Radikale Fußballfans in München:Unter Ultras

Die Schickeria sind die Ultra-Fans des FC Bayern München. Von der Polizei werden sie als äußerst gewaltbereit eingestuft, sie selbst fühlen sich als Opfer des "Polizeistaats". Das Fanprojekt München versucht zu vermitteln. Ein Besuch.

Beate Wild

Der Arbeitstag beginnt für Günter Krause mit Ärger. Es ist Samstagmittag, einige Stunden vor dem Spiel des FC Bayern München gegen den 1. FC Kaiserslautern. Auf dem Busparkplatz vor der Allianz-Arena hat sich die Schickeria versammelt, eine Gruppe sogenannter Ultra-Fans. Sie gilt bei der Polizei als äußerst gewaltbereit. Krause ist Leiter des Fanprojekts München und kümmert sich um die Fans des FC Bayern und des TSV 1860 München.

FUSSBALL Champions League FC Bayern (FCB) - FC Basel / Reportage Polizei + Fan-Ausschreitung

Polizeiaufgebot vor einem Spiel des FC Bayern München in der Allianz-Arena.

(Foto: JOHANNES SIMON)

Plötzlich wird es hektisch, und der 61-Jährige, den hier alle nur Günter nennen, wird gerufen. Die Polizei ist aufgetaucht, um einen der Ultras festzunehmen. Es gibt einen Haftbefehl gegen den 26-Jährigen, weil er gegen Bewährungsauflagen verstoßen hat und sich unerlaubt bei der Schickeria aufhält. Das darf er nicht mehr, seit er wegen Körperverletzung zu einer Haftstrafe verurteilt worden ist. Die Beamten nehmen den Verdächtigen sofort mit, da hilft kein Diskutieren. "Bei einem Haftbefehl kann ich auch nichts mehr machen", sagt Krause. Sein Job ist es, zwischen Ultras, Polizei und Verein als Vermittler zu agieren. Dann geht er zurück zum Streetwork-Bus, mit dem das Fanprojekt bei jedem Spiel vor der Arena präsent ist.

"Der Bus ist unsere Möglichkeit, Kontakt zur Schickeria zu halten", sagt Krauses Kollege Thomas Emmes, 44. Beide fahren zu jedem Heim- und Auswärtsspiel des FC Bayern. Das Fanprojekt, von Stadt, Freistaat, Deutschem Fußballbund und Bundesliga finanziert, gibt es seit 1995. Aber schon seit Ende der siebziger Jahre setzt die Stadt München Streetworker zur Fanarbeit ein. In dem Bus verkaufen die Ultras Aufkleber, T-Shirts, die Schickeria-Zeitung Gegen den Strom und weitere selbst produzierte Merchandising-Artikel. Der Andrang ist groß. Mit dem Verkauf finanziert die Schickeria ihre Aktionen. Auch Spezi, Bier und Glühwein werden angeboten, die Stunden bis zum Spiel wollen überbrückt werden.

Der blonde junge Mann, der mit den beiden Streetworkern vorne im Bus sitzt und plaudert, schüttelt sanft den Kopf, wenn man ihn auf die Gewaltbereitschaft der Ultras anspricht. Ben (Name geändert) ist einer der Anführer der Schickeria. "Wir wollen keine Gewalt, wir wollen nur unsere Fan-Kultur ausleben", sagt er und grinst. Ben ist 22 und seit sechs Jahren bei der Schickeria aktiv. Mittlerweile ist er ihr Anführer, "Capo" genannt, die anderen Schickeristen hören auf sein Kommando. Die Polizei mache es den Fans mit ihren Repressionen alles andere als leicht, klagt er. "Die Fan-Freiheiten sind sehr eingeschränkt, die Fahnenstangen dürfen zum Beispiel nur 1,50 Meter messen, und Megafone sind im Stadion nicht erlaubt." Ben zuckt ratlos mit den Schultern.

Den Chef einer gefürchteten Gang stellt man sich anders vor. Ben wirkt nachdenklich, drückt sich gewählt aus und hat ein spitzbübisches Lächeln. Doch der äußere Eindruck könnte täuschen. Bei der Polizei ist Ben in der Datei "Gewalttäter Sport" gespeichert. Das bedeutet unter anderem, dass er nicht ohne Probleme ausreisen kann. Im Sommer 2009 kam es am Würzburger Bahnhof zu einer Rangelei. Die Polizei sagt, Ben sei daran beteiligt gewesen; er bestreitet das. Am Ende jedenfalls stand ein Stadionverbot des Deutschen Fußballbunds für 80 Ultras - darunter Ben. Von Januar bis Oktober 2010 durfte er zu keinem einzigen Spiel. "Das war hart."

Plötzlich liegt Aggression in der Luft. Die Lautern-Fans treffen ein, es sind mittlerweile nur noch zwei Stunden bis zum Anpfiff. Mit einem Sonderzug sind 750 Fans aus Kaiserslautern angereist, im Zug sind sie von der Bundespolizei begleitet worden. Am Münchner Hauptbahnhof hat die hiesige Polizei die teilweise angetrunkenen Fans übernommen und sie in der U-Bahn zum Stadion eskortiert.

Das Ziel ist Provokation

Als sie in Fröttmaning aus der U-Bahn steigen, recken sie die Fäuste in die Luft und skandieren Parolen gegen den FC Bayern. Dann bleiben sie stehen, die Sprechchöre werden lauter, die Fans blicken hinüber zur Schickeria, die das Ziel ihrer Provokation ist. Dass es jetzt keine Keilerei gibt, ist wohl der zweireihigen Barrikade der Polizei zu verdanken; zwischen U-Bahn-Ausgang und Streetwork-Bus bauen sich Dutzende VW-Busse, eine berittene Reiterstaffel, eine Schar von Beamten vom Unterstützungskommando und Hundeführer mit ihren Tieren auf.

Schickeria

Polizei und Fans des 1. FC Kaiserslautern vor der Allianz Arena.

(Foto: Beate Wild)

Nach einigen angespannten Minuten gehen die Kaiserslautern-Fans weiter ins Stadion. "So viel Polizei wie heute hab' ich schon lange nicht mehr gesehen", sagt Günter Krause. Je gefährlicher ein Spiel eingestuft wird, um so mehr Polizisten sind im Einsatz. Viele Fans prangern an, dass dieses Aufgebot restlos übertrieben sei und doch nur Steuergeld koste. Das Innenministerium kann keinen Euro-Betrag beziffern, nur Stunden: In der vergangenen Saison waren bei 308 Spielen bayerischer Vereine 32.871 Polizisten insgesamt 224.801 Stunden im Einsatz.

"Wenn wir nicht wären, würden solche Situationen eskalieren", sagt Klaus Röschinger, Leiter der sogenannten szenekundigen Polizeibeamten. Bei diesem Spiel gegen Kaiserslautern sind insgesamt 300 Polizisten im Dienst, er nennt das "relativ normal". Im Vergleich: Die Schickeria hat derzeit 700 Mitglieder, davon sind etwa 300 sehr aktiv. "Aber wenn man die Ultras in Relation zu den insgesamt 69.000 Fans setzt, die ins Stadion passen, bewegen wir uns da im Promillebereich", sagt der 48-Jährige. "Es sind wenige, dafür sind sie aber schnell gewaltbereit." Dabei seien viele Mitglieder der Schickeria Akademiker. Oder, wie Streetworker Krause das ausdrückt, "keine Bierdimpfl".

"Das Problem ist, dass sie nicht mit uns reden", klagt Röschinger. Es stehe sogar in der Vereinssatzung der Schickeria, dass man nicht mit Polizisten sprechen dürfe. Über das Verbot von Megafonen etwa könnte man von Seiten der Polizei durchaus verhandeln. "Aber die Schickeristen verweigern sich." Die wiederum glauben, dass die Polizei mit voller Absicht so rigide handelt. Gespräche führten eh zu nichts, sagt Ben und witzelt: "Wir sind ja so wahnsinnig gefährlich."

Später während des Spiels steht er zusammen mit einem anderen "Capo" mit dem Rücken zum Spielfeld in der Südkurve. Von einem Podest aus feuern sie die Ultras an und dirigieren die Fangesänge. Da Megafone ja nicht erlaubt sind, brüllen sich die beiden die Seele aus dem Leib und springen auf und ab wie zwei Rapper in einem Musikvideo. Die so animierte Südkurve hüpft, klatscht im Takt, wedelt mit den Fahnen und haut auf ein paar mitgebrachte Trommeln ein.

Nervös oder frierend?

Radikale Fußballfans in München: Streetworker Günter Kraus in seinem Büro am Johannisplatz. Er betreut die Fans des FC Bayern München und des TSV 1860 München.

Streetworker Günter Kraus in seinem Büro am Johannisplatz. Er betreut die Fans des FC Bayern München und des TSV 1860 München.

(Foto: Stephan Rumpf)

Viele Fans sagen, dass die Allianz Arena viel zu steril sei und dass die ganze Ultra-Kultur seit dem Umzug fast schon dressiert sei, da die Polizei das gesamte Stadion lückenlos überwachen kann. In der Tat kam es drinnen in der Arena auch noch nie zu einem Zwischenfall, nur außerhalb.

Als letzte verlässt die Schickeria nach dem Spiel das Stadion. Nachdem alle Fan-Utensilien in Sicherheit gebracht sind, werden die Ultras wieder von den Beamten zum Parkplatz eskortiert. "Capo" Ben ist schon ungeduldig: "Gehen wir endlich!", treibt er seine Leute an. Die begleitenden Polizisten sind leicht nervös. Oder liegt es an der eisigen Kälte, dass sie so herumzappeln? Auf dem Parkplatz warten die Schickeristen, die derzeit Stadionverbot haben; aktuell sind das zehn. Gemeinsam fahren alle weiter ins Sendlinger Vereinsheim, um den 5:1-Sieg gegen Kaiserslautern zu feiern.

Am Ende des Tages bilanziert die Polizei: eine Verhaftung, eine Prügelei zwischen 20 Lautern- und 20 Bayern-Fans, die jedoch nichts mit der Schickeria zu tun haben - zwei Festnahmen. Ein verletzter Ordner, der von Ultras in der Südkurve niedergerissen wurde. Streetworker Krause und Polizist Röschinger sind sich einig: Ein ruhiger Spieltag.

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