Süddeutsche Zeitung

Quint Buchholz:Magische Erzählpforten

In "Vom Glück der Langsamkeit" sucht der Ottobrunner Maler und Autor Zauber und Ruhe des Moments

Von Udo Watter, Ottobrunn

Ist Glück eine Frage der Geschwindigkeit? Ein Temporausch kann die Endorphine zum Tanzen bringen, andererseits beschert auch der kontemplative Blick in die Abendsonne ein zartes Hochgefühl. Eines scheint aber klar: Um dem Geheimnis von Zeit und Glück dauerhaft auf die Spur zu kommen, ist die Überholspur der falsche Weg.

"In der Eile sind Fehler", sagt ein mongolisches Sprichwort. Der Satz ist in Quint Buchholz' neuem, in dieser Woche erschienenem Buch "Vom Glück der Langsamkeit" (Gütersloher Verlagshaus) zu finden, in dem der Maler und Autor aus Ottobrunn auch Texte bekannter Autoren wie Jorge Luis Borges, Mascha Kaléko, Meister Eckhardt oder Friedrich Nietzsche versammelt hat und mit seinen Bildern kombiniert. Der 61-Jährige, der in seiner Karriere viele Bücher prominenter Autoren wie Jostein Gaarder ("Sofies Welt"), Stephen Hawking, Amos Oz oder Friedrich Ani illustriert hat, ist einer, der in seinen magischen, oft fotorealistischen Kompositionen Inseln der Ruhe und Spielwiesen für Träume schafft. "Die Langsamkeit hat eine Qualität. Sie macht Erkenntnisräume auf", sagt er. In der Tat ist das schön gestaltete Buch ein poetisches Plädoyer in Text und Bild für traumverlorene Zeiten, für die nicht verplante, verwaltete Zeit, für Momente des Müßiggangs und der Stille.

Das Buch ist unterteilt in Kapitel mit Überschriften wie "Der Augenblick ist mein", "Das Aufspringen neuer Quellen" oder "Zeit hast du die ganze Welt". Einige der Bilder sind schon älter, aber viele sind in den zurückliegenden Monaten entstanden und werden nun zum ersten Mal veröffentlicht. Was das Buch so lesenswert und inspirierend macht: die kongeniale Verknüpfung der ausgewählten Texte, bei den es sich nicht nur um Gedichte oder Bonmots handelt, sondern auch um philosophische Gedanken zum Phänomen "Zeit", mit den Illustrationen. Das, was große Dichter können, nämlich eine Welt in wenigen Worten zu schaffen, kann Buchholz mit seinen vom magischem Realismus geprägten Bildern visuell. Er öffnet mit seinen Pinselstrichen stets Erzählpforten, er liebt die Blautöne, die Tiere, Kinder, Bücher, den Himmel. Immer wieder sieht der Betrachter Türen und Fenster, die hinausweisen aufs Meer, auf Wolken und dämmernde Wiesen. Eine magisch-realistische Perspektivenschönheit.

Einmal schleicht in einem doppelseitigem Bild eine riesige Schnecke durchs nächtliche Gras, auf das sich gerade der Nebel legt. Ihr Schneckenhaus hat runde, warm illuminierte Fenster, in denen man Gesichter erkennen kann und auch zwei ihrer Fühler leuchten an den Enden. Ein friedvoll-poetisches Kriechen, jenseits des geschäftigen Treibens der Welt, wirklich und zauberisch zugleich. "Kein Klang der Zeit, drang noch in diese Einsamkeit" heißt es auf der nächsten Seite im Gedicht "Abseits" von Theodor Storm. Auf einem anderen Bild ist ebenfalls eine Schnecke zu sehen, der ein Mann mit Hut einen Kopf Salat hinunter reicht. Auf einem weiteren Bild paddelt ein Mann im Stehen zu einem aus einem abendlichen Bergsee ragenden Kirchturm, neben ihm klein eine Katze, auf einem Koffer sitzend. Alle diese Zeichnungen haben Klang, wecken Assoziationen, regen zum Imaginieren an. Oder wie Elke Heidenreich in ihrem Vorwort zum Buch schreibt: "In diesen Bildern von Quint Buchholz ist keine Geschwindigkeit. Hier kristallisiert der Moment zu einem unerhörten Märchen, zu einer Geschichte, dich sich vor- und zurückerzählen lässt." Ein Hingucker besonderer Art ist auch das Schwarz-Weiß-Bild vom in einem See schwimmenden Künstler selbst, auf dessen Kopf sich eventuell bald eine zum Landeanflug ansetzende Taube niederlassen wird. Daneben das Gedicht "Frühling" von W. C. Williams: "O meine grauen Haare! Wirklich, ihr seid wie Pflaumenblüten weiß." Ja, Buchholz hat auch eine entspannte, quasi altersweise Einstellung zum eigenen Älterwerden. Als Sammler der Augenblicke, wie ein Theaterstück von ihm heißt, will er diesen Augenblicken freilich auch im Goethe'schem Sinne Dauer verleihen.

Das Wissen um die eigene Vergänglichkeit ist dabei immer mitgedacht, und statt sich von zeitgeistiger Reizüberflutung, vom Dauer-Beschäftigt-Sein oder Aktualitätswahn ablenken zu lassen ("Der behauptete Sinn dieser Phänomene erschließt sich einem nicht"), begegnet er den Zumutungen der Endlichkeit mit heiterer Gelassenheit. Eines seiner Lieblingsgedichte im Buch ist vom italienischen Literatur-Nobelpreisträger Salvatore Quasimodo: "Ein jeder steht allein auf dem Herzen der Erde, getroffen von einem Sonnenstrahl: und gleich ist es Abend." Vielleicht erlauscht man das Geheimnis der Zeit am ehesten, wenn sie still steht.

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Quelle:
SZ vom 04.05.2019
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