Sarrazin: Wirbel um Auftritt in München:Therapeut und Brandstifter

Die Voraussetzungen für eine sachliche Debatte wären blendend gewesen. Doch am Ende gerieten gutgekleidete Grauköpfe ins Geifern: Warum der Auftritt Thilo Sarrazins vor dem Münchner Bürgertum zum Eklat wurde.

Peter Fahrenholz

Vielleicht war ja alles von Anfang an eine Illusion: Dass eine Diskussion in der Sache mit Thilo Sarrazin möglich ist, dass dabei Argumente ausgetauscht werden, die die Zuhörer im besten Falle nachdenklicher nach Hause gehen lassen, denen aber in jedem Fall zugehört wird. Und dass im Rahmen eines zivilisierten Gespräches auch der Autor Sarrazin ein Stück von seiner Herrenreiter-Attitüde aufgibt und sich bereit zeigt, auf kritische Einwände einzugehen.

Thilo Sarrazin bei Lesung in München, 2010

Thilo Sarrazin in der Reithalle in München: Als alle unvoreingenommenen Besucher zusammensaßen, war die Neutralität wie weggeblasen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Voraussetzungen wären eigentlich blendend gewesen: Das Münchner Literaturhaus wollte gerade keine Lesung mit angeklebter Diskussion veranstalten, sondern hatte Sarrazin mit zwei Mitdiskutanten und einem Moderator auf ein Podium gesetzt, um sofort ins Gespräch zu kommen.

Und gerade dafür sind Veranstaltungen des Münchner Literaturhauses ideal: Es ist gediegenes Münchner Bürgertum, das dort zusammenkommt. Und genau dieses Publikum ist auch zu diesem Sarrazin-Abend erschienen. Die Nachfrage nach den Karten war so groß, dass die Veranstaltung in die größere Reithalle verlegt werden musste. "Das war nicht die ungebildete Masse", sagt Literaturhaus-Chef Reinhard Wittmann. Und doch ist der Abend gründlich schief gegangen. Denn das gediegene Münchner Bürgertum hat sich schrecklich daneben benommen.

Argumente waren nicht gefragt, es ging um Akklamation für Sarrazin. Dabei hatte jeder, den man vorher nach seinen Motiven gefragt hatte, sich eine Karte zu kaufen, eine ganz ähnliche Antwort parat: Man wolle sich einmal selber ein Bild machen, mal hören, was der Herr Sarrazin zu sagen habe, wie er so sei als Person, man sei da ganz unvoreingenommen. Als dann aber alle unvoreingenommenen Besucher zusammensaßen, war die Neutralität wie weggeblasen.

Da wurde gezischt, gebuht und lautstark dazwischen gerufen, wenn die beiden anderen Podiumsteilnehmer, Handelsblatt-Chefredakteur Gabor Steingart und der Soziologie-Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Armin Nassehi, es wagten, Sarrazin zu kritisieren. In der Münchner Reithalle herrschte ein Hauch von Sportpalast. Gut gekleidete Grauköpfe ereiferten sich nicht nur, sie geiferten. "Ich bin wirklich erschrocken gewesen", sagt Nassehi am Tag danach. Nassehi ist ein geübter Diskutant und Vortragsredner, aber so etwas, bekennt er, "habe ich noch nicht erlebt".

Dabei haben sowohl Steingart als auch Nassehi Einwände gegen Sarrazins Buch vorgebracht, über die zu diskutieren gelohnt hätte. Steingart hielt Sarrazin neben den verquasten Passagen zum Thema Intelligenz vor allem den feindseligen Ton vor, in dem er schreibe. "So redet man nicht mit Menschen", sagte Steingart. Er jedenfalls habe sich nach der Lektüre den Kopftuchmädchen näher gefühlt als je zuvor. Für dieses Bekenntnis erntete der Journalist heftige Buh-Rufe.

Nassehi ging es noch schlimmer, als er auszuführen versuchte, warum Sarrazins These von der biologischen Vererbung von Intelligenz Unsinn sei, weil sich bestimmte Merkmale und Verhaltensweisen sozial vererben würden. "Aufhören"- und "Oberlehrer"-Rufe schallten dem Professor entgegen und als Nassehi dann Thilo Sarrazin einen "Kleinbürger" nannte, der mit einer ungeordneten Welt nicht klar komme, verlor das Publikum endgültig seine Contenance.

Es war, zu seiner eigenen Sicherheit, eine kluge Vorsichtsmaßnahme, dass Nassehi auf eine kleine Provokation verzichtete, die er ursprünglich im Sinn hatte: Er wollte eigentlich eine Heringsgräte mitnehmen und vorzeigen, so wie er es in Leon de Winters satirischer Parabel auf die ganze Debatte gelesen hatte.

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