Schicksalsschlag:Das Leben nach dem Knall

Baierbrunn, Gasthof zur Post, Wirt Roman Schmöll hat bei der Explosion eines Silvesterknallers die rechte Hand verloren,

Roman Schmoll liebt seinen Beruf. Mit seiner Prothese zerteilt er wieder Fleisch.

(Foto: Angelika Bardehle)

Der Baierbrunner Wirt Roman Schmoll hat seine rechte Hand bei einem Unfall mit einem Böller verloren. Jetzt trägt er eine Alu-Prothese mit Hackbeil-Aufsatz - und steht weiter jeden Tag in der Küche.

Von Michael Morosow, Baierbrunn

Samstag, 18. August 2018: Ein Tag wie in einem Sommermärchen, die Gäste im Biergarten des Wirtshauses Zur Post in Baierbrunn genießen den lauen Abend. Die Steckerlfische, einer neben dem anderen über das Grillfeuer gesteckt, verströmen einen verlockenden Duft. Es geht schon auf halb zehn zu, als der kleine Raffael, sechsjähriger Sohn von Gastwirt Roman Schmoll, seinem Papa einen Silvesterkracher unter die Nase hält, soeben gefunden unter Gerümpel neben dem Biergarten. Wenige Augenblicke später weicht der Sommertraum jäh einem Albtraum.

Heute, gut ein Vierteljahr nachdem der Böller detoniert ist und seine rechte Hand vom Unterarm gerissen hat, sitzt Roman Schmoll in der Gaststube seines Wirtshauses und sagt: "Es geht weiter, was soll ich rumscheißen." Ja, die Hand ist weg.

Und dann auch noch ausgerechnet die Funktionshand, die ihm 57 Jahre treue Dienste leistete, während die gesunde linke Hand mangels Übung noch immer nicht eines leserlichen Schreibens mächtig ist und es ihr auch bei vielerlei anderen Griffen noch an Feingliedrigkeit fehlt. "Gestern habe ich mit links eine Bestellung geschrieben - das konnte keiner lesen", sagt er. Und seit dem Unglück schaue er den Leuten beim Schreiben zu und habe dabei bemerkt, dass es sehr viele Linkshänder gebe.

Man nimmt es dem 1983 aus Tschechien nach Österreich geflüchteten Gastronomen ab, wenn er erklärt, in keinem Moment nach dem tragischen Unglück daran gedacht zu haben, seine Kochschürze an den Nagel zu hängen. Den Beweis dafür trägt er am Stummel seiner rechten Hand - eine von einem Freund mit einem 3-D-Drucker hergestellte Aluminium-Prothese, deren Verlängerung ein stählernes Hackbeil ist. Seit Wochen schon schneidet er damit Gemüse und zerteilt Fleisch.

Der Mann, so muss man ihm attestieren, hat Stehvermögen und liebt seinen Beruf. Wäre er ein Schmied, hätte er sich wahrscheinlich einen Schmiedehammer an die Prothese schrauben lassen. Nun aber freut er sich auf eine wirklich professionelle Ersatzhand mit fünf Fingergliedern zum Greifen, die ihm 90 Prozent seiner alten Fähigkeiten zurückgeben soll und deren Kosten in Höhe von 25 000 Euro die Krankenkasse trägt. Damit wird er auch endlich wieder Zwiebeln schneiden können.

Die Hightech-Prothese ist bereits angefertigt, Probetragen tragen durfte er sie bereits, aber es muss noch an ein paar Stellschrauben gedreht werden, bevor sie tadellos funktioniert. Vielleicht kann er damit in vier Wochen den Christbaum in die Wohnstube tragen und zusammen mit seinem Sohn schmücken. Dass Raffael die Detonation des Knallkörpers unverletzt überstanden hat, ist für seinen Vater ohnehin das größte Glück im Unglück. Im Augenblick der Explosion stand sein Filius hinter ihm.

Roman Schmoll hat den Hergang des tragischen Geschehens schon zigmal geschildert, nicht zuletzt Menschen aus dem Dorf, die ihn besorgt anriefen oder ihm Briefe schrieben und ihm mitunter auch Hilfe anboten, darunter Bürgermeister Wolfgang Jirschik und der ansässige Wort-und-Bild-Verlag. Das Unglück hat ihn, Knall auf Fall, bekannt gemacht im ganzen Ort. Er habe noch gewitzelt, als sein Sohn ihm den Silvesterkracher gezeigt und ihn gefragt habe, was das sei. "Wahrscheinlich eine Weltraumrakete", habe er geantwortet. Das Ding habe ausgesehen "wie eine Red-Bull-Dose mit Zünder drauf".

Wenn der Wirt gewusst hätte, dass es sich bei dem polnischen, in Deutschland verbotenen Böller viel eher um einen Sprengsatz handelte als um einen harmlosen Silvesterkracher, er hätte er wohl nicht die Flamme seines Feuerzeuges an die Zündschnur gehalten, die beim ersten Versuch und zweiten Versuch jedoch jeweils nur kurz glimmte. Dann nahm er den Böller in die rechte Hand. Die Detonation war so heftig, dass Fensterscheiben der Gaststätte zerbarsten, und so laut, dass Roman Schmoll heute noch schlecht hört. Einen Blitz habe er gesehen und dann seine Hand im Gras liegen.

"Überall war Blut"

"Überall war Blut, mein Sohn hat geschrien, in meinem Arm war ein Riesenloch, der Knochen schaute raus und die Schmerzen waren so schlimm, dass ich schrie, dass ich eingeschläfert werden will. Aber schon nach einer Minute war die Feuerwehr da", beschreibt Schmoll die 60 Sekunden nach dem Knall, an die er sich noch erinnern kann. Einsatzkräfte des First Responders der Hohenschäftlarner Feuerwehr stabilisierten seinen Kreislauf und stoppten die starke Blutung am Unterarm.

Martina Kurucová, mit der er seit drei Jahren zusammenlebt, spricht von großem Glück, dass ihr Lebensgefährte zum Zeitpunkt des Unfalls eine kurze Hose trug - die Gefahr, dass die Hosen in Brand geraten hätte können, war groß. "Sonst wäre es noch schlimmer ausgegangen", sagt die 42-Jährige, die in ihrer Heimat Mähren den Kochberuf erlernt hat. Aus dem Keller habe sie alles Eis geholt und ihren Roman damit eingehüllt. Der Verunglückte wurde in die Handchirurgie an der Nussbaumstraße gebracht.

Zwei Wochen nach der folgenschweren Detonation stand Roman Schmoll wieder in der Küche. Den Traum von einer gut gehenden Wirtschaft mit böhmisch-mährischer Speisenkarte, den er und Martina Kurucová hegen, will er nicht aufgeben. Dabei hatten beide schon einmal einen Rückschlag wegstecken müssen.

Kurz nachdem sie vor zweieinhalb Jahren die "Post" in Baierbrunn übernommen hatten, wurde die Bundesstraße 11 für sechs Monate gesperrt, die Wirtschaft war für Autofahrer nicht mehr zu erreichen, die Gäste blieben aus, auch nach Aufhebung der Straßensperre. Das Wirtepaar rief deshalb den Sternekoch Franz Rosin um Hilfe, der mit einem Kamerateam eines Privatsenders anrückte und ein neues Konzept für das Lokal ausarbeitete. Sendetermin ist an diesem Donnerstag.

An Silvester wird in der Gaststätte "Zur Post" in Baierbrunn wieder gefeiert. Einen Kracher wird Wirt Roman Schmoll nicht mehr anrühren. Mit keiner seiner beiden Hände.

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