli - noch nicht sicher. Im vergangenen Jahr waren es sechs Euro, ist in Planks Neuenhagener Schmankerl-Hütte zu erfahren. Doch sicher ist wohl, dass die Münchner Preise bei weitem nicht erreicht werden.

Den Fassanstich hat Bürgermeister Henze in den vergangenen Jahren immer sehr gut bewältigt und er braucht sich vor dem langjährigen Vorbild Oberbürgermeister Christian Ude aus München und dem jetztigen OB Dieter Reiter nicht zu verstecken. Auch Henze braucht normalerweise genau zwei Schläge. Allerdings trug er bei dieser Amtshandlung bisher Zivil. Für das große Jubiläum in diesem Jahr erwägt er jedoch ernsthaft, eine Lederhose anzuziehen, verrät Reich. Übrigens, eine Sache haben die Neuenhagener bis heute trotz aller bayerischen Kontakte noch nicht übernommen: den Begriff "Wiesn".

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