Tags zuvor ist Marlene Thalhammer mit ihrer Freundin beim Stammtisch gewesen, im „Waldpark“ in Putzbrunn. „Da ist’s schön, da bin ich gerne“, sagt sie. Auch an den übrigen Tagen kann die 68-Jährige über mangelnde Beschäftigung nicht klagen. So steht Yoga bei ihr ebenso auf dem Programm wie Sing- und Tanztreffs, überdies Meditieren, Tischtennis und Ausflüge, etwa in den Tierpark. „Und Kuchenbacken!“, sagt sie und strahlt. „Das mache ich besonders gerne.“
All diesen Aktivitäten – und noch einigen mehr – kann Marlene Thalhammer im Wohnheim der Lebenshilfe München in Putzbrunn nachgehen, in das sie kürzlich umgezogen und das nun offiziell eröffnet worden ist. Das Besondere an dem Haus: Jene Wohnstätte richtet sich gezielt an ältere Menschen mit geistiger Behinderung, die in Rente gegangen sind. „Solche Wohnheime gibt es bislang kaum – dabei ist der Bedarf groß“, sagt Einrichtungsleiterin Renate Bauer.
Denn die üblichen Seniorenheime seien für solche Menschen mit einem speziellen Hilfebedarf meist keine Option, sagt Renate Bauer. „Ganz einfach, weil dort die nötigen Strukturen in puncto Betreuung nicht gegeben sind.“ Daher bleiben viele Seniorinnen und Senioren mit geistiger Behinderung nach dem Renteneintritt in ihren bisherigen Wohnheimen, was deren Träger jedoch vor Herausforderungen stellt. Schließlich entsteht dort ein zusätzlicher Bedarf an Betreuung und Angeboten, wenn ältere Bewohner tagsüber nicht mehr in die Werkstätten zum Arbeiten gehen, sondern in den Wohngruppen bleiben.
Vor diesem Problem ist auch die Lebenshilfe München auf ihrem Campus in Putzbrunn gestanden, wo der Verein bereits zwei Wohnheime für Menschen mit geistiger Behinderung betreibt. Dort seien 40 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner inzwischen älter als 60 Jahre, sagte Aufsichtsratsvorsitzende Andrea Siemen. Diese Menschen hätten somit nach ihrem Renteneintritt in andere Wohnstätten umziehen müssen. „Doch wir wollten, dass sie hier bei uns leben“, sagt Andrea Siemen.

Genau das ist nun möglich, und zwar dank des mit Abstand größten Bauprojekts in der Geschichte der Lebenshilfe München. Für 18 Millionen Euro hat der Verein in direkter Nachbarschaft zu den bestehenden Häusern die Wohnstätte „Putzbrunn III“ errichtet, die Landrat Christoph Göbel (CSU) bei der Eröffnung „ein großartiges Projekt“ nannte. Zugleich räumte er ein: „Für ältere Menschen mit einem speziellen Hilfsbedarf haben wir jahrzehntelang nichts getan.“ Der Neubau von „Putzbrunn III“ jedoch ist genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten, indem dort auf „versatiles Wohnen“ gesetzt werde, sagt Renate Bauer.

Will heißen: Je nach Bedarf gibt es in dem Haus mit seinen 40 Wohnplätzen und 13 Einzelapartments unterschiedliche Arten der Betreuung – vom weitgehend selbständigen Leben bis zur Rundum-Pflege. Überdies ist das Gebäude barrierefrei und rollstuhlgerecht; sämtliche Einzelzimmer verfügen über ein eigenes Bad – „ein Novum in dem Bereich“, sagt die Einrichtungsleiterin.
Im Erdgeschoss wird „alles gemacht, was Spaß macht“
Während die Wohngruppen im ersten und zweiten Stock angesiedelt sind, finden sich im Erdgeschoss verschiedene Gemeinschaftsflächen – von der Küche über Bewegungs- und Ruheräume bis zum weitläufigen Wohnzimmer, wo Spiele, Bücher und Bastelmaterial bereitstehen. „Hier wird alles gemacht, was Spaß macht“, sagt Renate Bauer. Also Mal-, Sing- und Tanzstunden, Koch- und Kinoabende sowie Yoga, Atemmeditation, Ausflüge und vieles mehr. Die „Tagesstruktur“, wie es hier heißt, bietet werktags von 9 bis 16 Uhr ein Programm. „Unser Ziel ist es“, sagt Renate Bauer, „dass die Bewohner aus ihren Gruppen raus- und hier zusammenkommen.“ Dies ist wiederum ganz im Sinne des Leitbilds der Lebenshilfe München, wonach Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe das Recht eines jeden Menschen sind – auch im fortgeschrittenen Alter.

Die Eröffnung des neuen Wohnheims sei ein „Sternstunden-Tag“ für die Lebenshilfe, betonte deren Landesvorsitzende, die CSU-Landtagsabgeordnete Carolina Trautner (CSU). „Putzbrunn III ist ein offenes, innovatives Haus. Man merkt, hier haben Leute mitgesprochen, die täglich in der Praxis mit Herausforderungen von Menschen mit Behinderung zu tun haben.“ Laut Einrichtungsleiterin Renate Bauer kann die neue Wohnstätte als Vorbild für ähnliche Häuser dienen. „Der Bedarf ist auf jeden Fall da. Denn alle Träger stehen ja vor den gleichen Herausforderungen.“ Marlene Thalhammer, die zuvor im Haus „Putzbrunn I“ gelebt hat, ist jedenfalls begeistert von ihrer neuen Heimat. „Es ist viel schöner“, sagt die 68-Jährige und nickt heftig. „Ich fühle mich hier sehr wohl.“

