Mitten in Pullach:Geschwindigkeitsrausch in der Rikscha
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Der Mobilitätstag der Isartalgemeinde ist der Gegenentwurf zur IAA. Trotzdem dürften vor allem einige Senioren großen Spaß haben.
Glosse von Udo Watter
Der Reiseschriftsteller Bruce Chatwin war fasziniert von der nomadischen Natur des Menschen. Für ihn war die Erkenntnis, dass Babys besser schlafen, wenn man sie im Kinderwagen hin- und herschiebt, ein Beweis dafür, dass dieses essenzielle Wohlfühlen in der Bewegung, das Nomadische, noch in unseren Genen wirkt. Jack Kerouac nennt in seinem Roman "On the Road" das "in Bewegung sein" die "einzige und edle Funktion unserer Zeit". In München ist derzeit bekanntlich eine große Messe der Mobilität gewidmet, die IAA Mobility, wobei ihre Ausbreitung in der Innenstadt den Bewegungsspielraum von Auto- oder Radfahrern erst mal erheblich einschränkt.
Der Mobilitätstag im benachbarten Pullach widmet sich am 22. September weniger dem Auto und seinen diversen SUV-Fettstufen, als vielmehr den Vorzügen von Fahrrad, Tretroller und anderen Methoden, nachhaltig, emissionsfrei und günstig von A nach B zu gelangen. Die Gemeinde am linken Isarhochufer ist ohnehin eine Hochburg ethisch anspruchsvollen Cruisens, Tretens und Gehens. So heißt es bald wieder "Autofrei - ich bin dabei!". Bei dieser Aktion an der Grundschule werden seit etlichen Jahren alle Schulwege notiert, die ohne das Auto zurückgelegt wurden, um die CO₂-Ersparnis zu berechnen. Die Gemeinde bietet ein kostenloses Leih-Lastenrad an, es gibt E-Carsharing und eine ehrenamtliche Fahrradwerkstatt, die gespendete Fahrräder für Geflüchtete herrichtet.
Während bei manchen von Flugblattscham befreiten Menschen auf dem flachen Land schon allein die Wörter "Lastenrad" und "Geflüchtete" Schnappatmung auslösen, was sie mit dem sofortigen Verzehr von Presssack, Schweinsbraten oder dem Gebrauch des generischen Maskulinums kontern, geruht das von einer grünen Bürgermeisterin geführte Pullach, hier eine urban-umweltfreundliche Rolle einzunehmen.
Besonders schön sind freilich zwei Angebote für Menschen, die kaum oder gar nicht mehr eigenständig unterwegs sein können, also ihrer nomadischen Natur schwer nachkommen können. Die Nachbarschaftshilfe bietet ehrenamtlich Fahrdienste für alltägliche Erledigungen an, und geradezu poetisch mutet der Service an, den die Senioren- und Pflegeeinrichtung "Haus am Wiesenweg" offeriert: Bei ihrem Projekt "Recht auf Wind in den Haaren" werden "Sehnsuchtsorte" der Bewohner mit der hauseigenen Fahrradrikscha besucht. Ehrenamtliche Helfer sorgen bei den gemeinsamen Ausfahrten für die Erweiterung des Mobilitätsradius dieser älteren Menschen. Auch wenn der ein oder andere Senior vielleicht gar kein Haar mehr hat, in welches der Wind fahren kann.