Radschnellwege:Zügig dem Wasser nach

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Viele Garchinger favorisieren die Route am Schleißheimer Kanal für die Trasse im Norden von München, weil sie schnell ausgebaut werden könnte. Ende September wird entschieden

Von Irmengard Gnau, Garching

Rudi Naisar weist mit dem Arm auf ein großes Feld rechts des Weges, auf dem übermannshoch der Mais steht. Links des gekiesten Weges fließt der Schleißheimer Kanal. Das Grundstück, auf dem heute noch Mais wächst, hat sich die Stadt Garching gesichert; möglicherweise wird dort einmal eine Realschule gebaut. Gleich daneben, am südlichen Rand des Ortsteils Hochbrück, wird bereits in wenigen Jahren ein neues Wohngebiet entstehen, Heimat für mehrere Tausend Neu-Garchinger. Wie es modernen neuen Wohngebieten gut zu Gesicht steht, soll auch das Quartier "Wohnen am Kanal" möglichst mit wenig Autoverkehr auskommen und dennoch gut angeschlossen sein - wie das gehen könnte, dazu hat Rudi Naisar eine klare Meinung. Der gebürtige Hochbrücker sitzt seit Jahrzehnten für die SPD im Garchinger Stadtrat und ist seit 2013 der Fahrradbeauftragte der Stadt. Aus seiner Sicht eignet sich der Weg entlang des Schleißheimer Kanals ideal als Route für den lange geplanten Radschnellweg im Norden von München.

Das 2016 mit viel Trara angestoßene Prestigeprojekt soll Radler über circa 23 Kilometer vom Münchner Stachus bis nach Garching zum Forschungscampus der TU respektive nach Unterschleißheim führen, möglichst komfortabel und ohne Unterbrechungen. Beispielsweise Berufspendler sollen so das Fahrrad als echte Alternative zum Auto erkennen. Dass die Strecke durch den Norden des Landkreises wirklich Bayerns erster Radschnellweg wird, daran haben angesichts des zuletzt schleppenden Planungsfortschritts inzwischen einige Zweifel. Zwar ist die Entwurfsplanung für den Abschnitt von Freimann bis zur Kreuzung der Bundesstraßen 13 und 471 in Garching-Hochbrück abgeschlossen, avisierter Baubeginn ist das kommende Jahr.

Doch in München sind noch viele Fragen offen und auch die Trassenführung von der Kreuzung von B 13 und B 471 bis zum Forschungscampus nördlich von Garching war bisher noch umstritten. Das soll sich nun ändern: Ein vom Landkreis beauftragtes Planungsbüro hat die bisherigen Varianten nähergehend untersucht und wird seine Ergebnisse am kommenden Donnerstag, 16. September, im Garchinger Bauausschuss vorstellen; die endgültige Entscheidung über die Wahl der Varianten werden dann der Stadtrat am 23. September sowie schließlich der Verkehrsausschuss des Landkreises in seiner Sitzung am 18. Oktober treffen.

Garchings Fahrradbeauftragter Rudi Naisar (rechts) und Robert Burschik vom ADFC begutachten die Vor- und Nachteile der verschiedenen Routenvarianten, hier an der Autobahnbrücke. (Foto: Irmengard Gnau/oh)

Zwei Varianten dürften nach genauer Betrachtung sicherlich ausscheiden: Ein Radschnellweg entlang der B 471 mitten durch das Hochbrücker Gewerbegebiet erscheint angesichts der zahlreichen Zu- und Ausfahrten zu gefährlich. Auch die Route nördlich des Gewerbeparks durch die Heide macht wenig Sinn. "Durch die Heide zu fahren, ist zwar schön, aber als schnelle Verbindung nicht geeignet", sagt Robert Burschik, lokaler Vertreter des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). "Das Ziel ist hier schließlich, möglichst viele Menschen anzubinden." Die Strecke entlang des Schleißheimer Kanals hingegen sehen Burschik wie auch Naisar als sehr gut geeignet an. Der Weg ist bereits vorhanden, müsste als schnelle Verbindung lediglich verbreitert und asphaltiert werden, außerdem die bestehende Brücke durch eine breitere ersetzt.

Die beiden Praktiker hoffen, dass auf dem Papier entworfene Vorgaben und Bezeichnungen das Vorhaben nicht weiter ausbremsen. "Wir müssen runterkommen von festgelegten Standards, die ohnehin in der Praxis nicht überall einzuhalten sind", fordert Naisar. Lieber solle man die Gegebenheiten vor Ort nutzen, etwa einen Radweg mit viereinhalb Metern bauen, und je nach Bedarf diesen - wenn nötig - noch einmal verbreitern. "Wichtig ist, wir müssen endlich anfangen!" Auch Burschik plädiert dafür, möglichst viel der bereits bestehenden Wege zu nutzen. "Radverkehr lebt davon, dass er einfach und günstig ist", sagt der ADFC-Vertreter. Zum Teil ließe sich schon mit kleinen Maßnahmen viel für Radler verbessern, etwa durch eine besser sichtbare Markierung der Radspur auf der Fahrbahn. Auch die Bedeutung einer sinnhaften und gut erkennbaren Beschilderung von Radwegen sei nicht zu unterschätzen.

Am Beispiel der Beschilderung lässt sich auch eines der Grundprobleme illustrieren, das Naisar und Burschik sehen: Bei Radwegen herrscht oftmals ein Kompetenzen-Wirrwarr. "Bisher haben viele verschiedene Ebenen und Akteure an Radrouten geplant - die Kommunen, die Landkreise, das staatliche Bauamt, dazu kommen Akteure wie hier in der Region die Nordallianz oder der Erholungsflächenverein", sagt Burschik. Das Engagement sei generell zu begrüßen, aber "oft endet die Planung an der Orts- oder Landkreisgrenze". Oder aber die Konzepte überlappen sich, sodass zum Beispiel ein Schilderwald entsteht. Auch beim geplanten Radschnellweg, an dem der Landkreis, die Stadt München und das staatliche Bauamt beteiligt sind, sieht Naisar zu viele Zuständigkeiten. "Es fehlt eine ordnende Hand", sagt er, etwa vom Freistaat. Burschik wünscht sich ein eigenes Mobilitätsministerium auf staatlicher Ebene, ausgestattet mit genügend Personal. Auf diese Weise könnte der Radverkehr im Gesamtzusammenhang betrachtet werden, als zukunftsträchtiger, elementarer Baustein für die Mobilität des Einzelnen.

Wichtige Voraussetzung für einen gelungenen Radverkehr ist auch eine sinnhafte, eindeutige Beschilderung. (Foto: Irmengard Gnau/oh)

Für Garchings Fahrradbeauftragten Naisar steht fest: Es braucht nicht nur Schnellwege, sondern ein Netz aus gut ausgebauten und gut erreichbaren Strecken, um die Menschen vom Nutzen des Radverkehrs zu überzeugen. Ein Baustein dafür könnte eine Radtangente zwischen Oberschleißheim, Garching und Ismaning ebenfalls entlang des Schleißheimer Kanals sein; eine Studie hat der Strecke jüngst einige Fahrer vorhergesagt. Von Norden her soll ein weiterer Radschnellweg Freising und den Forschungscampus in Garching verbinden. Auf Anregung der Garchinger CSU prüft die Kommune zudem gerade, inwieweit sich die bei vielen Radlern beliebte Strecke entlang der U-Bahntrasse von Garching-Hochbrück bis zum Halt Kieferngarten in München hinein asphaltieren und beleuchten ließe, um diesen Weg komfortabler zu machen.

Wie genau der Garchinger Radschnellweg vom Kanal ab verlaufen soll - links am U-Bahnhof Hochbrück vorbei und über die Schafweidestraße oder rechts von Bahnhof und Business Campus -, müssen die Garchinger und Kreispolitiker nun entscheiden. Danach soll die Route direkt in die Detailplanung gehen, heißt es vom Landratsamt. Damit die insgesamt acht Kilometer lange Strecke dann gut vorankommt, wird sie in mehrere Abschnitte unterteilt; schnell umsetzbare sollen "baldmöglichst realisiert werden", kündigt die Behörde an. Wenn Förderanträge, Genehmigungen durch die Untere Naturschutzbehörde, das Wasserwirtschaftsamt und den Denkmalschutz sowie der nötige Grunderwerb reibungslos vonstatten gehen, könne der Bau voraussichtlich Anfang 2023 begonnen werden.

© SZ vom 11.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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