Sauerlach:Vielstimmige Besserwisserei

Hundert Besucher verfolgen "Markworts Stammtisch", wo der Landtagsabgeordnete mit Gästen über aktuelle Themen diskutiert und dabei freilich an Corona nicht vorbeikommt. Während die Prominenten die Abstandsregeln einhalten, sitzt das Publikum dicht gedrängt - ohne Maske

Von Patrik Stäbler, Sauerlach

Zum Schluss gibt's Salami für alle. Von Blasi, dem Schottischen Hochlandrind, das einst über die Wiesen der Hallertau stapfte. Seine Besitzerin Elke Pelz-Thaller nennt sich "Mentalbäuerin", ist an diesem Donnerstagabend zu Gast bei "Markworts Stammtisch" im Sauerlacher Ortsteil Arget und säbelt nun also dicke Scheiben der Wurst ab, die sie ihren Nebensitzerinnen und Nebensitzern reicht: dem Ex-Fußballer Paul Breitner, der Schauspielerin Michaela May, dem Mediziner Wolfgang Pförringer und natürlich Gastgeber Helmut Markwort, Journalist und FDP-Landtagsabgeordneter.

Sie alle kauen jetzt auf ihrer Salami, still und zufrieden - was an diesem Abend die Ausnahme ist. Denn das vorherrschende Gefühl bei dieser durchaus unterhaltsamen Talkrunde ist ansonsten Ärger, wenn nicht gar Zorn. Etwa über die Dauerkritik an der deutschen Landwirtschaft (Pelz-Thaller), über grassierende Altersarmut (Breitner) und über das beherrschende Thema - die Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie. Oder wie Markwort sie nennt: die "sogenannte Pandemie".

Sauerlach: Gebührender Abstand vorne am Podium, dichtes Gedränge hinten im Publikum beim Stammtisch von Helmut Markwort.

Gebührender Abstand vorne am Podium, dichtes Gedränge hinten im Publikum beim Stammtisch von Helmut Markwort.

(Foto: Claus Schunk)

Nur wenige Stunden nach dem Stammtisch tritt im Landkreis eine neue Allgemeinverfügung in Kraft. Demnach sind bei Veranstaltungen wie Hochzeiten oder Vereinssitzungen höchstens 50 Teilnehmer erlaubt; bei Feiern in privaten Räumen sind es 25. Dazu gibt das Landratsamt die "dringende Empfehlung", dass sich im öffentlichen Raum - etwa in Gaststätten - bloß Mitglieder zweier Haushalte oder maximal fünf Menschen treffen sollen. Im Landgasthof Schmuck sind an die hundert Gäste erschienen, für Kulturveranstaltungen gelten eigene Auflagen. Die Besucher sitzen an Zehnertischen, Schulter an Schulter, ohne Mundschutz, zwei Stunden lang. "Unter Beachtung aller hygienischen Regeln haben wir diese Veranstaltung zusammengebracht", betont Markwort zu Beginn. Man hätte sogar "noch mal so viele Leute reinlassen dürfen. Aber dann wäre der Dominus Söder gekommen und hätte uns Ärger gemacht".

Dann überlässt Markwort seinen Gästen das Wort und dient vornehmlich als Stichwortgeber. Etwa für Paul Breitner, der erzählt, wie er in seiner Zeit bei Real Madrid den Rotwein lieben lernte. Dieser sei nebst einem Sieben-Gänge-Menü zwei Stunden vor Anpfiff serviert worden. "Ich habe zu denen gesagt, ich will zwei Spiegeleier und eine Cola, das war ich so gewöhnt aus der Bundesliga." Doch bald habe er die spanische Art der Spielvorbereitung übernommen, obschon er die erste Partie mit einem "fürchterlichen Rausch" gespielt habe. Michaela May berichtet, wie sie in Corona-Zeiten für eine Theateraufführung probt. "Das ist ein Zwei-Personen-Stück, da geht's um Liebe. Doch alles muss im Abstand von 1,50 Meter gespielt werden. Da frage ich mich, wie sollen wir das machen?" Wobei sie selbst noch in einer komfortablen Situation sei, betont May. Zigtausende andere Künstler müssten derzeit um ihre Existenz bangen. Für ihren Appell gibt's freundlichen Applaus im Saal.

Sauerlach: Der Stammtisch von Helmut Markwort lockte gut hundert Besucher an, die trotz steigender Infektionszahlen zwei Stunden lang ohne Mund-Nasen-Schutz eine aufgeregte Diskussion der Prominenten verfolgten.

Der Stammtisch von Helmut Markwort lockte gut hundert Besucher an, die trotz steigender Infektionszahlen zwei Stunden lang ohne Mund-Nasen-Schutz eine aufgeregte Diskussion der Prominenten verfolgten.

(Foto: Claus Schunk)

Ungleich lauter wird der Beifall für Wolfgang Pförringer, der mit Blick auf die Corona-Maßnahmen sagt: "Es ist eine Gemeinheit, dass man Menschen verunsichert, gleichzeitig aber eiskalt zuschaut, wie man dieses Land wirtschaftlich in den Ruin treibt." Laut Pförringer - der 76-Jährige ist Orthopäde, außerplanmäßiger Professor der LMU München und leitete einst den gesundheitspolitischen Arbeitskreis der CSU - ist Corona "eine lächerliche Form der Grippe". Von den Infizierten seien "98 Prozent absolut symptomfrei", behauptet er - was sich nicht mit Erkenntnisse des Robert-Koch-Instituts (RKI) deckt. Dieses verweist auf Studien, die den Anteil der Infizierten, die tatsächlich erkranken, auf 55 bis 85 Prozent schätzen. Pförringer jedenfalls regt sich weiter über einen "verunglückten Banker als Gesundheitsminister" auf und über "Herr Lauterbach, der sagt, er ist Arzt, und hat nie im Leben einen Patienten behandelt".

Dann wird sich weiter geärgert: über Beherbergungsverbote (May), Verdi-Warnstreiks (Markwort) und darüber, "dass unsere Gesellschaft nicht mehr konfliktfähig ist", so Pelz-Thaller. "Der eine sagt, ich habe Angst vor Corona und zieht eine Maske auf. Der andere sagt: Was bist du denn für ein Schisser? Es ist nicht mehr möglich, Nuancen sichtbar zu machen." Sagt's und dann geht die Debatte weiter - weitgehend frei von Nuancen.

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