Bildende Kunst:Außenseiter im Mittelpunkt

Bildende Kunst: Bezirkstagspräsident und Schirmherr Josef Mederer (rechts) als Kunstbetrachter bei der "Seelen-Art"-Preisverleihung im Kleinen Theater.

Bezirkstagspräsident und Schirmherr Josef Mederer (rechts) als Kunstbetrachter bei der "Seelen-Art"-Preisverleihung im Kleinen Theater.

(Foto: Claus Schunk)

Bei der Verleihung des oberbayerischen Kunstförderpreises "Seelen-Art" im Kleinen Theater Haar werden viele Kreative mit Psychiatrieerfahrung geehrt.

Von Udo Watter, Haar

Einer der beiden Schirmherren war dann doch nicht gekommen: Gerhard Polt, offenbar erschöpft von den Feierlichkeiten rund um seinen 80. Geburtstag, hatte sich entschuldigen lassen und diesmal auf einen Besuch im Kleinen Theater Haar verzichtet, wo zum sechsten Mal der oberbayerische Kunstförderpreis "Seelen-Art" verliehen wurde. Die Abwesenheit des Kabarettisten, dessen Frau Tini Polt neben anderen Kuratorinnen, Kunsthistorikern und Künstlerinnen in der siebenköpfigen Jury mitwirkte, war aber - quasi in seinem Sinne - gar nicht so wichtig, da an diesem Abend natürlich ohnehin andere im Fokus stehen sollten: die knapp 50 Künstler, die ausgezeichnet wurden, Menschen aus oder mit Bezug zu Oberbayern, die Psychiatrieerfahrung haben und sich "über die Kunst mit ihrer seelischen Gesundheit" auseinandersetzen, wie Matthias Riedel-Rüppel, der Leiter des Kleinen Theater Haars, in seiner Rede erklärte.

Das Besondere an dieser Feier im lichtdurchfluteten Theatersaal ist ja das Zusammentreffen von Menschen, für die es eher nicht normal ist, sich öffentlich zu präsentieren und Resonanz zu erfahren. Ihr Mut, sich dem auf der Bühne zu stellen, und die Offenheit, mit der sie sich in ihren Werken, die gern als "Außenseiterkunst" bezeichnet wird, mit ihren seelischen Schrammen konfrontieren, wurde von den Rednern gewürdigt, zu denen neben Riedel-Rüppel Bezirkstagspräsident Josef Mederer und Haars Bürgermeister Andreas Bukowski (beide CSU) gehörten.

Der Kunstförderpreis wird seit 2010/11 vom Sozialpsychiatrischen Zentrum der Kliniken des Bezirks Oberbayern ausgelobt, und hat zum Ziel, inklusive Kunst überregional sichtbar zu machen; zu den Förderern gehört unter anderem der SZ-Adventskalender. Das maßgeblich vom langjährigen Haarer Oberarzt Peter Vaitl initiierte Projekt "Seelen-Art" will zu einer Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen mit Hilfe von Kunst und Kultur beitragen. Die Angebote reichen von der Tagesstätte mit offenem Kunstatelier in der Haarer Ladehofstraße über Theater bis zur Seelen-Art-Galerie und eine Kabarett-Abo-Reihe.

Zur Galerie avancierte jetzt auch das Kleine Theater. Im Saal, im Foyer und erstem Stock waren die Werke von knapp 50 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen, die an diesem Abend ausgezeichnet wurden - insgesamt waren sogar mehr als 600 Werke von 174 Teilnehmern eingesandt worden. "Seelen-Art ist zu einer Marke geworden", sagte Mederer, der zweite Schirmherr des Projekts.

Bildende Kunst: Titus Waldenfels und Michael Reiserer (von links) zeichneten für die musikalische Umrahmung verantwortlich.

Titus Waldenfels und Michael Reiserer (von links) zeichneten für die musikalische Umrahmung verantwortlich.

(Foto: Claus Schunk)

Natürlich zeichnete sich die gezeigte Werkauswahl durch eine enorme Vielfalt in Stil und Sujet aus, tatsächlich fällt aber oft die direkte Auseinandersetzung mit seelischen Wunden auf: eine oft überraschende Kunst aus dem Verborgenen, formal und in der Farbgebung teils sehr originell, sehr dicht und aus dem Unterbewusstsein kommend, gleichsam im schöpferischen Selbstgespräch entstanden. Die Orientierung an Kunsthistorie oder Zeitgeist spielt kaum oder gar keine Rolle. "Was wir hier sehen, ist aber nicht Therapie, sondern Kunst", stellte Riedel-Rüppel klar. Und: "Sie alle sind Gewinner."

Prämiert wurden eine Reihe von dritten, zweiten und ersten Preisträgern und noch mal extra die besten drei - aus denen heuer wegen Punktgleichheit ein Quintett wurde: den dritten Preis erhielt Lilli Mayer, den zweiten teilten sich Serge Vollin, Vinh Tuong Nguyen und Günter Neupel, der zu den namhaften Protagonisten der süddeutschen Outsider-Art-Szene gehört. Den ersten Preis erhielt Mark Steffen Weber, dessen Acrylbilder vor allem ob ihrer soghaften kontrastiven Farbwirkung überzeugten und die Kraft, innere Unruhe äußerlich zu gestalten.

Serge Vollin, 1946 in Algerien geboren und seit 40 Jahren in Bayern lebend, malt in seinen Werken bunt und dicht, drängt mit dem Pinsel ins Grenzenlose. "Ich bin nur glücklich, wenn ich unglücklich bin", erklärt Vollin, der auch Buchautor ist. Er und Peter Vaitl begrüßen sich im Theater wie alte Bekannte - weil sie alte Bekannte sind. Einrichtungen wie in Haar hätten ihm geholfen, sich künstlerisch zu entwickeln, sagt Vollin: "Ach der Preis, der ist egal. Ich male jeden Tag."

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