Pullach:Tanz der Wirklichkeiten

teatro delusio

Poetisch, magisch, akrobatisch, nonverbal: Die Mitglieder von "Familie Flöz" zeigen in Pullach ihr Erfolgsstück "Teatro Delusio".

(Foto: Valeria Tomasulo/oh)

Realität oder Fiktion? Kunst oder Leben? Gott oder Matrix? Auf der Bühne des Pullacher Bürgerhauses werden auch in der neuen Saison existentielle Fragen gestellt. Das Kulturangebot mit vier Abo-Sparten hat freilich noch viel mehr Facetten

Von Udo Watter, Pullach

Manchmal, wenn ein surreales Bild wie aus heiterem Himmel in den Alltag fährt, könnte einen eventuell der Gedanke beschleichen: Ja, da war er, der Fehler in der Matrix. Die Erkenntnis, dass der gewohnte Gang der Dinge vielleicht doch nur eine Illusion ist, ein Fantasieprodukt einer freiwilligen ontologischen Selbstentmachtung. Was ist denn Wirklichkeit, was Fiktion? Was ist die Realität, und wenn ja, wie viele?

In Woody Allens "Gott" ist das Spiel mit den Ebenen der Wahrnehmung und Wirklichkeitsverschiebungen Teil des Spiels. Die Verwirrung des Rezipienten hat Methode. Worum geht's? Ein Autor und ein Schauspieler, ungefähr 500 Jahre vor Christi Geburt, streiten sich über den Ausgang eines Stücks, das sie beim Athener Dramen-Festival aufführen möchten. Da sie jedoch nur in einem anderen Stück spielen, in dem nämlich von Woody Allen, begeben sie sich bald in einen Dialog mit dem Publikum, das sich auch als erfunden erweist. Fiktion und Wirklichkeit fließen derart ineinander, dass beide in ihrem Anspruch, Kunst respektive Realität zu sein, bestritten werden. Die Lösung: Ein Erfinder bietet dem Autor, welchem auch immer, eine Schlussmaschine an, mit der Zeus am Ausgang der Stücke einfliegt. Deus ex machina.

In Pullach ist Allens 1975 uraufgeführtes Stück - eine Persiflage auf das Theater und seine Mittel - nun in der neuen Kulturspielzeit zu sehen: Das renommierte Theater an der Ruhr und seine Produktion unter der Regie von Robert Ciulli dürften ein Höhepunkt in der Sparte Theater sein. "Es schließt auch an einen gegenwärtigen Diskurs im Theater an: Was ist das Authentische gegen das total Kunstvolle. Wirklichkeit und Fiktion", sagt Pullachs Kulturreferentin Hannah Stegmayer. Die Aufführung von "Gott" ist am 17. Mai.

Spannend dürfte auch die Vorstellung von "Jeder stirbt für sich allein" am 22. März nach dem Roman von Hans Fallada sein - eine Produktion des Schauspielhauses Stuttgart und von Studio Landgraf. Es geht darin um das Berliner Ehepaar Quangel, einfache Leute, die ausgerechnet nach dem gefeierten Frankreich-Feldzug 1940 mit ihrer Auflehnung gegen das NS-Regime beginnen: "Der Führer hat mir meinen Sohn ermordet!" - Mit diesem Text auf einer von über 200 Postkarten, die sie in Treppenhäusern, Briefkästen und in Hinterhöfen heimlich deponieren, rufen die Quangels zum Widerstand auf. Falladas Buch, das auf dem realen Fall und den Ermittlungsakten der Gestapo über das 1942 durch Denunziation verhaftete und zum Tode verurteilte Ehepaar basiert, avancierte durch eine Übersetzung ins Englische erst vor wenigen Jahren zu einem internationalen Bestseller. Helena Büttner und Peter Bause, die in Pullach keine Unbekannten sind, stellen das Ehepaar dar. "Das sind ausgezeichnete Schauspieler", erklärt Stegmayer. "Die Theaterreihe ist wieder erstklassig besetzt." Mit "Der Prozess" nach Franz Kafka gibt es noch eine weitere Produktion, die schwergewichtigen Inhalt mit sich bringt, es spielt des Ensemble der württembergischen Landesbühne Esslingen. Mit Witz und Verve werden dagegen die Mitglieder der Kammeroper München Rossinis "Barbier von Sevilla" inszenieren. "Die sind immer sehr erfrischend. Die Inszenierung ist ausgezeichnet", schwärmt Stegmayer, Auch für die Kammeroper ist das Bürgerhaus in Pullach eine vertraute Bühne.

Wie immer gibt es auch in der neuen Saison März bis Juli wieder je vier Vorstellungen in den vier Abo-Sparten Theater, Kabarett, Jazz & More und Klassik. Neben bekannteren und nicht ganz so bekannten Kabarettisten wie Martin Großmann, Frank Lüdecke und Chin Meyer darf sich der Zuschauer in Bereich Kabarett/Kleinkunst auf die Familie Flöz aus Berlin freuen, die mit "Teatro Delusio" eine visuell reizvolle Show aus Akrobatik, Poesie, Tanz und Magie bieten. Auch hier wird - vor allem im optischen Sinne - mit der Wahrnehmung des Zuschauers gespielt: Quasi alle theatralen Genres werden dargeboten und das Geschehen changiert zwischen den illustren Protagonisten der Bühne und den Arbeitern der Hinterbühne im magischen Raum. "Das geht alles über Bewegung, Maske und Akrobatik", erklärt Stegmayer.

Jazz-Freunde und Liebhaber experimenteller Musik dürften beim Durchstöbern des neuen Pullacher Programms ebenfalls Interessantes finden: Unter anderem treten in der Reihe "Jazz & More" das Duo Stefanie Boltz und Sven Faller (Bass) alias Le Bang Bang auf, der BMW-Jazz-Award-Träger Josef Reßle im Trio oder die Gruppe Tango Transit, die klassischen Tango mit modernen Sound, etwa Cajun- oder Balkan-Musik und House Bass Drum, verbindet.

Das von der Verleger-Familie Becker geförderte Klassik-Angebot kann sich ebenfalls wieder hören lassen: Mit László Fenyö und Leonard Elschenbroich kommen etwa zwei internationale renommierte Cellisten nach Pullach. Das 2007 gegründete Meccore String Quartet aus Polen gilt als eines der besten Streichquartette seiner Generation und das Signum Quartett wird zusammen mit dem namhaften Pianisten Oliver Triendl und dem Violinisten Alexander Sitkovetsky im Mai ein interessantes Programm spielen, teils als Sextett. "Das ist eine außergewöhnliche Besetzung", freut sich Stegmayer auf besondere Klangerlebnisse. Dass Musik einen in andere Ebenen heben kann, dass sie eine transzendente Qualität hat, ist unbestritten. Ob sie freilich immer den Anspruch erfüllt, als gleichsam tönende Metaphysik von den letzten Dingen zu reden? Vielleicht weiß der begeisterte Jazz-Klarinettist Woody Allen die Antwort.

Der Abo-Verkauf läuft noch bis zum 3. Februar, es gibt auch ein günstiges Jugend-Abo (drei Wahl-Veranstaltungen aus sämtlichen Angeboten). Informationen im Bürgerhaus Pullach, Heilmannstr. 2 Telefon 089/77 44 75 20.

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