Verkehr:Vision oder Luftnummer?

Verkehr: Der "schnelle Radweg" soll in mehreren Metern Höhe über der B 304 durch Haar verlaufen - von Vaterstetten bis nach München. Visualisierung: Gemeinde Haar

Der "schnelle Radweg" soll in mehreren Metern Höhe über der B 304 durch Haar verlaufen - von Vaterstetten bis nach München. Visualisierung: Gemeinde Haar

Ein Jahr nach der Präsentation sind die Pläne für einen Radweg über der B 304 in Haar noch keinen Schritt vorangekommen. Nun sollen erst einmal grundlegende Fragen geklärt werden.

Von Bernhard Lohr, Haar

Bei der Schweizer Firma urb-X denkt man groß. Dort hebt man "den Verkehr in den Himmel" und verändert damit auch gleich die Welt. Für Neues und für Visionen ist auch Haars Bürgermeister Andreas Bukowski (CSU) bekanntlich aufgeschlossen. Und so hat er mit den Vordenkern aus Basel einen Partner gefunden, mit dem seine vor einem Jahr schon mal vorgestellte Idee eines elf Kilometer langen, auf Höhe von fünf bis sechs Metern aufgeständerten "Highways" für Radfahrer, der in der Mitte der B 304 von Vaterstetten bis nach München verlaufen könnte, nun konkreter werden soll. Mit dem CSU-Bürgermeister aus Vaterstetten, Leonhard Spitzauer, und dem Bezirksausschuss-Vorsitzenden von Trudering-Riem, Stefan Ziegler (ebenfalls CSU), weiß Bukowski sich einig. Aber in Haar selbst finden nicht alle so toll, was ihr Bürgermeister sich da ausdenkt.

Die erste echte öffentliche Bewährungsprobe hat Bukowski mit seinem Projekt am Dienstagabend im Bauausschuss des Gemeinderats jedenfalls nicht bestanden. Seit er vor einem Jahr seine Idee von einem "schnellen Radweg" der Presse vorstellte, hat er darüber vor allem mit Vertretern von Unternehmen am Ort gesprochen, die Bukowski daraufhin für seine Innovationsfreude lobten. Einigen in der Gemeinde geht das aber offenbar zu weit. Wie am Dienstag bekannt wurde, gab es einigen Unmut, weil der Bürgermeister Dinge als Projekte verkaufe, die nicht einmal offiziell Thema gewesen sind. Deshalb kam das Ganze in den Ausschuss, wo Bukowski dafür warb, einen Arbeitskreis einzurichten, damit alle fortan informiert sind. Doch SPD und Grüne machten da nicht mit.

Viele Ausschussmitglieder ließen in ihren Stellungnahmen durchklingen, dass sie Bukowskis Idee für völlig unausgegoren und ein Luftschloss halten. Die Grünen hatten das schon nach dem PR-Auftritt des Bürgermeisters voriges Jahr in einer Stellungnahme erklärt, jetzt untermauerten sie ihre Ansicht mit einem 40 Punkte umfassenden Fragenkatalog. Ein Arbeitskreis brauche zuerst einmal "belastbare Arbeitsgrundlagen" sagte Ulrich Leiner (Grüne) im Ausschuss. Die fehlten völlig. Das Projekt koste nach optimistischer Schätzung 40 Millionen Euro, aber höchstwahrscheinlich deutlich mehr, so Leiner. Die Signale für eine Unterstützung aus München seien, abgesehen vom Bezirksausschusschef Ziegler, zudem dürftig. Katharina Dworzak (SPD) warnte davor, mit einem fünf Meter hohen kilometerlangem Ständerbau die "Barriere-Wirkung" der B 304 noch deutlich zu verstärken. Von solchen Einwänden ließ sich Bukowski nicht beeindrucken. Das Projekt sei zwar noch alles andere als beschlussreif, sagte er, aber ein großer Wurf für die Mobilitätswende, für den Klimaschutz und im Grunde schnell umsetzbar und günstig im Unterhalt. "Es geht darum, Menschen zu begeistern."

Verkehr: Haars Bürgermeister Andreas Bukowski will mit seiner Idee Menschen begeistern.

Haars Bürgermeister Andreas Bukowski will mit seiner Idee Menschen begeistern.

(Foto: Claus Schunk)

Der schnelle Radweg hätte nach Bukowskis Darstellung zwei Spuren pro Richtung und wäre insgesamt 4,4 Meter breit. 5000 Radfahrer könnten dort in der Stunde vom Landkreis Ebersberg bis nach München fahren. Links und rechts würde die vorsorglich beheizte Fahrbahn in luftiger Höhe von Solarmodulen flankiert, die auch Windschutz bieten. Die Module hätten eine Leistung von bis zu einem Megawatt pro Kilometer und würden das gesamte Verkehrsprojekt energetisch zu einem Gewinn machen. Pro Jahr würden so 60 Tonnen CO₂ eingespart. Die Holzbauweise der Basler Firma würde im Vergleich zu einer konventionellen Bauweise in Beton oder Stahl bei der Produktion zudem 3000 Tonnen CO₂-Reduktion bringen. Alle 500 Meter bis maximal fünf Kilometer würde ein Zugangspunkt über eine befahrbare Helix an der B 304 geschaffen, ähnlich wie es sie am Arnulfsteg in München gibt, nur kleiner. Das alles fasste Bukowski unter dem Begriff "smart" zusammen. Smarte Konstruktion, smarte Wartung und so weiter.

Doch der Bürgermeister, dem lediglich die CSU-Fraktion und FDP-Gemeinderat Peter Siemsen folgten, musste auch einräumen, dass tatsächlich noch nichts wirklich geklärt ist. Ein Jahr nach der Präsentation der Vision wurde noch nicht einmal eine Stellungnahme des Staatlichen Bauamts eingeholt, das für die B 304 zuständig ist. Die Firma, auf deren patentierte Modulbauweise alle Überlegungen bisher fußen, plant zunächst in Basel eine Modellstrecke. Die Stadt München, die MVG und der Landkreis diskutieren zudem über eine Trambahnstrecke genau dort, wo der Radweg verlaufen soll. Bukowski hält beides parallel für machbar. Auch könnte trotzdem der Radschnellweg entstehen, den die Grünen an der Bahntrasse vorantreiben und zu dem auch schon Beschlüsse gefasst und Förderanträge gestellt worden sind. Gespräche, wie das alles miteinander vereinbar sein soll, gab es bisher nicht, wie sich am Dienstag zeigte.

Verkehr: Der aufgeständerte Radweg lässt sich angeblich gemeinsam mit einer Trambahntrasse in der Mitte der B 304 verwirklichen.

Der aufgeständerte Radweg lässt sich angeblich gemeinsam mit einer Trambahntrasse in der Mitte der B 304 verwirklichen.

(Foto: privat)

Dennoch verwarfen die Mitglieder des Bauausschusses das Projekt nicht gleich in Bausch und Bogen, wie es die SPD forderte. Die Grünen setzten sich mit dem Plan durch, erst einmal grundlegende Fragen zu klären und in einem halben Jahr weiter zu beraten. So sei vollkommen unklar, wie die Zufahrten auf den Radweg konstruiert werden sollten. Dass es darauf Antworten gibt, die das Ganze realistisch erscheinen lassen werden, zweifeln die Grünen stark an. Haars Bürgermeister will es trotzdem versuchen.

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