Es war um fünf Uhr morgens, in der Nacht hatte es stark geschneit, als F. Freyja aus ihrem Fenster sah und auf der Straße eine Frau entdeckte, die einen Schlitten hinter sich herzog. In dem Schlitten saß ein Kind, das an einem Rucksack lehnte. "Das war so irre", sagt die Künstlerin aus Solln. Da musste sie einfach zur Kamera greifen, die Szene festhalten. Eine Mutter und ihr Kind auf einem Schlitten um fünf Uhr in der Früh - wirklich: einfach irre sei das gewesen. Und nun hängen die beiden als Bild im Pullacher Bürgerhaus, bei der Jahresausstellung des Künstlerkreises Münchner Süden. F. Freyja hat die Fotografie bearbeitet. Dicke Schneeflocken tanzen wie Sterne durch das Bild, von dem eine wohlige Wärme ausgeht. Obwohl es in jener Winternacht bitterkalt gewesen sein muss.
Nachdem die Jahresausstellung im vergangenen Jahr wegen der Pandemie entfallen musste, zeigen heuer 23 Mitglieder des Künstlerkreises Münchner Süden ihre Werke. "Doppelspiel" lautete das Motto der abgesagten Schau, und weil die Künstler einige Arbeiten nun bei der Jahresausstellung 2021 (bis 2. Dezember) präsentieren, gibt es viel Doppeldeutiges im Bürgerhaus zu sehen. Bilder, die nur im Doppelpack auftreten. Bilder, die sich ergänzen oder aber im Gegensatz zueinander sehen. Die Ausstellung zeige "ganz gut das Spektrum zwischen Profikunst und Liebhaberkunst", sagte Hannah Stegmayer, Leiterin des Bürgerhauses, bei der Vernissage.
Es liegt im Wesen von Gemeinschaftsausstellungen, dass sie dem Auge eine Vielfalt an Stilrichtungen, Arbeitstechniken und kreativen Zugängen bieten. Mit abstrakten wie gegenständlichen Werken in Acryl und Öl, mit Mischtechniken und Aquarellen, mit Objektkunst und Fotografie erweist sich die Werkschau nahezu als Konzentrat dessen, was Kunst alles sein kann. Und weil in den eigenen Reihen die Skulpturen fehlten, wurden mit Johannes Hofbauer und Willi E. Seitz heuer zwei Gastkünstler zur Ausstellung eingeladen. Seitz verarbeitet das Holz ausgedienter Türen oder Möbel zu Skulpturen und Wandobjekten, er zerlegt es und führt es einer neuen Bedeutung zu, die alten Latten eines Gartenzauns werden dann etwa zur "Welle", einem bizarr-schönen Objekt in Grünnuancen. Hofbauer wiederum, der 2021 mit dem Schwabinger Kunstpreis ausgezeichnet wurde, kommt ursprünglich aus dem Drechselhandwerk, studierte an der FH in Hildesheim und ist seit 1996 als Bildhauer tätig. Er bearbeitet das Holz mit der Säge, oft auch mit der Kettensäge, fügt ihm zahlreiche kleine Einschnitte zu, die sich wie Wirbel aneinanderreihen und das Holz auf diese Weise geschmeidig und biegsam machen. "An seinen Arbeiten sieht man sehr gut, wie die Beherrschung des Handwerks die Grundlage für ein freies, abstraktes Arbeiten ist", sagte Stegmayer. Bleibt bei den Skulpturen noch Daniel Castiglione zu erwähnen, der 140 Schlüssel zu einer imposanten Kugel zusammengeschweißt hat; auch die Objekte von Johannes von Peckenzell lohnen einen Blick, sind sie doch das Werk eines kreativen Sammlers und Tüftlers, der offenbar viel Freude daran hat, aus Schläuchen und Drähten und blinkenden Lampen eine "ägyptische Gottheit" zu erschaffen. Das ist mit Verlaub etwas schräg - aber auch sehr erfrischend. Ganz anders die beiden Landschaftsbilder, die Jochen Brunsmann in diesem Jahr beigesteuert hat: Im Stil japanischer Tuschebilder zeigt er mit dem italienischen Chianti und dem Alpenvorland zwei Regionen Europas, verleiht Hügeln, Zypressen und Nebel eine zarte Konturiertheit, deren Reiz man sich nur schwer entziehen kann. Auch Renate Ross setzt sich offenbar intensiv mit Japan auseinander: Sie hat eine rote Sonne auf einen Kimono gemalt, diese allerdings mit Strahlen versehen. Die Version der Sonne mit 16 roten Strahlen sei bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges von den japanischen Streitkräften verwendet worden, von 1954 dann wieder von der japanischen Marine, erläuterte Stegmayer in ihrer Rede. "In den umliegenden asiatischen Ländern, welche von Japan besetzt worden waren, ruft diese Flagge auch heute noch negative Assoziationen hervor."
Die meisten Arbeiten beinhalten weniger Gesellschaftskritik: Da sind die ausgewogen komponierten Aquarelle von Antje Reck, die abstrakten "Gärten" von Inge Schmidt sowie die pastellfarbenen Inseln, die Eva Großhennig in Öl gestaltet und die aus der Distanz betrachtet an ein Tulpenfeld erinnern. Gabriele Rodler, die Vorsitzende des Künstlerkreis Münchner Süden, hat unter den Namen "Wasser I" und "Wasser II" in Grüntönen die schäumende Kraft des Meers geschaffen. "Es wird halt bei mir immer eine Landschaft, selbst wenn das Bild sehr abstrakt ist", sagt sie gelassen.
Auch in diesem Jahr hat sich die Künstlerin, die in Pullach aufgewachsen ist, um die Organisation gekümmert, Flyer gedruckt, Absprachen mit den Künstlern getroffen, Bilder gehängt und dafür gesorgt, dass ein Termin gefunden wurde. Nun steht sie ein wenig abseits, blickt zu den Besuchern im Bürgerhaus, die sich durch die Bilderreihen treiben lassen. Sie halten mal hier inne, mal dort, manche scheinen regelrecht einzutauchen in die Kunst. Was den Pullachern am besten gefällt, wird 2021 vermutlich ein Geheimnis bleiben. Der Publikumspreis, der für gewöhnlich zur Jahresausstellung vergeben wird, muss Corona-bedingt pausieren. Die erforderlichen Hygienemaßnahmen wären zu aufwendig, sagt Rodler.